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Eisenbahnverkehr von und nach Berlin

Auf dem Weg zum europäischen Knoten

Berliner Wirtschaft • August 1996

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.
Max der MaulwurfGrafik: Deutsche Bahn AGMax der Maulwurf bittet um Verständnis für die Behinderungen durch Bauarbeiten bei der Bahn.

Von Berlin nach Hannover mit der Bahn in 1 Stunde 46 Minuten: Das klingt für jeden utopisch, der noch die Verhältnisse im Eisenbahnverkehr von und nach Berlin vor der Wende kennt, der von überlangen Fahrzeiten (nach Hannover über 4 Std.) und veraltetem Wagenmaterial geprägt war. Dennoch wird die genannte Fahrzeit nach Hannover 1998 im Fahrplan stehen. Schon in den vergangenen Jahren konnte ein Teil der Defizite der Vergangenheit aufgeholt werden. Moderne Züge verkehren zu festen Taktzeiten; der Streckenausbau ist in vollem Gange; die Reisezeiten nach vielen Zielen sind schon heute deutlich kürzer geworden.

Seit der Wiedervereinigung führte die Bahn im Fernverkehr von und nach Berlin ein völlig neues Zugsystem ein. Im Mai 1991 wurde der Intercity (IC)-Verkehr gleich auf drei Linien, nämlich nach Köln/Koblenz, Frankfurt/Karlsruhe und nach Hannover aufgenommen. Ein Jahr später kam die IC-Verbindung nach Dresden hinzu; erste IC- bzw. Eurocity-Züge verkehrten nach Prag und Warschau. Außerdem wurde die Grundlage für den heutigen Interregio-Verkehr ab Berlin gelegt, in dem die Verbindungen nach Chemnitz, Halle-Erfurt, Lübeck-Kiel, Rostock und Stralsund vertaktet und mit besserem Wagenmaterial ausgestattet wurden. Seit Mai 1993 gibt es eine Intercity-Expreß (ICE)-Linie Berlin–Magdeburg–Göttingen–Frankfurt/Main–Stuttgart–München. 1994 wurden schließlich Hotelzüge als IC-Night nach Köln/Bonn und München und in diesem Frühjahr als City-Nightline nach Zürich eingeführt.

Zentraler Umsteigeknoten in Berlins Mitte

Angesichts der positiven Entwicklung im Zugangebot darf aber nicht übersehen werden, dass die Berliner Infrastruktur für den Fernverkehr noch immer unbefriedigend ist. Aufgrund der notwendigen Erneuerung der Stadtbahn bleibt das innerstädtische Netz bis 1998 zweigeteilt. Der Hauptteil des Fernverkehrs wird über Lichtenberg, ›Hauptbahnhof‹ [seit 1998: Ostbahnhof] und Zoo abgewickelt, Bahnhöfe, die wegen ihrer dezentralen Lage für viele Berliner nur mit langer Anreise erreichbar sind. Grundlegend neue Verhältnisse stellen sich erst mit der Realisierung des sog. Pilzkonzeptes etwa ab 2002 ein. neue Lehrter BahnhofFoto: Deutsche Bahn AGAm ›neuen‹ Lehrter Bahnhof werden sich die in Tunnellage geführte Nord-Süd- mit bedeutenden über die Stadtbahntrasse verlaufenden Ost-West-Verbindungen kreuzen und den neuen Bahnhof mit der Realisierung des Pilzkonzeptes ab dem Jahre 2002 zum zentralen Umsteigeknoten machen. Die Bahn wird dann wesentliche Teile des Fernverkehrs über die neue viergleisige Nord-Süd-Strecke in der Stadtmitte leiten, die eine schnelle Durchquerung der Stadt ermöglicht. Der übrige Verkehr wird über die Stadtbahn abgewickelt. Der gesamte Fernverkehr kreuzt sich damit in Zukunft an dem neuen, in der Mitte der Stadt gelegenen Lehrter Bahnhof, der als zentraler Umsteigeknoten zwischen der Nord-Süd-Tunnelstrecke und Stadtbahn dient. Nach den Prognosen wird dieser Bahnhof im Jahr 2010 daher einen Anteil von 37 % an der Zahl der Ein- und Aussteiger im Fernverkehr haben. Für den neuen Fernbahnhof Papestraße [Seit 2006: Südkreuz] rechnet man mit einem Anteil von 28 %. Dieser könnte noch höher ausfallen, solange die vorgesehene Nahverkehrsanbindung des Lehrter Bahnhofs (S 21 und U 5) nicht realisiert ist. Nach der Jahrtausendwende werden daher ⅔ der Reisenden im Fernverkehr von und nach Berlin in Bahnhöfen ein- und aussteigen, die es heute noch gar nicht gibt. Die übrigen wichtigen Fernbahnhöfe werden in Zukunft in etwa folgende Anteile haben: der hoffentlich bald umbenannte ›Hauptbahnhof‹ 10 %, Zoologischer Garten 9 %, Spandau 9% und Gesundbrunnen 7%. Lichtenberg, wo eigentlich kein Fernverkehr mehr vorgesehen ist, soll nach der jüngsten Vereinbarung zwischen Berliner Senat und der Deutsche Bahn AG nun doch in den Fernverkehr (z. B. über die Ostbahn Richtung Polen/Königsberg) integriert werden.

Mit ›Tempo 160‹ nach Hamburg

Die vier für Berlin wichtigsten Fernstrecken werden im Rahmen der 7 ›Verkehrsprojekte Deutsche Einheit‹ (VDE) Schiene ausgebaut. Für die Strecke Berlin–Hamburg ist mit 160 km/h aber nur die gleiche Höchstgeschwindigkeit vorgesehen, die bereits vor 60 Jahren mit dem Dieseltriebzug ›Fliegender Hamburger‹ erreicht wurde.

Die Strecke könnte auch mit 200 km/h befahren werden, wenn die niveaugleichen Bahnübergänge beseitigt würden. Am 29. September dieses Jahres soll die Strecke so weit fertig sein, dass die Reisezeit der IC-Züge von 3.30 Std. auf 2.40 Std. gesenkt werden kann. Nach Fertigstellung der Strecke, voraussichtlich Ende 1997, benötigen die Züge dann nur noch 2.15 Std., zwei Minuten weniger als in der Vorkriegszeit. Den Schnellverkehr zwischen Berlin und Hamburg übernimmt ab 2005 der Transrapid, der die Strecke in einer Stunde zurücklegen wird.

Für den Schienenschnellverkehr von und nach Berlin wird die Strecke Berlin–Stendal–Hannover von besonderer Bedeutung sein, über die ab 1998 der ICE verkehren wird. Bis Oebisfelde sind als Höchstgeschwindigkeit 250 km/h geplant, wobei der Kompromiss für das an der Strecke bei Rathenow gelegene Trappenschutzgebiet vorsieht, in diesem Bereich nur 160 km/h zu fahren. Durch die Kompromissfindung verzögert sich die Fertigstellung der Strecke um etwa ein Jahr. Von Oebisfelde bis Lehrte kann 200 km/h gefahren werden, von dort bis Hannover noch 160 km/h. Die künftige Fahrzeit von etwa 1.46 Std. ist zwar deutlich kürzer als die heutige von 2.45 Std., gegenüber dem ›Fliegenden Kölner‹, der in den 30er Jahren 1.54 Std. benötigte, jedoch nur ein kleiner Fortschritt. Dies dürfte aber nur zum Teil auf die ›Langsamfahrstelle‹ bei den Großtrappen zurückgeführt werden. Sicher sind die Beschleunigungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. Auch ist nicht einzusehen, warum die geradeste deutsche Eisenbahnstrecke, die mit modernster Technik zur Zugbeeinflussung ausgestattet sein wird, nicht auch mit 300 km/h befahren werden kann. Die seit Dezember 1995 ausgebaute Strecke Berlin–Magdeburg–Helmstedt, über die bisher der meiste Verkehr in Richtung Westen abgewickelt wurde, dürfte ab 1998 den ICE-Verkehr weitgehend an die neue Parallelstrecke verlieren, bleibt aber IC-Strecke.

Hochgeschwindigkeitsverkehr nach München

Eine völlig neue Bedeutung erhält die direkte Verbindung von Berlin nach Nürnberg–München über Leipzig, die zwar heute schon mit dem Intercity befahren wird, aber für Berlin-Reisende aufgrund der noch langen Reisezeit nur beschränkt attraktiv ist. Der Ausbauabschnitt Berlin–Leipzig kann künftig mit 200 km/h befahren werden. Vom Lehrter Bahnhof [seit 2002: Hauptbahnhof] aus werden die Züge künftig in dieser Relation nur konkurrenzlose 59 Minuten benötigen. StadtbahntrasseFoto: Deutsche Bahn AGMit Hochdruck wird an der Stadtbahntrasse zwischen Bahnhof Zoologischer Garten und Hauptbahnhof gearbeitet: Im August 1996 ist die S-Bahn auf ihr neues Gleisbett zwischen Zoo und Lehrter Bahnhof zurückgekehrt. Danach wurde mit der Sanierung der Fernbahngleise auf diesem Streckenabschnitt begonnen. Von Leipzig nach Erfurt ist eine für 300 km/h ausgelegte Neubaustrecke geplant. Ein weiterer Neubauabschnitt für 250 km/h führt von Erfurt durch den Thüringer Wald zum bayerischen Elbersfeld. Von dort werden bis Nürnberg vorhandene Strecken auf 200 km/h ertüchtigt. Die Neubauabschnitte dieses Projektes sind noch in Planung. Ihre Fertigstellung hat zwar im Rahmen der VDE-Projekte Priorität, doch kann wegen der Finanzengpässe des Bundes gegenwärtig kein konkretes Fertigstellungsdatum genannt werden. Die Reisezeit zwischen Berlin und München wird von 6.45 Std. heute auf vier Stunden zurückgehen. Sie sinkt auf 3.44 Std., wenn auch die geplante Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt-München fertig ist.

Der Streckenausbau nach Berlin ist keineswegs auf die ›Verkehrsprojekte Deutsche Einheit‹ beschränkt, sondern betrifft auch andere wichtige Schienenverbindungen. Es ist aber nur schwer nachzuvollziehen, warum die wichtigen Strecken nach Rostock und Stralsund und Stettin, die nur mit 120 km/h befahrbar sind, nicht dazugehören. Die Ertüchtigung der Strecke Berlin–Frankfurt (Oder) ist ab 1998/99 vorgesehen, wo ab 2000 auf Teilabschnitten 160 km/h gefahren werden kann. Auch auf der polnischen Seite wird Richtung Warschau die gleiche Geschwindigkeit angestrebt, aber ohne konkrete Zeitplanung. Die Reisezeit zwischen Berlin und Warschau, gegenwärtig rund sechs Stunden, soll künftig auf fünf Stunden sinken.

Die Strecke Berlin–Dresden ist bereits für 160 km/h ertüchtigt. Auch auf tschechischer Seite wird die Strecke Richtung Dresden–Berlin auf 160 km/h ausgebaut, so dass die Reisezeit Berlin-Prag von heute 4.45 Std. auf voraussichtlich 3.45 Std. im Fahrplanjahr 1998/99 zurückgehen wird. Auch wenn die Ausbaupläne für eine Reihe von Strecken nach Berlin noch immer wenig konkret sind, so kann doch erwartet werden, dass sich die Stadt nach der Jahrtausendwende wieder zu einem wichtigen europäischen Bahnknoten entwickeln wird.

• Hans-Michael Drutschmann

• Auf epilog.de am 1. Oktober 1997 veröffentlicht

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