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Die Luft- oder Röhren-Post in London

Polytechnisches Journal • 1863

Voraussichtliche Lesezeit rund 11 Minuten.
Die Längenangaben und andere Maße des Originaltextes wurden in das metrische System umgerechnet.

Die Luft- oder Röhrenpost (pneumatic dispatch) ist unzweifelhaft eine besondere Form der atmosphärischen Eisenbahn, aber eine von allen bisher vergeblich versuchten abweichende, welche ihren Erfolg der Annahme von drei Grundprinzipien verdankt, die bei dem früheren atmosphärischen Eisenbahnsystem unberücksichtigt blieben, nämlich der Benutzung einer sehr weiten Röhre, eines sehr niedrigen Luftdruckes und der Fortschaffung durch Saugen sowohl wie durch Komprimieren der Luft, einzeln oder gleichzeitig angewandt.

Anfangs sollte die Luftpost nur Briefe oder Depeschen befördern und wurde daher nur in sehr kleinem Maßstab ausgeführt. In der Hand des Ingenieurs Rammell ist sie jedoch zu einem Transportmittel geworden, welches fast in jedem Maßstab zur Beförderung von Postsäcken, sowie von Frachtgut aller Art, ja sogar von Passagieren benutzt werden kann. Der jetzt in Benutzung stehende Apparat dient zur Beförderung der Postsäcke von der Eisenbahn nach dem Postamt in der Eversholt Street, eine Entfernung von etwa 550 m.

Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 1

Dicht an der Euston-Ankunftsstation sieht man ein kleines einstöckiges Gebäude mit einem schlanken Schornstein: dies ist das eine Ende der Luftpost. Wir treten ein und finden, einige Stufen tiefer, einen engen gusseisernen Tunnel (Fig. 3) mit gewölbter Decke und einem fast flachen Boden, welcher mit zwei Schienensträngen versehen ist. Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 2 Dieser Tunnel misst in der Höhe rund 90 cm bei etwa gleicher größter Breite; an einer Seite des Gebäudes geht er durch die Mauer hindurch. Die auf dem Fußboden des Gebäudes befindlichen Schienen erstrecken sich an der entgegengesetzten Mauer in einen korrespondierenden Tunnel; letzterer ist jedoch nur eine kurze Mauervertiefung (in Fig. 3 rechts), welche als Luftkissen für die von der Post in die Eversholt Street zurückkommenden Wagen wirkt.

In der Mitte des Raumes auf den Schienen, zwischen diesen beiden Tunnel-Öffnungen, bemerken wir zwei oder drei eiserne vierrädrige Wagen von der in Fig. 11 u. 12 in Endansicht und halben Durchschnitten dargestellten Einrichtung. Diese Wagen sind hohle, wiegenartige Kasten von beträchtlicher Größe und von einer der Form der Tunnelröhren entsprechenden Gestalt, jedoch rings herum etwa um 3 cm kleiner. Die in gewöhnlicher Weise zusammengefügten gusseisernen Tunnelröhren gehen unter den Straßen und Häusern fort (Fig. 1), und haben Steigungen von 1 : 100 bis 1 : 80. Sie begreifen drei wichtige Kurven, nämlich zwei einander entgegengesetzte an der Euston-Station (Fig. 3) von 33,5 m Radius, und eine an der Poststation (Fig. 2) von nur 12 m Radius; dieselben waren durch die Örtlichkeit bedingt und beweisen, wie leicht sich solche Einrichtungen den kurzen Biegungen der Straßen usw. anschmiegen können.

Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 3

An der letztgenannten Poststation befindet sich keinerlei Apparat; man sieht daselbst nur in einem wegen lokaler Umstände unter der Erde angebrachten Gebäude das offene Ende der Tunnelröhre, ein aus derselben herauskommendes Schienenpaar und gegenüber eine Pufferröhre.

Die ganze Einrichtung zum Hin- und Herführen der Wagen befindet sich an der Euston-Station. Der Hauptteil des Apparates stellt sich uns in Form eines aus Kesselblech angefertigten großen, flachen Gehäuses mit rundem Oberteil dar, welches 120 cm über dem Boden vorragt, von einer auf gusseisernem Gestell laufenden schmiedeeisernen Welle durchzogen ist und ›Auswerfer‹ (pneumatic ejector) benannt wird. Derselbe ist in Fig. 3 im Grundriss, in Fig. 4 in vergrößertem Seitenaufriss und in Fig. 5 u. 6 in senkrechtem und horizontalem Durchschnitt dargestellt; sein Zweck ist, die Luft in Bewegung zu setzen um die Wagen von Euston aus durch Einblasen, und zurück durch Aussaugen von Luft zu befördern. Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 4 Hinter dem großen Gehäuse mit seinem Luftrad (Ventilator) von 6,5 m Durchmesser befindet sich eine kleine Hochdruck-Dampfmaschine mit einem Zylinder von 38 cm Durchmesser und 40 cm Hublänge, welcher schief aufgestellt ist und dessen Kolben direct an der Welle des Luftrades angreift. Neben der Maschine liegt ein zylindrischer Kessel mit innerer Feuerung, welcher Dampf von 2,7 Atmosphären liefert.

Endlich gehören zu dem Apparate noch die erforderlichen Einrichtungen zum Öffnen und Schließen des Tunnels bei Ankunft oder Abgang der Wagen sowie zur Bewirkung des Einblasens oder des Aussaugens der Luft, und außerdem ein elektrischer Telegraf zur Korrespondenz zwischen den beiden Endstationen.

Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 5

Im Innern des erwähnten Gehäuses, welches durch eine Tür zugänglich ist, befindet sich eine um ihren Mittelpunkt bewegliche kreisförmige hohle Scheibe von Eisenblech (Fig. 5 u. 6). Die gegenüberliegenden Seiten derselben sind Drehungsflächen, erzeugt durch Kurven, welche nahezu Hyperbeln sind, eine gemeinschaftliche Asymptote an der Achse haben und an der Peripherie in Tangenten parallel mit der Drehungsebene enden. An jeder Seite des Gehäuses erhebt sich in der Mitte desselben ein gusseiserner Luftkanal (welchen man in Fig. 5 u. 6 sieht, und im Seitenaufriss in Fig. 4), deren Gesamt-Querschnittsfläche etwas größer als der Querschnitt des Tunnels ist. Die äußeren Enden dieser beiden Kanäle können, wenn sie vereinigt sind, durch die Drosselklappen und Seitenröhren (Fig. 5 u. 6) entweder mit der äußeren Luft oder nur mit dem Inneren des Tunnels (an diesem Ende) verbunden werden. Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 6 Die Luftkanäle enden an jeder Seite der rotierenden Scheibe in kreisförmigen Mündungen von etwa 90 cm Durchmesser, an welche entsprechende Mündungen an der Mitte der Scheibe gepasst sind, so dass, während letztere sich frei umdrehen kann, doch an den Berührungskreisen ein luftdichter Verschluss mittelst einer Lederscheibe hergestellt ist. Die Welle ist in der rotierenden Scheibe durch radiale Rippen befestigt und die gekrümmten Seiten der Scheibe sind ebenfalls durch Rippen verstärkt. Die Weite des Raumes zwischen den Seiten oder Wangen der Scheibe beträgt an ihrer Peripherie nur 5 cm. In Folge der Kurve, welche die Form bestimmt, ist eine senkrechte Durchschnittsfläche des Raumes zwischen den Wangen in jeder Entfernung vom Mittelpunkt dieselbe und gleich dem Querschnitt der eben beschriebenen Eintrittsöffnungen. Wenn die Scheibe sich dreht, wird die in ihr befindliche Luft an der Peripherie in das Gehäuse ausgeschleudert und durch die in der Mitte eingesogene Luft ersetzt. Aus dem Gehäuse tritt die ausgeschleuderte Luft durch die in den Figuren 5, 6, 7 u. 8 dargestellten Röhren und Klappen entweder in die Tunnelröhre zum Blasen – um die Wagen fortzuschieben – oder sie wird aus dem Tunnel durch die in Fig. 7 u. 8 dargestellte gegitterte Öffnung gesaugt und aus dem Gehäuse ins Freie geführt – wo sie dann die Wagen durch die Röhre hindurchsaugt.

Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 7

Fig. 9 u. 10 zeigen im Längen- und Querdurchschnitt die Einrichtungen an der Euston-Seite des Tunnels, wodurch, nachdem der Wagenzug ins Innere geschoben ist, das Ende durch eine leichte Falltür von Eisenblech geschlossen wird. Diese Tür ist mit Gegengewichten und Sperrkegeln versehen, so dass sie durch den zurückkommenden Zug selbsttätig geöffnet wird. Die Vorderräder des ersten Wagens laufen über ein paar Rollen, welche etwas über die Schienenfläche hervorragen und auf den Enden zweier langer Hebel (Fig. 9) aufliegen. Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 8 Dadurch werden die entsprechenden Enden dieser Hebel niedergedrückt, somit die Sperrhaken ausgelöst und die Gewichte um einige Zentimeter niedergelassen, worauf die Tür unmittelbar vor dem Austritt des Zuges sich öffnet. Eine große stellbare Klappe (Fig. 9), welche oben auf dem Tunnel angebracht ist, gestattet mit vollkommener Leichtigkeit und Sicherheit die Schnelligkeit des Zuges zu mäßigen, so dass die Wagen fast jedes Mal an derselben Stelle, wenige Meter vom Ende der Röhre, zur Ruhe kommen.

Das Hin- und Hergehen der Züge geschieht in fast unglaublich kurzer Zeit. Die Kurve von 12 m Radius macht an Eversholt Street die Verminderung der Schnelligkeit nötig; die wirkliche Geschwindigkeit ist daher in diesem gebogenen Rohr 26 km/h. Dabei macht die Scheibe des Ventilators 100 – 110 Umdrehungen in der Minute und erzeugt einen Luftdruck von 10 cm Wassersäule, die Luft mag nach der einen oder anderen Richtung bewegt werden. Es werden jetzt etwa 15 Wagenzüge täglich auf der ganzen Entfernung hin- und herbewegt; es ist klar, dass dies bei weitem nicht der Leistungsfähigkeit des Apparates gleichkommt und dass der Dampfkonsum daher ein viel zu großer ist; dennoch beträgt der tägliche Verbrauch an Brennmaterial (Koks und ein wenig Steinkohlen) in zehn Stunden nur 21 Bushels [rd. 600 kg] und kostet etwa 6 Shilling, so dass das Brennmaterial für eine Doppelfahrt nur auf 5 Pence zu stehen kommt.

Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 9 u. 10

Die Luftpost soll demnächst bis zum Hauptpostamt und zu einigen anderen Nebenämtern fortgeführt werden, wodurch natürlich wegen besserer Ausnützung der Dampfmaschine die Kosten für jeden Transport sehr vermindert werden müssen.

Zu bemerken ist noch, dass die Bewegung jeden Wagenzuges in demselben Augenblicke beginnt, wo der Ventilator zu arbeiten anfängt, und dass nicht, wie bei den früheren atmosphärischen Eisenbahnen, vorher ein gewisses Vakuum hergestellt zu sein braucht.

Wegen des intermittierenden Arbeitens der Betriebskraft ist natürlich die Dampfbenützung keine ökonomische; der beste Effekt dürfte in derartigen Fällen nur durch das System der Kraft-Ansammlung zu erreichen sein. Luft- oder Röhren-Post in LondonFig. 11 u. 12 Wenn z. B. zum Betrieb des Ventilators 30 Pferdekräfte jede Stunde nur 5 Minuten lang erfordert werden, die Dampfmaschine also die übrigen 55 Minuten ruhen kann, so würde man am besten tun, nur eine Maschine von dem zehnten Teil dieser Kraft anzuwenden und dieselbe die ganze Zeit hindurch arbeiten zu lassen, indem man die Luft in einem großen unterirdischen Behälter von Kesselblech auf einen hohen Druck komprimieren ließe. In den erforderlichen 5 Minuten würde diese Luft dann eine Luftmaschine in Tätigkeit setzen können und die kleine Dampfmaschine den nötigen Vorrat an komprimierter Luft stets unterhalten. Je nach den örtlichen Verhältnissen könnte auch die Dampfmaschine in ein höher gelegenes Sammelgefäß Wasser pumpen und durch dieses Wasser von Zeit zu Zeit ein Rad in Bewegung gesetzt werden, welches den Ventilator triebe.

Das beschriebene Transportsystem soll in nächster Zeit für Steinkohlen in gewissen Distrikten angewendet werden, wo Eisenbahnen zu teuer kommen.

• Auf epilog.de am 4. Dezember 2022 veröffentlicht

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