VerkehrSchifffahrt

Vor 150 Jahren strandete
die ›Alliance‹ vor Borkum

Drama führte zur Gründung des Seenotrettungswerks

tvi.ticker • 10. September 1860/2010

Ein Herbststurm hat vor 150 Jahren das Leben an den deutschen Küsten nachhaltig verändert. Die Strandung der Brigg ›Alliance‹ vor Borkum am 10. September 1860 war einer der entscheidenden Anstöße zur Gründung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Neun Seeleute fanden damals den Tod. Doch in der Folge wich die jahrhundertelange Hilflosigkeit der Küstenbevölkerung bei Seenotfällen innerhalb weniger Jahre der bis heute beispielhaften Hilfsbereitschaft der Seenotretter, die oft ihr eigenes Leben einsetzen, um andere zu retten.

Der Sturm wehte bereits seit zwei Tagen scharf aus Nordwest, als die ›Alliance‹ vor Borkum auf Grund geriet. Nordwestlich der Insel teilt die große Sandbank Borkum-Riff den Schifffahrtsweg in der Emsmündung. Zwar kennzeichnen bei ruhigem Wetter weiße Schaumkämme die tückischen Untiefen. Doch in dem heftigen Nordweststurm der Stärke 9 hatten längst alle Wellen weiße Kämme. Die ›Alliance‹ war Borkum schon zu nahe gekommen, als dass sie sich noch hätte von der Küste freikreuzen können. ›Auf Legerwall liegen‹ nennen Seeleute diese gefährliche Situation. Etwa gegen 3 Uhr am Morgen lief der Segler auf Grund. Fest wie ein Stein lag er in der Brandung, schutzlos ihrem Anprall ausgeliefert. Verzweifelt kletterten die Seeleute ins Rigg, klammerten sich an den Wanten fest und standen auf den Fußleinen oder saßen rittlings auf den Rahen. Schon rissen die Brecher erste Planken aus der Außenhaut des Schiffes.

Als der Morgen graute, hörten die Borkumer Melkerinnen Hilferufe vom Meer her. Die Insulaner versammelten sich am Strand, unternahmen aber keinerlei Rettungsversuche. Sie hielten es nicht nur für unmöglich, mit einem Boot unbeschadet durch die hohe Brandung zu stoßen, sondern sie betrachteten es auch seit jeher als gottgewolltes Schicksal, bei einem Unglück auf See zu sterben. Und sie mussten nicht zuletzt fürchten, bei einem Rettungsversuch mit einem eigenen Boot das Fahrzeug zu verlieren, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestritten. Rettungen aus der Brandung sollten auch später stets zu den schwierigsten Einsätzen der Seenotretter zählen.

Masten und Rahen nebst Segeln und Tauwerk der ›Alliance‹ stürzten bald in sich zusammen. Das Wrack zerfiel in drei Trümmermassen. Die Brandung spülte die Leichen der neun Schiffbrüchigen an den Strand. Die Borkumer bestatteten sie auf dem ›Tränkeldoodskerkhof‹, dem Heimatlosenfriedhof im Nordwesten der Insel.

Gut 50 Schiffbrüche pro Jahr dürften seinerzeit vor der deutschen Nordseeküste die Regel gewesen sein. Etwas war jedoch bei der Strandung der ›Alliance‹ anders als bei vergleichbaren Unglücken: Sie ereignete sich nicht mehr unter Ausschluss der binnenländischen Öffentlichkeit. Denn einer der wenigen Badegäste prangerte in der Weser-Zeitung die Tatenlosigkeit der Insulaner ebenso an wie er das Fehlen technischer Einrichtungen zur Rettung Schiffbrüchiger.

Das rief einen Mann auf den Plan, der den Grundgedanken eines einheitlich organisierten deutschen Seenotrettungswerkes entwickelte. Der Vegesacker Navigationslehrer Adolph Bermpohl forderte noch im Herbst 1860 eine private nationale Rettungsgesellschaft nach englischem und niederländischem Vorbild. Allein freiwillige Spenden des gesamten Volkes seien geeignet, ein so gewaltiges Werk sicher zu tragen.

Seine Rufe fanden Gehör. Im März 1861 gründete Oberzollinspektor Georg Breusing den ersten regionalen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in Emden mit Rettungsstationen auf Juist und Langeoog. Die Gründung weiterer Vereine folgte entlang der Küste in Bremen, Hamburg, Kiel, Rostock und Danzig. Für ihren sinnvollen Zusammenschluss setzte sich der Bremer Redakteur Dr. Arwed Emminghaus ein. Am 29. Mai 1865 gründeten Vertreter der Einzelvereine in Kiel die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger als privates, ausschließlich durch Spenden getragenes Seenotrettungswerk.

So ist es bis heute. Aktuell unterhält die DGzRS auf 54 Stationen moderne Seenotkreuzer und Seenotrettungsboote. 185 fest angestellte und über 800 ehrenamtliche Seenotretter fahren mehr als 2000 Einsätze pro Jahr – bei jedem Wetter. Über 76 600 Menschen verdanken der DGzRS seit der Gründung ihr Leben. Auf Borkum ist einer der großen Seenotkreuzer mit Tochterboot stationiert. Die 3200 PS starke ›Alfried Krupp‹ ist rund um die Uhr mit erfahrenen Nautikern und Technikern besetzt.

Die Bereitschaft der Rettungsmänner, uneigennützig hinauszufahren, wenn andere Schiffe den schützenden Hafen anlaufen, hat sich ebenso wenig geändert wie die Organisationsform der DGzRS: Damals wie heute wird die gesamte Arbeit der Seenotretter ausschließlich durch freiwillige Beiträge und Spenden getragen, ohne öffentlich-staatliche Mittel in Anspruch zu nehmen.

Quelle:  Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger

• Auf epilog.de am 13. September 2010 veröffentlicht

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