Forschung & TechnikTechnik

Das Perpetuum mobile

Die Gartenlaube • 1859

Voraussichtliche Lesezeit rund 13 Minuten.

Die großen Erfolge, welche vorzüglich die Mechanik zu Ausgang des Mittelalters in dem Licht, das von dem Morgenrot der auftauchenden Sonne naturwissenschaftlicher Erkenntnis ausging, erreichte, berauschte die Gemüter über alles. Warum sollte es, da man in den Wirkungen des Schießpulvers so kolossale Kräfteäußerungen erblickte, von denen man sich nicht erklären konnte, wo sie herkamen, nicht auch möglich sein, durch Federn und Getriebe geheimnisvolle Kräftequellen zu benützen, von denen man sich überall umgeben glaubte? Brachte doch die Natur in den Menschen und Tieren Mechanismen (so dachte man sich damals) hervor, welche eine Zeit lang Arbeit verrichten, dann hingehen zu sterben, aber Alles aus sich selbst produzierend. Das neugeborene Kind hatte doch die Kraft nicht wie ein ausgewachsener Mann. Es musste also der Mensch in Folge einer gewissen inneren Konstruktion Kräfte aus sich heraus zu entwickeln im Stande sein, denn er brauchte nicht wie eine Uhr aufgezogen zu werden, und konnte doch immer ein gewisses Quantum Arbeit leisten. Es schien also der Weisheit des Menschen nur aufgegeben zu sein, aus einem dauerhafteren Stoff, als es Fleisch und Blut ist, eine ähnliche Maschine herzustellen. Darin lag dann der Born materieller Glückseligkeit, die unversiegbare Quelle der Kraft und verkäuflicher Arbeit.

Mit der Erfindung des Perpetuum mobile wäre das Problem gelöst gewesen, deshalb haben sich Tausende von denkenden Köpfen an die Enträtselung dieser Aufgabe gemacht. Die Klarsten darunter, die mit den Gesetzen der Mechanik am meisten vertraut waren, kamen auf die eitle Darstellung menschen- und tierähnlicher Gebilde, die – durch einen inneren Mechanismus getrieben – Bewegungen machten ähnlich denen freiwillig handelnder Wesen. Die Menge mitunter höchst scharfsinnig und geistreich erfundener Automaten sind auf dem Wege nach dem Perpetuum mobile entstanden. Johannes Müller (Regiomontanus) verfertigte außer seinen Räderwerken, die den Umlauf der Planeten darstellten, eine Fliege, die auf dem Tische herumkroch, sowie einen Adler, der den Kaiser Maximilian bei seinem Einzuge 1570 an den Toren Nürnbergs mit Flügelschlagen begrüßte. Baucansons Ente fraß und gab das Verdaute wieder von sich; und ein Flötenspieler desselben Künstlers, der die Finger richtig setzte, machte großes Aufsehen. Droz setzte eine Klavierspielerin zusammen, die dem Spiel ihrer Hände mit den Augen folgte, nach der Beendigung aufstand und der Gesellschaft eine Verbeugung machte, und ein anderer Automat stellte einen Knaben vor, der auf ein untergelegtes Stück Pergament mit sicherer Hand einige Figuren zeichnete, den Staub des Bleistifts wegblies und von Zeit zu Zeit sich die gefertigte Zeichnung besah. Es waren alles eitle Spielereien, die dadurch, dass sie versuchten, die tausend verschiedenen Dienstleistungen eines Menschen auf mechanischem Wege zu vollziehen, nimmer irgendeine dauernde Beachtung beanspruchen konnten. Unsere jetzigen Maschinen unterscheiden sich dadurch wesentlich von ihnen, dass hier gerade entgegengesetzt nur eine Dienstleistung, aber anstelle von tausend Menschen verrichtet wird.

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• Auf epilog.de am 15. Oktober 2016 veröffentlicht

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