Bau & Architektur

Eine Häuser-Fabrik

Die Gartenlaube • 1863

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Wer von Stuttgart aus einen Ausflug nach der berühmten landwirtschaftlichen Akademie zu Hohenheim unternimmt, dem kann das rege Leben und Treiben nicht entgehen, das sich auf den hart an die Straße anstoßenden kolossalen Bauplätzen entfaltet; wer aber näher herangeht, falls ihn nicht der ›verbotene Eingang‹ oder die Stentorstimme des Portiers zurücktreibt, und nun gewahr wird, wie hier Massen von Steinen behauen, dort Balken zugerichtet werden, dort der Amboss von kräftigen Schlägen ertönt, dort die Feile des Schlossers schrillt, in allen Ecken und Enden der umliegenden Gebäude sich Hunderte geschäftiger Hände regen und das Gewerbe in allen seinen Gestalten hervortritt, dem wird, wenn man ihm sagt, dass das eine Häuser-Fabrik sei, ein um so größeres Verlangen ergreifen, diese in ihren Einzelheiten näher kennenzulernen, als ein solches Unternehmen, in dieser Ausdehnung wenigstens, vielleicht einzig bis jetzt auf dem Kontinent dasteht.

Fragen wir nach der Entstehung eines so originellen Etablissements, so ist diese in der mehr und mehr gesteigerten Baulust zu suchen, welche sich der württembergischen Residenz zu dem letzten Jahrzehnt bemächtigte, und welche die dortigen Bauhandwerker nicht mehr entsprechend befriedigen konnten. So kam es, dass im Jahre 1858 die Herren Schöttle und Comp. einen Geschäftsbetrieb ins Leben riefen, welcher den Zweck hatte, sowohl ganze Häuser, von der Grabarbeit an bis zur gänzlichen Vollendung, mittelst Selbstbetriebs für eigene Rechnung zum Wiederverkauf herzustellen, als auch für Rechnung anderer Bauten und Baureparaturen aller Art, sei es aufgrund gemachter Angaben und vorgelegter Pläne, oder aufgrund selbst gefertigter Baubeschreibungen und Zeichnungen zu übernehmen, und entweder nach allen oder nach einzelnen Teilen durch eigenen Betrieb bis zur letzten Vollendung auszuführen.

Wie zu erwarten, erhob sich aus der Mitte der zünftigen Gewerbe ein lebhafter Widerspruch gegen Errichtung eines solchen Etablissements, die Zentralstelle für Gewerbe und Handel aber setzte die Erteilung der Fabrikkonzession an die Unternehmer durch, weil es deren tieferer Einsicht nicht entging, dass gerade ein solches Unternehmen anregend und hebend auf die gesamten Baugewerbe einwirken müsse und dabei einem fühlbaren Bedürfnis abgeholfen werde. Und so hat auch die Erfahrung gezeigt, dass die Schöttle’sche Fabrik auf die Bautätigkeit Stuttgarts den günstigsten Einfluss ausgeübt hat, und indem sie durch eine Reihe von Bauausführungen dartat, von welch günstigem Erfolg die ökonomische Herstellung zweckmäßig eingerichteter, mit anständigem Äußeren versehener Wohnungen begleitet sei und welchen Vorzug es verdiene, wenn ein Bauunternehmer nur mit einer Firma statt mit so und so viel einzelnen Gewerben es zu tun habe, rief sie ähnliche Unternehmungen vonseiten der zünftigen Gewerbsmeister hervor, welche nun stärker beschäftigt waren als früher.

Um nun auf die Organisation dieses weitschichtigen Geschäfts etwas näher einzugehen, so begeben wir uns zunächst, da man bei jedem Hausbau mit dem Riss beginnen muss, in das architektonische Büro, wo man ein Personal, zahlreicher als bei mancher Baubehörde, vorfindet; hier werden die Baupläne nach jedem beliebigen aufgegebenen Baustile selbst gefertigt, bezüglich aus einer auserlesenen Sammlung architektonischer Werke entnommen. Um aber auch die Bauunternehmer in den Stand zu setzen, sich die namentlich bei dem Ausbau, bezüglich der inneren Dekoration eines Hauses erforderlichen Materialien und Zutaten selbst nach Belieben auswählen zu können, unterhält die Fabrik ihr eigenes Musterlager von meist englischen, französischen und amerikanischen Musterstücken, welches immer mit den neuesten Erzeugnissen auf das Vollständigste assortiert wird; darin finden wir namentlich ein ausgewähltes Sortiment von Papier- und Ledertapeten, Verzierungen an Türen, Fenster, Treppengeländer, Tür- und Fensterbeschläge, Türgriffe, Glockenzüge, alle Arten Schlösser und Schließvorrichtungen, Ventilatoren für Zimmer, Öfen und Kamine, kurz alle zu dem erwähnten Zwecke gehörigen Requisiten. Außerdem aber sind noch dort, mehr um einen instruktiven Überblick über die im Geschäft erforderlichen Werkzeuge zu geben, als für den eigentlichen Geschäftsbetrieb selbst, alle Arten Werkzeuge zu Erd- und Steinarbeiten, Hämmer, Bohrer, Schraubenzieher, Hobel- und Stemmeisen, Mauerkellen, gleichfalls nach den neuesten und zweckmäßigsten Modellen. An das architektonische Büro schließt sich ein kaufmännisches, verbunden mit einer Magazin-Verwaltung, an.

Der technische Betrieb erfolgt zum größten Teil in der zu Stuttgart gelegenen Fabrikanlage, nur einige Branchen werden auswärts betrieben. Dies ist zunächst der Steinbruchbetrieb, welcher 5 Keuperbrüche, 4 Sandsteinbrüche und 1 Süßwasserkalkbruch umfasst, ferner die Dampfsägerei, verbunden mit einem Holzlager und Zimmerplatz in der Nähe von Berg, bewegt von einer Dampfmaschine von 40 – 45 Pferdekraft, welche nicht allein große und kleine Kreissägen, sondern auch die zu den Zimmerarbeiten bestimmten 4 Maschinen treibt. Sodann gehört hierher noch eine gleichfalls auswärts befindliche Ziegelei, wo eine Dampfmaschine von 8 – 10 Pferdekraft sämtliche hierzu erforderliche Maschinen treibt: dies sind 2 Lehmquetschmaschinen, 3 Backsteinmaschinen, von denen die größte in 10 Arbeitsstunden 20 000 Stück liefert, 2 Aufzüge, um die geformten Waren in die oberhalb des Fabriklokals befindlichen Trockenräume und von da wieder zurück in die Öfen zu bringen. Weiter sind dort noch im Gange ein Pferdegöpelwerk zum Tonmahlen, 6 Ziegelöfen, je 15 000 Stück fassend, 2 Kalköfen, 1 Tonwarenofen nach eigentümlicher Konstruktion, eine Ton- und Sandmühle mit Staubmühle und andere Vorrichtungen, die wir, da hieraus schon der gewaltige Umfang des Geschäfts zur Genüge hervorgeht, nicht weiter anführen mögen.

Die Steinhauer- und Maurerarbeiten, die Zimmer- und Wagnerarbeiten, die Schlosser-, Schmiede- und Flaschnerarbeiten, die Schreiner-, Glaser- und Dreherarbeiten, die Maler-, Tapezierer- und Anstrichsarbeiten gehören gleichfalls zum Geschäftsbetrieb der Fabrik und werden soweit tunlich in dieser selbst gefertigt; den verschiedenen Werkstätten jeder Branche stehen Arbeitsmeister vor. Sämtliche in diesen Werkstätten erforderlichen Maschinen, von deren einzelner Aufzählung wir absehen, werden durch eine Dampfmaschine von 25 Pferdekraft getrieben. Überdies werden, namentlich zum Transport von Baumaterial, noch 50 Pferde verwendet. Die durchschnittliche Anzahl der Arbeiter beträgt zu Sommerszeiten gegen 1500, im Winter etwa die Hälfte davon.

• Dr. Mirus

• Auf epilog.de am 13. September 2016 veröffentlicht

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