Verkehr – Nahverkehr
Elektrische Hochbahn in St. Paul, Minnesota
Zentralblatt der Bauverwaltung • 18.5.1889
Am 21. Juli 1888 haben in der Nähe von St. Paul in den Vereinigten Staaten auf einer aus Holz erbauten Versuchsstrecke einer neuen Art Hochbahnen Probefahrten mit elektrischem Betrieb stattgefunden. Die bei South Park erbaute Hochbahn für elektrischen Betrieb nach dem Entwurf von Enos scheint sich nach den Ergebnissen dieser Versuche als eine beachtenswerte Erfindung bewährt zu haben. Die Übelstände, welche die städtischen, mit laufenden Dampfmaschinen betriebenen Hochbahnen mit sich führen, bestehen, wie sich in New York bei Herstellung von Eisengerüsten in den Straßen gezeigt hat, in einer erheblichen Verdunkelung und Verunzierung derselben und in der Belästigung der Anwohner und des Straßenverkehrs durch Geräusch, Rauch und Asche. Letzterer Übelstand ist auch bei den die Häuserviertel kreuzenden Hochbahnen auf gemauertem Unterbau nicht ganz zu vermeiden.
Die neue Bauweise von Enos sucht diese Übelstände dadurch zu beseitigen oder zu vermindern, dass er an die Stelle der Dampfkraft die elektrische Kraft setzt, welche von stehenden Dampfmaschinen erzeugt und mittels der Schienen zugeführt wird. Die Verdunkelung der Straßen wird erheblich vermindert durch Fortfall der Schwellen und Belaghölzer, durch Verringerung der Abmessungen und des Gewichts des tragenden Gerüstes, welches von nur einer Säulenreihe in der Mitte der Straße gestützt wird, die den Verkehr nur wenig behindert und mit Vorteil zur Beleuchtung der Straße verwendet werden kann. Die tragenden Säulen sollen, wie die Abbildungen zeigen, aus zwei gegeneinander schwach geneigten U-Eisen hergestellt werden, welche am Fuß 0,9 m voneinander entfernt und durch Gitterwerk verbunden sind. Das Fußende derselben ruht auf Granitsockeln mit abgerundeten Ecken, welche als Radablenker für Straßenfuhrwerk dienen sollen. Durch diesen Granitblock reichen an den Ecken vier schmiedeeiserne, 75 mm starke Anker, welche unterhalb durch eine gusseiserne Querschwelle von I-förmigen Querschnitt gehen. Letztere ruht auf einem Betonblock und ist mit diesem durch Anker verbunden. Die Höhe der Säulen ist so bemessen, dass die Unterkante der aufgehängten Wagen sich 4,27 m über dem Straßenpflaster befindet, so dass der Straßenverkehr nicht behindert wird. Diese Anordnung vermeidet gleichzeitig jede Behinderung des Hochbahnverkehrs durch Schnee und die Kosten der Beseitigung desselben. Am oberen Ende tragen die Säulen nach beiden Seiten vorstehende Knaggengerüste, welche an beiden Seiten von Säule zu Säule durch eiserne Längsgitterträger von 12,8 m Länge miteinander verbunden sind. Jeder dieser Längsbalken trägt sowohl auf seiner oberen als unteren Gurtung eine Schiene. Die obere hat den Querschnitt einer starken Vignole-Schiene, die untere ist schwächer, weil nur die erstere die Last der Wagen trägt, während die letztere nur als Stromleiter und zur Verhinderung von Seitenschwankungen der Fahrzeuge dient. Beide Schienen sind nichtleitend auf dem Gitterträger und ohne Laschenverbindung verlegt, aber zum Zweck der Stromleitung mit angelöteten Kupferstreifen verbunden, die außerdem angenietet sind. Auf der oberen Schiene läuft mittels zweier Räder ein eiserner Bügel, an welchem sich die elektrischen Maschinen von Thompson-Houston befinden, und an diesen Bügeln hängt der Wagen, auf dessen Dach sich vier Räder befinden, welche unter einem Winkel von etwa 45° gegen die untere Schiene laufen, um Seitenschwankungen des hängenden Wagens zu vermeiden. Der Strom läuft durch die obere Schiene mittels der auf ihr rollenden Räder zu den elektrischen Maschinen und dann durch ein Kabel zu dem Führerstand auf dem Wagen, von hier zu den Rädern auf dem Verdeck des Wagens und durch die untere Schiene zur Stromquelle zurück. Eine Nebenschließung des Stromes führt zu den Glühlichtlampen im Inneren des Wagens, welche durch den Führer nach Belieben in den Teilstrom eingeschaltet werden können. Die weitere Anordnung ist aus den Abbildungen ersichtlich.
Die in Holz ausgeführte Versuchsstrecke ist etwa 2 km lang, die stärksten Steigungen derselben betragen 1 : 14, die kleinsten Krümmungshalbmesser 12 m. Die Versuchslinie ist so geführt, dass sie das Einbiegen in zwei sich rechtwinklig kreuzende Straßen veranschaulicht. Die erreichbare Geschwindigkeit, welche von der Größe der aufgewendeten Arbeit, dem Querschnitt der Schienen, der Länge der Leiter und dem Gewicht der besetzten Wagen abhängt, soll der mittels Lokomotiven erzeugten gleichkommen. Bei der Versuchsfahrt betrug sie selbst in der stärksten Steigung von 1 : 14 mehr als 10 km/h. Da die Wagen sehr leicht sind und die elektrischen Maschinen sich an jedem Wagen befinden, so erscheint die Erzielung ausreichender Geschwindigkeit wahrscheinlich. Die Wagen können einzeln laufen oder zu Zügen verbunden werden. Die Talfahrt in dem starken Gefälle geschah mittels Handbremse, doch konnte die Bremswirkung im Notfall sehr erheblich durch Herstellung der elektrischen Verbindung für Bergfahrt gesteigert werden. Die Anfahrt in beide Richtungen und die Ausführung kleiner Bewegungen geschah mit großer Leichtigkeit. Die Kosten ohne Wagen und Maschinen sind auf 260 000 Mark [rd. 2 Mill. € in 2022] für den Kilometer doppelgleisige Hochbahn veranschlagt. Diese Kosten dürften sich für Ausführungen in der alten Welt erheblich billiger stellen. Der Kraftverlust wurde als verhältnismäßig gering angegeben, doch lagen keine zuverlässigen Messungen vor. Es erscheint indessen als wahrscheinlich, dass derselbe bedeutend geringer ist als für Bahnen mit endlosem Drahtseil.
Es hat sich eine Gesellschaft gebildet, welche die Bauerlaubnis für Ausführung eines derartigen Bahnnetzes in den Schwesterstädten St. Paul und Minneapolis nachgesucht hat, und beide Städte und die dazwischen liegenden Vororte miteinander in Verbindung setzen und die Bahn in die Hauptgeschäftsstraßen einführen will. Man beabsichtigt, etwa 40 km innerhalb zweier Jahre herzustellen. Obgleich die elektrische Hochbahn von Enos viele Übelstände der Dampf-Hochbahnen vermeidet und auf Chausseen und breiten Alleen wohl mit Vorteil Verwendung finden kann, zögerte die Stadtverwaltung von St. Paul doch, die Erlaubnis zur Ausführung in den Straßen zu erteilen, da man die Nachteile für überwiegend erachtete.
Für den Verkehr im Innern der Großstädte dürfte die Anlage von elektrischen Untergrundbahnen im Zug der Straßen zurzeit am zweckmäßigsten erscheinen, da die Ausführung durch den Fortfall der Grunderwerbskosten selbst bei ungünstigen Boden- und Grundwasserverhältnissen billig wird und unter gleichzeitiger Entlastung des Straßenverkehrs jede Belästigung durch Einbauten in den Straßen fortfällt. Die Lüftung der Tunnel bei elektrischem Betrieb ist leicht zu bewirken, die Umgrenzung des lichten Raumes und der Oberbau werden durch den Fortfall der Lokomotiven verringert, die Unterhaltungskosten ermäßigt, die Beleuchtung in den dunklen Teilen der Strecke erfolgt selbsttätig, und der elektrische Betrieb wird unabhängig von dem Hauptübel, der Einwirkung ungünstiger Witterungsverhältnisse, von Regen, Schnee, Nebel, Reif. Die Kosten zweier Tunnelröhren für eine solche Bahn bleiben selbst bei schwierigen Boden- und Grundwasserverhältnissen bei den verbesserten Bauweisen der Neuzeit und den gesteigerten Kosten für Grunderwerb in den Großstädten sehr erheblich hinter den Kosten der Hochbahnen mit Grunderwerb zurück.
• Bassel