Handel & IndustrieLebensmittelproduktion

Ausflug der Polytechnischen Gesellschaft zur Besichtigung der

Meierei C. Bolle in Moabit

Polytechnisches Centralblatt • 3.6.1889

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Am 23. Mai 1889 versammelte sich eine große Anzahl der Mitglieder mit ihren Damen auf der Meierei des Herrn C. Bolle, Alt-Moabit Nr. 99 – 103, um unter der liebenswürdigen Leitung des genannten Herrn und seiner Beamten einen Rundgang durch die großartigen Räumlichkeiten des einen sehr bedeutenden Teil des Milchkonsums Berlins deckenden Etablissements zu unternehmen.

Durch den an der Straße Alt-Moabit gelegenen Toreingang betritt man den großen Hof der Meierei, welcher den umfangreichen Fuhrpark aufnimmt und im Hintergrunde durch das villenartige Wohnhaus des Herrn Bolle seinen Abschluss erhält, während zur Rechten das Meiereigebäude 115 m lang und 20 m tief und zur Linken das Stall- und Werkstättengebäude 127 m lang und 20 m tief sich erstreckt.

Zunächst schritt man zur Besichtigung der Kapelle und des zu festlichen Versammlungen, Theater- und Konzertaufführungen dienenden Versammlungssaals, begrüßt durch Gesang des wohlgeschulten, aus den Angestellten der Meierei gebildeten Sängerchors. Herr Bolle erstreckt die Fürsorge für seine Untergebenen auch über die eigentlichen Arbeitsstunden derselben hinaus, indem er durch Erteilung von Unterricht der mannigfachsten Art den nach weiterer Ausbildung Strebenden hilfreich entgegenkommt.

Es folgten sodann die Besichtigung des Vollmilch-Raumes, wo die von außerhalb der Meierei zugeführte Milch in große Bassins gegossen wird, um entweder über Kühlapparate geleitet und als Vollmilch verkauft oder in die Zentrifugen zur Entrahmung überführt zu werden. Neben dem Vollmilch-Raum ist die Wäscherei gelegen, wo die Reinigung der Blusen und Schürzen der Kutscher, Burschen usw. bewirkt wird, sowie das mit großen Extraktions- und Trockenapparaten ausgestattete chemische Laboratorium. Die bisher genannten Räume sind sämtlich zwei Treppen hoch gelegen. In der ersten Etage unter dem Laboratorium befinden sich die Vakuum-Apparate zur Herstellung des Milchzuckers, ferner der Sahnen-Raum und die Butterei. Des weiteren liegt noch in der ersten Etage der Zentrifugen-Raum; hier wird unter Benutzung der Zentrifugalkraft die Vollmilch in süße Sahne oder Schlagsahne und Magermilch getrennt. Zu ebener Erde liegen die Räume zur Füllung der Voll- und Magermilch in die Wagenkannen und zur Abgabe der letzteren an die Kutscher, ferner ein besonderer Raum, wo die Kindermilch d. h. Milch von nur mit Trockenfutter genährten Kühen in Flaschen gefüllt wird und letztere plombiert und ausgegeben werden. Es folgt dann der Spülraum, in welchem sämtliche Kannen und Gefäße mit heißem Wasser gereinigt, gespült und auch gedämpft werden, um jede Möglichkeit des Zurückbleibens säurebildender Körper zu verhüten. Den Beschluss bildet der Maschinenraum mit einer Dampfmaschine von 120 PS. Außer den genannten Arbeitsräumen enthält dieses eigentliche Meiereigebäude noch die Büroräume, Kasse, Konferenzsaal sowie eine Druckerei. Im Souterrain ist dann noch eine geräumige Kantine vorgesehen; das dort gegen einen billigen Tarif Gebotene fand den ungeteilten Beifall der Besichtigenden.

Das die andere Seite des Hofes einnehmende Gebäude enthält: Klempnerei, Schlosserei, Schmiede, Stellmacherei, Sattlerei sowie Stallung nebst Zubehör für 200 Pferde. Außerdem befindet sich hier das Büro des im speziellen Dienste der Meierei stehenden Tierarztes.

Milchwagen der Meierei C Bolle in BerlinMilchwagen der Meierei C. Bolle in Berlin.
Ill.: C. W. Allers

Gegenwärtig gelangen durch die Meierei C. Bolle über 40 000 Liter Milch täglich in den Verkehr der Stadt; diese ist nebst Charlottenburg, Friedenau, Schöneberg, Steglitz, Lichterfelde, Pankow und Treptow in 106 Reviere mit über 4000 Halte- und Verkaufsstellen eingeteilt. Es ist jedermann wohl bekannt, mit welcher Pünktlichkeit die den Verkauf vermittelnden Wagen nach besonderem Fahrplan an ihren betreffenden Haltestellen eintreffen.

Die Reinheit und der Fettgehalt der Milch wird in dem oben erwähnten Laboratorium täglich von einem akademisch gebildeten Chemiker und drei Gehilfen kontrolliert. Die Gesundheit der Kühe, die richtige und saubere Behandlung der Milch vom Melken bis zum Versand an die Meierei wird vom Tierarzt sowie zwei Reiseinspektoren dauernd überwacht.

Die Produkte der Meierei C. Bolle bestehen in Vollmilch, süßer Sahne oder Schlagsahne, Magermilch, Butter (500 – 600 kg täglich), Buttermilch (3000 – 4000 l täglich), Käse der verschiedensten Art, Kindermilch (diese unterliegt ganz besonderer Sorgfalt hinsichtlich des Viehfutters) Milchzucker und Kefir, ein leicht verdauliches Getränk, ein Gärungsprodukt der Milch, welches durch die aus dem Kaukasus bezogenen Kefirkörner hergestellt wird. Ferner wird noch Eis, Spargel und Obst von den eigenen in Köpenick gelegenen Eiswerken und Spargel- und Obstanlagen geliefert. Die Zahl der in der Meierei beschäftigten Personen beträgt rund 600. Nach Schluss der Besichtigung führte die 50 Mann starke Kapelle noch mit großer Exaktheit eine Reihe von Musikstücken vor.

Mit allseitiger Befriedigung über das Gesehene verließ man das mustergültige Etablissement, dem die Lösung einer der hervorragendsten Aufgaben, welche die eigenartigen Verhältnisse der Millionenstadt stellen, obliegt und von dessen Leistungen die Gesundheit und das Wohlergehen eines wesentlichen Teils unserer Mitbürger abhängt.

Ein geselliges Beisammensein in Ahrens Brauerei beendete den ersten diesjährigen vom herrlichsten Wetter begünstigten, wohlgelungenen Ausflug unserer Polytechnischen Gesellschaft.

• Auf epilog.de am 20. Mai 2024 veröffentlicht

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