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Die Insel Rügen

Pfennig Magazin • 21.8.1841

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Unter der nicht eben großen Zahl von Inseln, die als Anhängsel und Bestandteile Deutschlands zu betrachten sind, ist die Insel Rügen bekanntlich bei weitem die größte und interessanteste und bildet sehr oft das Ziel von Reisenden, besonders aus Norddeutschland, die sich an landschaftlichen Reizen, welche den zunächst liegenden Gegenden des Festlandes fast ganz abgehen, zugleich aber an dem erhabenen Anblick des Meeres weiden wollen.

Rügen

Sie liegt in der Ostsee, gehört zur preußischen Provinz Pommern (und zwar nach der früheren Einteilung zu Vorpommern), von deren Hauptstadt Stettin der nächste Punkt Rügens etwa 15 Meilen entfernt ist, [eine Deutsche Landmeile entspricht 7532,5 m] bildet mit einigen kleineren Inseln den Kreis Bergen im Regierungsbezirk Stralsund und hat einen Flächenraum von 17 Quadratmeilen. Die größte Lange von N. nach S. beträgt 7, die größte Breite von O. nach W. 5 ½ Meilen. Der ¼ Meile breite und gegen 4 Meilen lange Meeresarm Gollen oder Gellen, an dessen westlichem Ufer die Stadt Stralsund liegt, und welcher in den Meerbusen Bodden zwischen Pommern und der Südostküste Rügens mündet, trennt die Insel im Südwesten vom festen Land, mit welchem sie in uralter Zeit zusammengehangen zu haben scheint.

Tiefe Busen, von denen die Insel zerschnitten ist, bilden die Halbinseln Mönchgut in Südosten, Jasmund in Nordosten, Wittow in Nordwesten. Die Insel ist fast überall eben, besonders im Westen, erhebt sich aber nach der Mitte zu. Eine der größten Erbebungen im Inneren ist der 91 m hohe Berg Rugard, auf welchem die Residenz der alten Fürsten der Insel stand. Die nördlichen Küsten bestehen meist aus schroffen und steilen Kreidewänden. Flüsse sind auf der Insel nicht zu finden, kaum ein einigermaßen beträchtlicher Bach. Die Witterung ist sehr veränderlich und die Luft oft sehr nebelig; der Herbst ist die schönste Zeit des Jahres, aber auch der Frühling ist wegen des trockenen Ostwindes sehr angenehm.

Der Boden (teils Kreide- und Sand- teils Kleiboden) ist mit Ausnahme einiger Sandstriche und Torfmoore sehr fruchtbar und liefert so viel Getreide, dass davon sogar ausgeführt zu werden pflegt (jährlich 1000 und mehr Lasten [eine Last sind rund 2 Tonnen]).

Auch die Fischerei und Viehzucht (besonders die Gänsezucht) sind wichtig. Holz ist nicht in hinreichender Menge vorhanden und wird daher aus Pommern geholt, doch wird an einigen Orten Torf gegraben. Die Küste liefert auch Seehunde und etwas Bernstein. Die Einwohner, ungefähr 30 000 an Zahl, sind fleißig, ausgezeichnet durch ihre Gastfreundschaft, der Schifffahrt und des Fischfangs wohl kundig. Der Adel ist so zahlreich, dass die Insel mit Edelhöfen gleichsam übersät ist.

Die merkwürdigsten Punkte der Insel sind die Nord- und die Nordostspitze, beide steile Kalkfelsen (mit Feuersteinen und Versteinerungen untermischt), deren Gipfel und Abhang zum Teil mit Wald bedeckt sind und eine weite Aussicht über das Meer darbieten, dessen Wellen den Fuß der Felsen bespülen. Die Nordspitze (zugleich die nördlichste Spitze, wenn auch nicht im strengsten Sinn der nördlichste Punkt Deutschlands) ist das 43 m hohe, schroff abgeschnittene Vorgebirge Arkon oder Arkona auf der fruchtbaren Halbinsel Wittow, welchen unsere Abbildung darstellt. Es hat seinen Namen von der alten wendischen Stadt oder Burg dieses Namens, die 1168 von dem dänischen Könige Woldemar I. erobert und zerstört wurde und seitdem spurlos verschwunden ist; sie enthielt den Haupttempel des von allen norddeutschen Slawen verehrten Gottes Swantewit, dessen Dienste bei jener Gelegenheit ein Ende gemacht wurde. Auf der Westseite des Vorgebirges ist noch ein hoher aufgeworfener Erdwall mit Einschnitten des Kammes übrig, der zum Schutz der Burg diente; weiter ist nichts von ihr geblieben. Über diesem Wall steht ein in der neuesten Zeit (1826) erbauter, zum Besten der das Vorgebirge umfahrenden Schiffe dienender Leuchtturm, von welchem aus man eine weite Aussicht über die Insel und das Meer hat und die dänische Insel Moen erblicken kann. In dem Dorf Altenkirchen auf Wittow, zu dessen Kirchspiel Arkona gehört, lebte der treffliche Dichter Ludwig Theobul Kosegarten (geb. 1758, gest. 1818 als Professor der Theologie zu Greifswald) 15 Jahre lang, 1792 – 1807, als Prediger.

Noch romantischer und majestätischer ist die Nordostspitze der Insel, das Vorgebirge Stubbenkammer auf der Halbinsel Jasmund, die von Wittow durch einen großen Meerbusen, das Tromper-Wyck getrennt ist, mit derselben aber durch einen schmalen Landstrich, die sogenannte schmale Haide oder Schabe, durch einen andern mit der Insel selbst zusammenhängt. Die Stubbenkammer (eigentlich Kammen oder Kammin, d. h. Stein oder Felsen) ist ein sehr steiles und hohes, nach dem Meer fast senkrecht abfallendes Kreidegebirge, dessen höchste schön bewaldete Spitze, der Königsstuhl (König-Friedrich-Wilhelm-Stuhl), 117 m über dem Meere erhaben ist; eingehauene Stufen führen von ihr zum Strand hinab. Südlich vom Königsstuhl ist ein tiefer Abgrund, aus welchem unaufhörlich ein starkes, sehr klares Gewässer auf das in der Tiefe stehende Gebüsch und von da in das Meer stürzt. Das ganze Vorgebirge nimmt ein fast zwei Meilen langer Buchenwald, Stubbenis genannt, ein; in demselben findet sich ein Burgwall von außerordentlicher Höhe, in welchem nach der Vermutung Einiger der Tempel der altdeutschen Göttin Hertha gestanden haben soll, die nach der Erzählung des Tacitus (in seiner merkwürdigen Schrift über Deutschland) von den alten Rugiern verehrt wurde; neben demselben der ovale Burg- (Borg-) oder schwarze See, auch Hertha See genannt, der durchschnittlich 150 m im Durchmesser und 11 m Tiefe hat; die Fische desselben sind von schwärzlicher Farbe, aber wohlschmeckend.

Die Insel enthält zwei Städte:

  • Bergen, die Hauptstadt, in alten Zeiten Gora genannt, liegt an und auf einem Berg, in der höchsten Gegend der Insel, wurde 1190 durch Fürst Jaromir I. angelegt, erst 1613 aber zur Stadt erhoben und hat 3000 Einwohner. Die Stadt hat Tuchmanufakturen und Branntweinbrennereien, außerdem Ackerbau; das von dem Erbauer der Stadt 1193 angelegte adelige Fräuleinstift besteht noch jetzt. Auf der nordöstlichen Seite der Stadt liegt der Berg Rugard oder Rugigard mit der alten Burg der Rügen, die bis 1631 eine ansehnliche Festung war; seitdem liegt sie in Trümmern; nichts als ein Wall ist erhalten.
  • Gars, eine ziemlich gutgebaute Stadt an einem See, zählt nur 1500 Einwohner; sie wurde 1317 angelegt. Einst stand hier die 1169 zerstörte Festung und Residenz Carenza (Charenz), welche zur Zeit der wendischen Herrschaft die Tempel der Gottheiten Rugevit, Poverit und Porenutz enthielt.

Interessanter und volkreicher als diese beiden kleinen Orte ist der Flecken Putbus unweit der Südküste, welcher 4000 Einwohner zählt und der Hauptort der Fideikommiss-Herrschaft der von den alten rügischen Fürsten abstammenden Fürsten von Putbus ist. Das fürstliche Schloss ist von schönen Anlagen umgeben und das hier befindliche Seebad zieht eine nicht geringe Zahl von Besuchern herbei. Bei dem Flecken Sagard aus der Halbinsel Jasmund ist ein Gesundbrunnen.

Über die Geschichte der Insel Rügen (in früheren Zeiten Roja oder Royen genannt) bemerken wir Folgendes: Sie hat ihren Namen von den alten Rugiern, die anfänglich auf der pommerschen Südküste jenseits der Oder wohnten, später aber die von ihnen benannte Insel zu ihrem Hauptwohnsitz machten. Im Jahr 1868 eroberte der dänische König Waldemar I. Rügen, nötigte die Einwohner zur Annahme des Christentums und machte die eingeborenen rügischen Fürsten zu seinen Vasallen und Lehnsträgern. Als der letzte Fürst, Wizlaw III., im Jahr 1325 starb, wurde die Insel nicht der Krone Dänemark einverleibt, sondern dem slawischen Herzog Wratislaw IV. von Pommern zu Lehn gegeben, hatte aber bis 1478, wo Herzog Wratislaw IV. starb, eigene Fürsten; im gedachten Jahr wurde es unter Herzog Boguslaw ganz mit Pommern vereinigt. Im Westfälischen Frieden, nachdem 1637 die alten slawischen Herzöge von Pommern mit Boguslaw XIV. ausgestorben waren, kam die Insel als abgesondertes Fürstentum an die Krone Schweden, welcher 1658 und 1660 auch alle von Dänemark bisher noch ausgeübte geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit abgetreten wurde. Im Jahr 1715 kam sie an Dänemark, aber schon 1720 wieder an Schweden; 1815 wurde sie als Bestandteil des schwedischen Pommern an Preußen abgetreten. Die Fürsten von Putbus stammen von dem Enkel des rügischen Fürsten Stoislaw I., Borante, ab, welcher 1249 als Apanage das Schloss oder den Edelhof Putbus, die Halbinsel Jasmund, 15 Dörfer usw. erhielt. Von jenem Edelhof nannten sie sich Herren auch Freiherren von Putbus: 1727 wurden sie deutsche, 1731 schwedische Reichsgrafen. König Gustav IV. von Schweden erhob 1807 den Grafen Malte von Putbus in den schwedischen Fürstenstand; König Friedrich Wilhelm III. von Preußen bestätigte 1811 diese Würde.

• Auf epilog.de am 25. Juni 2017 veröffentlicht

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