Bau & ArchitekturBrücken

Überbrückung der Elbe bei Hamburg

Der Stein der Weisen • 1892

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Der in immerwährendem Aufschwung begriffene Seehandel Hamburgs, welcher vor einigen Jahren die gewaltige Erweiterung der Hafenanlagen gebieterisch forderte, bedingt auch eine fortschreitende Entwicklung und Ausbreitung der Stadt. Das stadtseitige Elbe-Ufer ist nun schon bis an die Grenze der Möglichkeit ausgenutzt und auch auf dem jenseitigen Ufer dehnen sich Hafenanlagen und verkehrsreiche Industriestädte aus. Die Nutzbarmachung des hier noch übrigen Terrains schreitet rüstig fort und eine direkte, feste Verbindung mit der Altstadt ist bereits dringendes Bedürfnis geworden. Schon jetzt können die Fährboote den Verkehr bisweilen kaum bewältigen und müssen sogar im Winter bei schwierigen Eisverhältnissen den Betrieb ganz einstellen, was gar mancherlei Unzuträglichkeiten im Gefolge hat und eine solche Verbindung wünschenswert erscheinen lässt; auch sind die Vorteile eines unmittelbaren Fuhrwerksverkehrs mit dem anderen Ufer nicht gering anzuschlagen.

Der Senat der Stadt Hamburg ist in neuester Zeit dieser Angelegenheit ebenfalls durch Bildung einer Kommission nähergetreten, welcher die Ermittlung von Verkehrsstärke und -bedürfnis, sowie die Entscheidung über die Art der Verbindung obliegt. Es sind nämlich außer nachstehend beschriebenem Vorschlag noch zwei andere Projekte, ein Tunnel unter dem Flussbett, sowie eine die alte Elbe-Brücke benützende und auf den Elbe-Inseln bis Steinwärder – dem verkehrsreichsten Vorort – laufende Eisenbahn in Anregung gebracht. Letztere Verbindung würde einen Umweg von etwa neun Kilometer bedingen, ohne einen direkten Fuhrwerksverkehr zu ermöglichen, und dürfte daher für den fraglichen Zweck am wenigsten geeignet sein. Ein Tunnel hat, wie die Brücke, die gleichen Vorteile des kürzeren Weges, des Fuhrwerkverkehrs, und würde in gleicher Weise der Aufschließung des Hinterlandes von Steinwärder förderlich sein. Auch würde derselbe etwa den gleichen Kostenaufwand in der Anlage und gleiche Bauzeit, jedoch höhere Betriebskosten durch immerwährende Beleuchtung, Entwässerung und Ventilation erfordern, ohne die Annehmlichkeiten zu bieten, die der Verkehr auf einer Brücke mit sich bringt, und ohne der Stadt so zum sichtbaren Wahrzeichen des Schaffens auf gewerblichem Gebiet zu dienen, wie diese.

Über die Ausführbarkeit von Brückenbauwerken solcher Größe dürften – nach Fertigstellung der Forthbrücke, welche Spannweiten von 520 m aufweist, und Inangriffnahme der Hudson-River-Brücke, deren Hauptspannnng 860 m betragen wird – Bedenken wohl kaum erhoben werden, umso weniger, als die Strombreite an dieser Stelle nur eine Lichtweite von 420 m erfordert.

Elbe-BrückeProjekt einer Elbe-Brücke in Hamburg.

Die Lage der Brücke ist nach zugehörigem Lageplan so gewählt, dass die Umgestaltung des Bestehenden einen nicht alle großen Umfang erreicht. Weiter elbaufwärts würden auf Hamburger Seite die Verkehrszentren nicht so direkt berührt werden, während elbabwärts unbebautes Terrain, das später wohl zur Vergrößerung der Hafenanlagen benützt werden wird, ungünstig verbaut würde. Die Auffahrt zur Brücke beginnt in lebhaftester Stadtgegend, dann steigt die Zufahrtsstraße bis zum Landpfeiler auf Kasematten, die zu Lager- und Verkaufsräumen auszubauen wären, an. Von beiden Seiten wird dieselbe auf dieser Strecke von neu anzulegenden Straßen flankiert, welche die Ausnützung der eben erwähnten vermietbaren Räume ermöglichen. Vom vorerwähnten Landpfeiler an beginnt die stählerne Hochbrücke, welche den Häuserblock bis zum Ufer in solcher Höhe überbrückt, dass Veränderungen, die Bauzeit ausgenommen, hier nicht erforderlich werden. Die mittlere Strecke der Fahrbahn auf der Hochbrücke ist horizontal angenommen, und zwar so hoch, dass der Schifffahrtsverkehr ungehindert stattfinden kann, während die anschließenden Strecken mit mäßiger Steigung anzulegen sind. Auf dem jenseitigen Ufer läuft die Hochbrücke bis zum Landpfeiler und die Anschlussbrücke in reichlicher Höhe über einem Straßenzug. Weiter absteigend, endet die Straße auf dem Grevenhof mit Dammschüttung und ist, von hier rückkehrend, mit Steinwärder verbunden.

Die Bau-Ausführung der Hochbrücke würde in folgender Art zu betreiben sein: Nach Errichtung der Land- und Strompfeiler, von denen letztere auf Senkkästen mit Luftdruck zu gründen wären, sind auf fester Rüstung die beiden Landöffnungen fertigzustellen, sodann würden, frei hinausragend, die beiderseitigen Tragarme hergestellt und zum Schluss auf zwischen diesen eingespannter Hängerüstung die Mittelträger eingebaut. Durch diese Ausführungsart wird auch während des Baus der Schiffsverkehr nicht im mindesten beeinflusst. Die Nebenanlagen bieten keine besonderen baulichen Schwierigkeiten. Die Brückenfahrbahn wäre als gepflasterte Straße in genügender Breite anzulegen und mit zwei Trambahngleisen auszustatten. Der Betrieb der Tram geschähe am besten durch Drahtseil oder Elektrizität. Für beide Fälle hat das Maschinenhaus den geeignetsten Platz am jenseitigen Ende der Brücke. Die Beleuchtung ist reichlich durch elektrisches Bogenlicht zu beschaffen und könnten die Hauptpfeiler als Hafenleuchten ausgebildet werden. Im Unterbau dieser Pfeiler sind eventuell Treppen und Fahrstühle anzulegen, um dem Personenverkehr den Umweg über die Zufahrtsrampen zu ersparen. Die Bauzeit ist bei beschleunigter Ausführung auf vier Jahre und der Kostenaufwand auf etwa 20 Mill. Mark zu schätzen.

Durch die Ausführung des in Vorstehendem flüchtig skizzierten, in den Hamburger Tageszeitungen bereits veröffentlichten Projekts, dessen Urheber der Unterzeichnete ist, würde die Stadt Hamburg in den Besitz der viertgrößten Brücke der Welt, in Bezug auf Stützweite, gelangen und außerdem einen Zuwachs zu den schon so reichlich vorhandenen Sehenswürdigkeiten zu verzeichnen haben, da ja solche Riesenwerke der Eisentechnik die Aufmerksamkeit Aller, auch der höchsten Kreise, auf sich ziehen. Und schließlich ist es auch an der Zeit, dass wir Deutsche einmal über das Althergebrachte hinausgehen, um nicht allzu weit zurückzubleiben hinter den Engländern, Amerikanern, Franzosen, die mit Forthbrücke, Hudson- und East-River-Brücke und Eiffelturm uns schon weit überflügelt haben. Hamburg wäre gewiss nicht am wenigsten geeignet zu solcher Initiative.

• Buchwald, Ingenieur.

• Auf epilog.de am 17. Juli 2022 veröffentlicht

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