Handel & IndustrieLebensmittelproduktion

Die Auster und die Austernparks bei Husum

Die Gartenlaube • 1862

Voraussichtliche Lesezeit rund 8 Minuten.

Es sind noch nicht zwanzig Jahre her, da waren eines schönen Herbsttages die Feinschmecker Breslaus in einer ganz entsetzlichen Aufregung. Die Austern waren wieder eingetroffen. Eine Stunde vor der gewohnten Zeit hatte sich der Kommerzienrat B., die erste Autorität in derartigen Geschmackssachen, in den Keller begeben. Der Küper sucht die schönsten dieser Muscheltiere aus dem Korb, bricht die Schalen auseinander und überreicht ein herrliches Exemplar dem sehnsüchtigen Gourmand, der noch den letzten Schluck Weißwein in seinem Munde umherquält. Ein prüfender Blick, – eine sicher geführte Operation, wodurch der Bart losgetrennt wird, – ein rascher Schnitt, der die Auster von der untern Schale löst – einige Tropfen Zitronensaft – dann ein Schließen der Augen, der Kopf biegt sich sanft hinten über, und das Tierchen wird eingeschlürft. Aber Einschlürfen, Ausspucken und mit dem Fuß auf dem Boden kratzen, war ein und dasselbe.

»Pfui Teufel! – wie können Sie mir so ein Schundding vorsetzen? Das hat ja weder Saft noch Kraft – gib her!« damit langte der Getäuschte nach einer zweiten Auster, aber nur um sie ebenso verächtlich wieder auszuspucken; einer dritten, vierten ergeht es nicht besser, kurz: »diese Austern können Sie nur ruhig in die Gosse schütten«. Das war das Resultat, womit sich der Arme endlich kummervoll entfernte.

Der Austernmisswachs wurde eine betrübende Tatsache, von der sich schließlich alle überzeugt hielten, bis endlich ein Hamburger Kind den kühnen Ausspruch tat, »die Austern wären vortrefflich, und dass sie den Leuten nicht schmeckten, würde wohl daher kommen, dass diese früher, wo es noch keine Eisenbahn gab, nur verdorbene gegessen hätten.« Und so war es in der Tat. Solche Austern, wie man vor zwanzig Jahren im Binnenland als Delikatessen genoss, erregen uns heute durch ihren Geruch und Geschmack nur Schauder. Saft und Kraft waren ihnen allerdings in gewissem Sinne nicht abzusprechen.

Der Auster ergeht es wie den Krebsen, sie darf nicht lange unterwegs sein, und wenn man auch früher in Frankreich eine ganz besondere Austernpost hatte, so war die Beförderung häufig doch noch zu langsam. Erst die Eisenbahnen konnten den wirklichen Genuss an einem der ehrenwertesten Seegeschöpfe von der Küste in das Innere des Landes verpflanzen. In den Seestädten ist die Auster ein Volksgericht, und der 5. August, wo die ersten in London wieder verkauft werden, ist ein Volksfest. Man rechnet, dass in dieser Weltstadt jährlich weit über 120 Millionen Austern nur auf der Straße ›aus freier Hand‹ verspeist werden.

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• Auf epilog.de am 5. Dezember 2023 veröffentlicht

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