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Die atmosphärische Eisenbahn oder Telegrafie

Das Buch für Alle • 1873

Bekanntlich besteht schon seit einigen Jahrzehnten in England ein Verfahren, um in verschlossenen eisernen Röhren mittelst eines luftleer gemachten Raums kleine hohle Zylinder von Blech mit Briefschaften auf größere Strecken hin zu befördern, was man atmosphärische Eisenbahn oder besser atmosphärische Telegrafie nennt. Der Gedanke, Frachten und selbst Passagiere auf solche Art durch Luftdruck zu befördern ist nicht neu, sondern schon vor mehr als 200 Jahren durch Papin, dem Erfinder des Dampfkochtopfes, angeregt worden, welchem die sogenannte Windbüchse den Gedanken eingegeben hatte, Wagen mit Passagieren und Waren durch Einwirkung von komprimierter Luft auf deren Rückseite durch eine geeignete Tunnelröhre blasen zu lassen, etwa wie man mit den Lippen eine Lehmkugel durch ein Blaserohr schleudert. So fruchtbar und theoretisch richtig dieser Gedanke war, so kam er damals doch nicht zur Ausführung, weil die Verkehrsverhältnisse noch ganz andere waren und die heutigen Opfer für dieselben nicht ertragen konnten.

Vor etwa 60 Jahren griff ein englischer Erfinder Namens Medhurst diese Idee wieder auf und arbeitete einen vollständigen Plan zu Anlage und Betrieb einer atmosphärischen Eisenbahn aus, welche sogar Reisende sollte befördern können. Allein es fehlte damals noch an Boden für solche Ideen, und so wurde das Projekt, lebende Menschen und Waren aller Art mittelst komprimierter Luft durch eine gusseiserne Röhre zu schießen, wie die Lehmkugel eines Blaserohrs oder den Bolz einer Windbüchse, als ein Tollhäusler-Gedanke wieder fallengelassen, und mehrere Jahrzehnte vergingen unter nutzlosen Versuchen, die komprimierte Luft als Triebkraft für Eisenbahnen zu verwenden, bis man sich endlich überzeugte, dass das Verfahren zur Beförderung von Briefen oder Depeschen ganz ausgezeichnete Dienste leiste.

Der Versuch der sogenannten Luftpost oder pneumatischen Brief- und Paket-Beförderung, welcher vor etwa 20 Jahren in London gemacht wurde, gelang schon besser; aber die Sache erwies sich erst dann als ausführbar, als man sich darauf beschränkte, nur Depeschen auf dünnem Papier in Blechkapseln zu spedieren, welche in Eisenröhren von wenigen Zentimetern Lichtweite durch Luftdruck befördert wurden. Nachdem diese Methode sich in England vielfach erprobt hatte, ist sie nun auch in Paris eingeführt worden und dient zunächst zur Beförderung der aus dem Ausland und der Provinz kommenden Depeschen des elektrischen Telegrafen nach den verschiedenen Stadtteilen von Paris und zur Beförderung der Depeschen, welche in Paris selbst für die verschiedenen Stadtteile aufgegeben werden.

Atmosphärische TelegrafieDie atmosphärische Telegrafie: Der Empfangs- und Expeditions-Apparat.

Zu diesem Zweck sind in Paris 16 verschiedene Leitungen von unterirdischen eisernen Röhren angelegt worden, deren jede einen Durchschnitt von 20 – 30 cm und eine mittlere Länge von etwa 1200 m hat. Diese 16 an einander gereihten Röhren sind durch 16 Stationen oder Telegrafenbüros getrennt, deren jede mit den erforderlichen Apparaten zur Komprimierung der Luft in der einen und Aussaugung derselben in der anderen Röhre versehen ist. Unser Bild stellt eine solche Station und einen der Bediensteten in dem Augenblicke dar, wo er eine Anzahl Blechbüchsen mit Depeschen in die Röhre legt, um sie nach der nächsten Station zu befördern. Diese Büchsen legen die Entfernung von etwa 1200 m nach der nächsten Station ungefähr in einer Minute zurück, sobald der Apparat spielt, und diese Geschwindigkeit könnte durch Verstärkung des Luftdruckes nötigenfalls noch beschleunigt werden; aber sie dient vorerst vollkommen ihrem Zweck. Die Verteilung der auf der Zentral-Administration der elektrischen Telegrafen ankommenden Telegramme und die Beförderung der für den Pariser Dienst aufgegebenen Depeschen (welche nicht telegrafisch, sondern nur auf dem eben angegebenen pneumatischen oder atmosphärischen Wege geschieht) wird in solch rascher und zufriedenstellender Weise vermittelt, dass die Ausgabe derselben in den einzelnen Stadtteilen unendlich schneller erfolgt, als dies bei irgend einer anderen Beförderung derselben nach den einzelnen Bezirken der Stadt der Fall wäre, namentlich unendlich schneller und sicherer, als dies mittelst Umtelegrafieren nach den Stationen der einzelnen Arrondissements möglich wäre.

• O. M.

• Auf epilog.de am 26. Juni 2024 veröffentlicht

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