Bau & Architektur
Einsturz eines Fabrikschornsteins in England
Zentralblatt der Bauverwaltung • 6.1.1883
Newland Mills ist der Name einer Gruppe von Fabrikgebäuden, in denen durch etwa 3000 Arbeiter verschiedene Zweige der Textil-Industrie der Stadt Bradford in Yorkshire betrieben werden. Inmitten dieser Gruppe stand zum gemeinsamen Gebrauch mehrerer Geschäftsfirmen ein Schornstein mit folgenden Abmessungen: Höhe 78 m, Durchmesser am Fuß 7,3 m, an der Krone 3 m, Dicke des Mauerwerks unten 2 ¼ m. Letzteres bestand aus einem inneren Futter aus Ziegel und einem Mantel aus natürlichem Stein. Das Zwischenmauerwerk bestand zum Teil aus Streckern, welche Mantel und Futter miteinander verbanden. Am 28. Dezember 1882 stürzte dieser Schornstein, nicht ohne vorherige Zeichen seiner Baufälligkeit und nach einem vergeblichen Ausbesserungsversuch, ein und legte in seinem Falle eins der mehrstöckigen Gebäude in Trümmer. Da der Einsturz während der Frühstücksstunde, gleich nach 8 Uhr morgens geschah, so war das Opfer an Menschenleben, welches er verursachte, nicht so groß, wie es zu einer andern Zeit hätte sein können; nichts destoweniger betrügt die Zahl der Toten 51 und die der Verwundeten – von denen nach den neuesten Mitteilungen noch viele ihren Wunden erlegen sind – ist fast ebenso groß.
Als der Bau des Schornsteins im Jahr 1862 in Aussicht genommen wurde, war bekannt, dass früher betriebene Kohlengruben sich bis in die Nähe der Baustelle erstreckten. Es wurde daher ein Versuchsschacht gesenkt und damit die Nähe der Kohlenausgrabung bestätigt. Die schadhaften Stellen des Baugrunds wurden dann mit Stein und der ganze Schacht mit Beton ausgefüllt. Die Aufmauerung des Schornsteins verlief bis zu einer Höhe von 73 m ohne Zeichen einer Senkung, welche sich dann aber in einer seitlichen Neigung kundgab. Die Gutachten einiger Sachverständigen sprachen sich jedoch dahin aus, dass keine weitere Senkung erfolgen würde, dass aber die ursprünglich beabsichtigte Höhe von 91 m nicht mit Sicherheit erreicht werden könne.
Ein Techniker namens Woodford, der wegen seiner Kunst, Schornsteine geradezurichten, bekannt war, wurde nun hinzugezogen und ihm gelang es – durch Entfernung des Mörtels an mehreren Stellen der der Neigung gegenüberliegenden Seite bis zu einer Höhe von 18 m über dem Boden – den Schaden scheinbar zu beseitigen und man entschloss sich, die Aufmauerung bis zu der Höhe von 78 m fortzusetzen. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass die oben erwähnten Bindersteine bei der vorgenommenen Geraderichtung Brüche erlitten haben und eine Lockerung des Verbundes entstand. Diesem Umstand in Verbindung mit kürzlich eingetretenem Frost des Bodens und einem stark wehenden Wind wird die unmittelbare Ursache des Falles zugeschrieben.
Ein Augenzeuge der Katastrophe meldet, dass der Schornstein vor dem Zusammenbruch sich in der Mitte teilte, dass der obere Teil zuerst scheinbar senkrecht fiel und dann eine Drehung machte, ein Vorgang, welcher an den Einsturz der Taybrückenpfeiler erinnert, der anscheinend in ähnlicher Weise erfolgte.
• London, den 30. Dezember 1881