Handel & Industrie – Druck & Papier
Bücher-Vervielfältigung in altrömischer Zeit
Die Abendschule • 31.1.1879
Wir modernen Menschen tun uns gern etwas auf die Entwickelung unserer literarischen Verhältnisse, der Presse und des gegenwärtigen Buchhandels zugute und staunen wohl über die hohen Auflagen, welche von den Werken unserer großen Schriftsteller und von einzelnen beliebten und bedeutenden Büchern gedruckt werden. Allein wir dürfen nicht vergessen, dass auch in früheren Zeiten das geistige Leben und der literarische Verkehr nicht fehlten, ja dass es vielmehr schon in dem römischen Altertum einen Buchhandel gab, welcher an Bedeutung dem heutigen verhältnismäßig gleich stand und jedenfalls bedeutender war als derjenige im heutigen Italien.
Im alten Rom gab es zu Anfang der Kaiserzeit eine Menge Buchläden am Forum, im nördlicher gelegenen Argiletum und anderwärts; an den Säulen der Vorhallen waren die Titel und Inhaltsanzeigen der hier vorrätigen Bücher, die natürlich nur geschrieben waren, ausgehängt. Im Laden selbst fand man die Bücherrollen teils in prachtvollem Einband von Purpur und Zedernholz, teils unverziert und je nach ihrem Wert oder Inhalt in zierliche Fächer, sogenannte ›Nester‹, geordnet. In diesen Buchläden begegnete man stets einer gewählten Gesellschaft von Gelehrten, Dichtern und Literaturfreunden, welche sich gegenseitig eigene oder fremde Werke vorlasen und sich darüber unterhielten oder auch wohl Ungelehrte berieten oder zurecht wiesen.
Wir kennen sogar noch die Firmen von verschiedenen angesehenen Buchhändlern Roms aus den Schriften der Klassiker, z. B. des Horaz, welcher die Gebrüder Sosius beim Vertumnus-Tempel und der Janussäule als die Verleger seiner eigenen Werke erwähnt; wir kennen ferner die Namen der Buchhändler Atrectus, Tryphon und ins besondere des Pomponius Atticus, welcher dem Cicero befreundet und das war, was man heutzutage einen großen Verleger nennen würde, denn sein Bücherlager war nicht nur eines der reichhaltigsten, sondern Pomponius Atticus hatte auch in seinem weitschichtigen Hause eine ganze Schar von Arbeitern zur Herstellung der Bücher, einen ganzen Stab von Schreibern, Vorlesern, Korrektoren, Papierglättern, Buchbindern usw., mittelst deren er Tausende von Exemplaren eines Werkes in ungemein kurzer Zeit zu Stande brachte.
Die Herstellung der Bücher jener Zeit war eine ganz eigentümliche. Die Stelle unserer heutigen Buchdruckpresse vertraten tüchtig geübte Schreiber, die Sklaven waren und darum nur Verpflegung erhielten, die sogenannten librarii. Solcher Schreiber saßen oft gegen hundert in einem Saal vor einem Vorleser und schrieben mit allgemein bekannten Abkürzungen dasjenige nach, was derselbe ihnen diktierte; diese Arbeit förderte gewaltig, denn in wenigen Tagen konnten von den damals allerdings meist nicht sehr umfangreichen Werken Tausende von Exemplaren gefertigt werden. Diese diktierten Bücher wurden von Anderen durchgelesen und korrigiert, gingen dann durch die Hand der Buchbinder und standen bald zierlich gebunden in den Fächern des Buchladens oder wurden durch die schon damals eingerichteten Posten nach allen Seiten hin in die Provinzen hinaus verschickt. Größere Werke wurden in ›Bücher‹ eingeteilt, um rascher hergestellt, leichter verschickt und wohlfeiler verkauft werden zu können, ganz wie man heutzutage umfangreiche Bücher behufs erleichterter Anschaffung in Lieferungen erscheinen lässt.
*) Vier Sesterzen (gleich ein Denar) entsprachen etwa dem Tageslohn eines Arbeiters.Wir kennen sogar noch die für jene Zeit und die Mühe der Herstellung außerordentlich niederen Preise der Bücher in der Kaiserzeit. Das erste Buch der Gedichte Martials kostete in Purpurband 5 Denare*, in gewöhnlichem Einband 6 bis 10 Sesterzen*. Tryphon verkaufte das dreizehnte Buch von Martials Gedichten, das etwa 25 Seiten gewöhnlichen Oktavdrucks füllt, für 4 Sesterzen.
Der Absatz war ein sehr bedeutender, denn notorisch wurde damals verhältnismäßig mehr gelesen als heutzutage; man hatte mehr Muße, weil die reichen Leute und selbst hohe Beamte alle ihre Geschäfte nur ihren Sklaven und Freigelassenen überließen, weil jeder Reiche seinen Stolz darein setzte, seine eigene Bibliothek zu besitzen, weil die vornehmen Frauen bei ihrem müßigen Leben der Unterhaltung bedurften, Dichter lasen und auswendig lernten und sogar ernstere wissenschaftliche Werke zu studieren begehrten, um mit ihrer Belesenheit in der Gesellschaft zu glänzen, weil das Bedürfnis einer guten Bildung eine Menge von Schulen ins Leben rief und weil jede bedeutendere Stadt ihre Bibliothek haben wollte.
Dazu kam dann noch der ungemeine Bedarf an Gesetzbüchern und Verordnungen aller Art sowie an Gesetzauslegern und das, was wir ›Tagespresse‹ nennen würden, nämlich die täglichen, wöchentlichen, monatlichen und jährlichen Berichte über die Staatsbegebenheiten im In- und Ausland, die Schilderungen der Hoffeste und des modischen Prunklebens zu Rom, wofür sich, zumal in der Kaiserzeit, die ganze Bevölkerung des gewaltigen Römischen Reiches interessierte. Erschien ja doch in Rom eine tägliche Staatszeitung unter dem Titel ›Tagesgeschichte des Volkes‹, welche zunächst die Verhandlungen des Senats, die Beschlüsse der Volksversammlungen und die kriegerischen Weltbegebenheiten berichtete, später aber den Schilderungen der Feste und Vergnügungen am Hofe, der Schauspiele, Triumphzüge, der Kaiserbauten und des Modelebens eine umfassendere Beachtung zuwandte und darum in einer ungemein starken Auflage abgesetzt ward. Tatsache ist, dass Werke wie diejenigen von Aulus Gallius, Martial, Juvenal und Anderen in vielen Tausenden von Exemplaren verbreitet wurden und dass die Preise der einzelnen Abschriften auch je nach der Schönheit und Deutlichkeit der Handschrift variierten. Jedenfalls war der römische Buchhandel und die Herstellung der Bücher nicht nur ein Fabrikgeschäft, sondern auch eine höchst nützliche und praktische Neuerung.