U-Bahn in Berlin

Die Untergrundbahnen der
Berliner westlichen Vororte

Elektrotechnische Zeitschrift • 8.4.1909

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Am 3. April 1909 fand eine Beratung über die von den Gemeinden Schöneberg, Wilmersdorf und Charlottenburg geplanten Untergrundbahnen im Eisenbahnministerium unter Vorsitz des Ministers v. Breitenbach statt.

Wie der  Vossischen Zeitung berichtet wird, nahmen neben Vertretern des Ministeriums und der Aufsichtsbehörden, für die der Polizeipräsident v. Stubenrauch und der Eisenbahndirektionspräsident Behrendt erschienen waren, die Oberbürgermeister und Stadtbauräte der genannten drei Städte teil. Für die Hoch- und Untergrundbahngesellschaft waren Baurat Wittig und Direktor Pavel erschienen. Das Landwirtschaftsministerium, das wegen des Dahlemer Geländes an der Wilmersdorfer Bahn interessiert ist, hatte den Geheimen Oberregierungsrat Hamm entsandt.

Elektrotechnische Zeitschrift • 1.4.1909 Charlottenburger Untergrundbahn Die Stadtverordneten Charlottenburgs haben dieser Tage ein vom Magistrat ausgearbeitetes Projekt für eine elektrische Untergrundbahn ohne Debatte und einstimmig angenommen. Die Bahn soll von dem mit der Stadt Schöneberg gemeinsam zu erbauenden Bahnhof am Nollendorfplatz im Zuge der Tauentzienstraße, des Kurfürstendamms und der Kantstraße nach dem Ringbahnhof Witzleben führen. Über die Baukosten und die Rentabilität des Unternehmens liegen zuverlässige Angaben noch nicht vor. Auch das Verhältnis zu den Bahnplänen von Schöneberg und Wilmersdorf bedarf noch der Klärung, die man indessen wohl von der demnächst im Eisenbahnministerium zusammentretenden Verkehrskonferenz erwarten darf.

Der Darlegung der Charlottenburger Vertreter, dass das von Charlottenburg geplante Unternehmen den Interessen aller Beteiligten gerecht werde, trat Bürgermeister Peters, Wilmersdorf, unter Zustimmung des Vertreters der landwirtschaftlichen Verwaltung entgegen. Für Wilmersdorf habe der vorgeschlagene Anschluss seiner Bahn an die Charlottenburger Linie auf dem Kurfürstendamm die erheblichsten Nachteile gegenüber der mit der Hoch-und Untergrundbahngesellschaft und der Dahlem-Kommission vereinbarten Einführung der Wilmersdorfer Bahn in den Untergrundbannhof Wittenbergplatz. Schöneberg fand dagegen seine Interessen durchaus gewahrt und sogar gefördert durch die von Charlottenburg vorgeschlagene Zusammenführung der Charlottenburger und Schöneberger Linie auf dem Nollendorfplatz. Die Hoch- und Untergrundbahn glaubte nach wie vor an ihrem Plan festhalten zu müssen, der in Übereinstimmung mit Wilmersdorf dahin gehe, bei Auflösung des Gleisdreiecks die von dort aus nach dem Wittenbergplatz zu führenden besonderen Gleise auf kürzestem Wege nach Wilmersdorf und nach dem Dahlemer Gelände zu leiten, denn nur auf diese Weise, nicht aber bei dem Charlottenburger Plan, werde ein hinreichend großes, zum erheblichen Teile schon dicht besetztes Verkehrsgebiet in zweckmäßiger Weise auf- und angeschlossen.

Der Minister führte aus, dass er seine Förderung nur solchen Unternehmungen zuteilwerden lassen könne, die sich in ein den Verkehrsbedürfnissen Groß-Berlins Rechnung tragendes Schnellbahnnetz zweckentsprechend einfügten und die ferner nicht andere Linien durch Wettbewerb in ihren wirtschaftlichen und finanziellen Unterlagen gefährdeten. Dies gelte insbesondere auch von dem Einflüsse neu entstehender Bahnen auf das vorhandene und in erwünschter Ausdehnung begriffene Unternehmen der Hoch-und Untergrundbahn. Die finanziellen Grundlagen sowohl dieses als auch etwaiger anderer Schnellbahnunternehmen vor Erschütterung durch einen Wettbewerb zu schützen, der durch Förderung des Verkehrs nicht hinreichend begründet sei, geböte weniger die Rücksichtnahme auf das Privatkapital, als das öffentliche Interesse, das erfordere, dass auch die mit Privatkapital gegründeten Schnellbahnunternehmungen lebens- und erweiterungsfähig blieben.

Für seine, des Ministers, Beurteilung des Charlottenburger Plans komme zunächst in Betracht, dass die Stammstrecke der Hoch- und Untergrundbahn dadurch drei Abzweigungen erhalten würde. Erstrebenswert sei an sich, dass jede Schnellbahn für sich betrieben werde. Wäre dies nicht zu erreichen, so sei wenigstens eine Steigerung der abzweigenden Linien über zwei hinaus zu vermeiden, da sonst die Außenstrecken nicht hinreichend bedient werden könnten. Ferner aber habe er den Eindruck, dass die von Charlottenburg geplante Bahn in das Verkehrsgebiet der bestehenden Untergrundbahn in nicht gerechtfertigter Weise eindringe. Dazu komme, dass die auf dem Nollendorfplatz geplanten Bahnhofsanlagen in die Baupläne der Hoch- und Untergrundbahngesellschaft, die mit der Auflösung des Gleisdreiecks zusammenhingen, störend eingreifen könnten, er aber allem auf das Bestimmteste entgegentreten müsse, was zu einer Hinauszögerung der aus Gründen der Betriebssicherheit von ihm verlangten Gleisdreiecksauflösung Anlass geben könnte. Der Minister stellte daher den Vertretern Charlottenburgs anheim, für ihre Bahn, wenn sie sie auch fernerhin für notwendig erachteten, eine anderweite Linienführung, zum mindesten in ihren beiden Endstücken, nördlich des Stadtbahnhofs Charlottenburg und östlich des Wittenbergplatzes, in Erwägung zu ziehen. Er wies darauf hin, dass vielleicht eine Bahn sich empfehle, die den Kurfürstendamm vom Bahnhof Halensee ab in seiner ganzen Länge durchfahre und dann entweder unter Benutzung der Kurfürstenstraße über den Lützowplatz den Anschluss an die Schöneberger Linie auf dem Magdeburger Platz gewinne, oder zuerst in den Bahnhof Wittenberg Platz selbstständig eingeführt werde und alsdann durch die Nettelbeckstraße den Lützowplatz und den Magdeburger Platz erreiche.

Oberbürgermeister Schustehrus erklärte die Bereitwilligkeit Charlottenburgs, in eine Prüfung dieser Anregungen einzutreten und mit den beteiligten Nachbargemeinden nach einer neuen, alle möglichst befriedigenden Lösung zu suchen. Der Minister ging auf diese von ihm höchst dankenswert bezeichnete Anregung ein und erklärte, zu den Verhandlungen, deren Leitung Oberbürgermeister Schustehrus zu übernehmen bereit war, Ministerialkommissare entsenden zu wollen, ermächtigte auch die Aufsichtsbehörden, an diesen Erörterungen teilzunehmen.

Entnommen aus dem Buch:
Nach der Eröffnung der Berliner Hoch- und Untergrundbahn 1902 war das Interesse der gut situierten westlichen Berliner Vororte an einem Schnellbahnanschluss geweckt. Selbstbewusst und mit der Unterstützung finanzkräftiger Terraingesellschaften entwickelten die Städte Charlottenburg und Wilmersdorf Pläne für die Erweiterung der Berliner U-Bahn, wobei die Beteiligten teilweise sehr eigenwillige Vorstellungen zur Streckenführung hatten. In diesem Buch schildern ausgewiesene Experten in zeitgenössischen Original-Beiträgen die Entwicklung der Schnellbahnen vom Nollendorfplatz nach Ruhleben, Krumme Lanke und zum Kurfürstendamm zwischen 1906 und 1930. Rund 150 Zeichnungen und Fotos illustrieren dieses Zeitdokument der Berliner Verkehrsgeschichte.
  PDF-Leseprobe € 16,90 | 114 Seiten | ISBN: 978-3-7578-8381-2

• Auf epilog.de am 24. Januar 2024 veröffentlicht

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