Handel & Industrie – Lebensmittelproduktion
Treibhaus-Weine
Von G. Friedenauer
Der Stein der Weisen • 1891
Der Verfasser dieser Zeilen ist in einem Weinland geboren und groß geworden. Er weiß aus langjährigem Verkehr mit Weinbauern, welche Sorge den biederen Leuten die ungünstigen klimatischen Verhältnisse nördlich der Alpen bereiten; er weiß, dass Frost, Hagel nur allzu oft die Ernte fast vernichten, während in anderen Jahren zum mindesten der Mangel an Sonnenschein, allzu häufige Regengüsse die Hoffnung auf einen guten Jahrgang vereiteln. Eine reine Lotterie, der Weinbau unter solchen Verhältnissen. Dabei wird die Bodenfläche nicht gehörig ausgenützt, weil man die Reben kurz halten muss, damit sie der Bodenwärme teilhaftig werden. Im Süden klettert die Rebe bis in den Wipfel der Bäume und verbindet sie zu anmutigen Lauben; bei uns ist sie dagegen ein kümmerliches, hässliches, höchst prosaisches Gewächs, und es kann der Weinbau, wenn im Großen betrieben, die Landschaft förmlich verpfuschen.
Später kam ich nach einem noch kälteren Land, wo die Rebe zwar als Spalierbaum ihr Dasein fristet und sogar ganz gute Früchte gibt, wenn die Sonne nicht etwa ausbleibt, wo jedoch von einem Weinkeltern nicht die Rede sein kann. Da wunderte ich mich, dass die Leute nicht auf den Einfall geraten, gleich den Engländern, Belgiern und Nordfranzosen, Tafeltrauben in Treibhäusern zu ziehen oder gar die Sache so im Großen zu betreiben, dass die Darstellung von Wein sich verlohnt. Geschieht es doch mit den meisten übrigen Obstarten, und erzielen damit besonders die Gärtner in der Nähe von Paris reichen Gewinn.
Freudig überrascht war ich daher, als ich aus der Landwirtschaftlichen Presse ersah, dass der kgl. Gartenbaudirektor Karl Haupt in Brieg (Schlesien) seit einigen Jahren mit dem größten Erfolg nicht nur Tafeltrauben in seinen eigens angelegten Treibhäusern züchtet, sondern auch daraus einen Wein keltert, der, nach dem Urteile von Sachkennern, dem Saft der entsprechenden freien Reben nur wenig nachgibt und obendrein wesentlich billiger zu stehen kommt.
Wir wollen nun sehen, durch welche Mittel Haupt dieses gewiss für viele überraschendes Ergebnis erzielte.
Die erste Arbeit war das Überbauen einer Fläche von 500 m², deren Seiten genau von Norden nach Süden und von Westen nach Osten gerichtet waren, mit einem natürlich möglichst einfachen und billigen Glashaus von 4½ – 5 m Höhe. In dem Glashaus werden nunmehr, in Abständen von 180 cm, zwölf durch das ganze Haus sich hinziehende Doppelspaliere aufgebaut, die zugleich das Dach stützen, worauf Haupt die Spaliere in Abständen von einem Meter mit 360 Weinstöcken aus den besten Weinbergen des Rheingaus bepflanzte. Hauptsches Wein-Treibhaus. Leider war der schwere Boden an sich dem Weinbau nicht günstig und musste erst durch Zufuhr von Kalkschutt, Sand etc. durchlässig und fruchtbar gemacht werden. Den Schluss der Arbeiten bildete die Anlegung von Entwässerungsröhren und von 25 Brausen, die mit einer Hochwasserleitung durch Gummischläuche verbunden sind, sich also über den Weinstöcken hinziehen und zum Begießen derselben dienen. In der Regel begnügt man sich aber mit folgender Einrichtung, die den Regen trefflich nachmacht. An der Oberseite der Wasserleitungsröhren sind in Entfernungen von je 50 cm feine Löcher angebracht; die aus diesen Löchern ausströmenden Wasserstrahlen treffen auf kleine Stücke Fensterglas, welche das Wasser zerteilen und bewirken, dass es tropfenweise hinabrieselt. Selbstverständlich ist für Lüftung der Weinhalle gesorgt und sind Vorkehrungen für eine etwaige Dämpfung der Sonnenstrahlen getroffen. Geheizt wird die Halle nicht, da der Glasschutz ausreicht, um im Frühjahr den Frost fernzuhalten. Ist doch die Temperatur in der Weinhalle durchschnittlich 10 – 12° höher als die Außentemperatur.
Welches war der Erfolg dieser Treibhauszucht? Nun, derselbe entsprach bisher den Erwartungen genau. Die Stöcke gediehen vortrefflich. Ihr Austrieb begann zwei bis drei Wochen früher als im Freien, und es waren die Trauben vier bis sechs Wochen früher reif. Sie durften aber bis in den Dezember am Stock hängen und somit die Edelfäule erlangen, welche bei der Weinbereitung eine so große Rolle spielt. Bereits 1885 ergab der Herbst einen Most, der in Bezug auf Zucker- und Säuregehalt den Mosten des Rheingaus nicht nachstand. Ebenso war es in dem ungünstigen Weinjahr 1887. Dabei nahm der Ertrag von Jahr zu Jahr zu, und es ist bald so weit, dass die Stöcke durchschnittlich 100 bis 120 Trauben bringen, also 15 – 20 mal mehr als am Rhein, und es erzeugt der Besitzer alsdann in seiner Weinhalle etwa 20 Hektoliter Wein, dessen Selbstkosten sich nicht einmal auf 20 Kreuzer für die Flasche stellen.
Wie schmeckt nun dieser Wein? Nach dem in der erwähnten Fachzeitschrift mitgeteilten Urteil eines Weinkenners sind die Rotweine geradezu entzückend, während die Weißweine, abgesehen von einem gewissen ungewöhnlichen Aroma, welches von der Zusammenkelterung von Riesling, Traminer und Muskateller herrührt, ebenso gut munden wie Rheinweine mittlerer Güte. Ein anderer Kenner berichtet darüber wie folgt: Der Traminer imponierte mir zuerst wenig; er kam mir trocken und im Bouquet etwas künstlich vor; bei wiederholtem Kosten beurteilte ich ihn jedoch günstiger. Dagegen ließ mich der 88er Riesling, Traminer und Muskateller darüber nicht im Zweifel, dass ich es mit einem guten, edlen Traubensafte zu tun hatte. Noch besser ist der 88er Burgunder, und es fehlt ihm nur die saubere Gäre, was von den vielen überreifen, fauligen Beeren herrührt. Demselben Umstand verdanken die 88er und 89er Weißweine ihr Trübsein.
Darnach sind die Mängel einzig und allein auf die Überreife der Trauben zurückzuführen und dürften leicht abzustellen sein. Im Großen und Ganzen ist der Versuch so weit als gelungen zu betrachten, und es hat Herr Haupt den Beweis geliefert, dass man auch in Gegenden, wo sonst Wein nicht gedeiht, oder wo die Trauben des Kelterns nicht wert sind, einen gediegenen wohlfeilen Wein erzielen kann. Der Versuch ist um so wertvoller, als er bewiesen hat, dass der lockere, sandige Boden der norddeutschen Tiefebene und natürlich auch der sonstigen ähnlichen Gegenden sich mit geringen Kosten in ein Weinland verwandeln lässt. Damit hat Haupt den Landwirten einen unschätzbaren Dienst geleistet.