Forschung & Technik – Raumfahrt
Der kontrollierte Wiedereintritt der russischen Raumstation Mir
tvi.ticker • 2. März 2001
Mit dem unbemannten Raumfahrzeug Progress M 1-5, das am 27. Januar 2001 an die Mir angedockt wurde, soll das geplante De-Orbiting-Manöver durchgeführt werden. Progress enthält rund 2,7 Tonnen Treibstoff; die Mir-Station selbst hat nur kleine Triebwerke zur Lageregelung. Die Mir-Station sinkt zurzeit durch die natürliche Bremswirkung der Hochatmosphäre rund 1,3 km pro Tag mit zunehmender Tendenz. Aktuell befindet sie sich in 266 km mittlerer Bahnhöhe. Bis zum Erreichen einer mittleren Bahnhöhe von 250 km lässt man die Station allein durch das natürliche Abbremsen in der Restatmosphäre der Erde absinken. Dies wird in der Zeit vom 6. bis 14. März 2001 erwartet.
Am 23. März 2001 wurde die Mir mit drei Bremsschüben zum kontrollierten Wiedereintritt in die Atmosphäre gebracht. Rund 40 Tonnen nicht verglühte Trümmer stürzten südöstlich der Fidschi-Insel in den Pazifischen Ozean. Das Zentrum der Absturzstelle befand sich bei den Koordinaten 44° 12″ S / 150° W.Wenn Mir diese Bahnhöhe von 250 km erreicht hat, wird eine Kommission unter Leitung des Chefs der russischen Raumfahrtagentur, Yuri Koptyev, die Entscheidung über den konkreten Termin für das Einleiten der Bremsmanöver und damit den Wiedereintritt treffen. Diese Entscheidung wird für den 12. März erwartet. Bei rund 230 km Bahnhöhe – diese Bahnhöhe soll zwischen dem 15. und 21. März erreicht sein – wird dann die Station so gedreht, dass das Triebwerk von Progress in Flugrichtung zeigt. Nun können erste Bremsimpulse durch Zünden des Progress-Haupttriebwerks gegeben werden. Dadurch wird die Station weiter abgesenkt und in eine elliptische Umlaufbahn gebracht, deren erdnächster Punkt bei 150 km bereits auf der geographischen Breite des späteren Zielgebiets liegt. Dieses erste aktive Absenken wird sich über 20 bis 30 Stunden erstrecken. Ein letztes Bremsmanöver wird die Station schließlich in die dichteren Schichten der Atmosphäre wiedereintauchen lassen. Dazu wird Progress rund 800 Sekunden lang gezündet. Die Mir-Station wird dadurch nochmals um ca. 20 m/sek. abgebremst. Das kontrollierte De-Orbiting eines Raumfahrzeuges ist grundsätzlich ein verhältnismäßig häufig vorkommendes Manöver. Das dafür benutzte Progress-Raumfahrzeug hat bei seinen bisherigen mehr als 40 Einsätzen stets einwandfrei funktioniert.
Das vorgesehene Zielgebiet liegt bei 47° Süd und 140° West, also rund 3500 bis 4000 km südöstlich von Neuseeland und westlich von Südamerika in einer der menschenleersten Ozeanregionen der Erde und jenseits von gängigen Schifffahrtslinien. Das Auseinanderbrechen der Mir wird in einer Höhe von 90 bis 60 km geschehen. Unter der enormen Reibungshitze verglüht der größte Teil der Station. Bruchstücke, die nicht verdampfen, verteilen sich im Zielgebiet auf eine Fläche, die etwa 3000 km lang und 200 km breit sein wird. Russland wird nach international etablierten Regeln vorsorglich den Luft- und Schiffsverkehr warnen.
Risiken für Europa gering
Sofern bei diesem Manöver Probleme auftreten, wird die Mir in mehr oder weniger großer Entfernung vom Zielgebiet, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber auf der Südhalbkugel der Erde niedergehen. Für den Fall, dass dies auf der Nordhalbkugel erfolgt, ist der Niedergang einzelner Bruchstücke in Deutschland nicht völlig auszuschließen, da Flugbahnen der Mir auch über Deutschland führen. Im unwahrscheinlichen Fall eines völligen Verlustes der Kontrolle über die Mir und der Progress würde die Mir-Station Ende März / Anfang April in die Atmosphäre eintreten und die nicht verglühten Teile kämen irgendwo zwischen 52,6° nördlicher und 52,6° südlicher Breite auf die Erde herunter. Sollte es wider Erwarten zu massiven Fehlfunktionen des Progress kommen, wird über mögliche Risiken rechtzeitig informiert.
Internationale Zusammenarbeit
Bei einem derart bedeutenden Manöver arbeiten alle wichtigen Raumfahrtnationen zusammen. Das russische Raumfahrt-Bodenkontrollzentrum, das die Verantwortung trägt, wird von Einrichtungen der USA und Europas insbesondere durch Austausch von gemessenen und gerechneten Bahndaten unterstützt. In Westeuropa wurde ein Informationsverbund errichtet, dessen Zentrum das Europäische Raumfahrt-Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt ist.