Eisenbahnstadt Berlin

Über Einrichtung und Kosten von Omnibus-Zügen auf der Berlin-Görlitzer Eisenbahn

Vortrag von Betriebs-Direktors Reder, gehalten am 11. März 1879 im Verein f. Eisenbahnkunde

Deutsche Bauzeitung • 9.4.1879

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Die Tatsache, dass infolge der gesteigerten Anforderungen für die Personen-Beförderung auf den deutschen Bahnen die Einnahmen aus dem Personen-Verkehr bei weitem nicht mehr die dafür aufgewandten Kosten decken, hat, da bei den jetzt herrschenden Anschauungen an eine entsprechende Erhöhung des Personengeld-Tarifs nicht zu denken ist, alles Streben darauf gelenkt, jene Kosten so viel wie nur irgend möglich herabzumindern. Unter den hierauf zielenden Maßnahmen nimmt jetzt die Einführung eines Betriebes mit verminderter Geschwindigkeit und Ausnutzung der vom Bahn-Polizei-Reglement dafür gewährten Erleichterungen auf seither als Vollbahnen betriebenen Zweigbahnen und ganzen Bahnstrecken, namentlich aber die Ausführung eines gemischten Betriebes auf Vollbahnen durch Einschiebung sogenannter Bahn-Omnibus-Züge zwischen Vollzügen, eine besondere Aufmerksamkeit in Anspruch.

Ob die Wichtigkeit der letzteren Betriebsart nicht im Allgemeinen überschätzt wird, mag dahin gestellt sein, immerhin dürfte aber feststehen, dass durch häufiger verkehrende, ihre Betriebskosten schon bei schwacher Besetzung deckende Bahn-Omnibus-Züge der Lokalverkehr in der Nähe großer Städte wesentlich gehoben werden kann, sowie dass unter Umständen selbst auf größeren Bahnstrecken mit schwachem Personenverkehr der Ersatz der Vollzüge durch Omnibus-Züge finanziell sehr günstige Folgen haben wird.

Zwischen Berlin und Grünau liegen an der Berlin-Görlitzer Eisenbahn die Haltestellen Johannisthal und Adlershof, welche, wie Grünau selbst, einen nicht unbedeutenden Personen-Verkehr mit Berlin vermitteln, der namentlich im Sommer größere Dimensionen annimmt. Von den fahrplanmäßigen Zügen der Bahn halten drei in jeder Richtung an den genannten Haltepunkten; wird auch dadurch dem Geschäfts- und Markt-Verkehr, der sich Morgens nach Berlin und Nachmittags und Abends von dort zurückbewegt, Genüge geleistet, so ist den Anwohnern der Strecke eine häufigere Verbindung mit Berlin doch sehr erwünscht. Da diese aber nur durch besondere Lokalzüge, die ihre Betriebskosten nicht decken würden, vermittelt werden könnte, so hatte die Bahnverwaltung keine Veranlassung, dieselben einzulegen.

Das große Interesse, welches der Bauverein ›Adlershof-Grünau‹, der ausgedehnte Villen-Terrains besitzt, an der Hebung des Verkehrs hat, veranlasste diesen zu dem Antrag, ihr den Mitbetrieb der Strecke Berlin-Grünau in der Art zu gestatten, dass zwischen den fahrplanmäßigen Zügen der Bahn ein Rowanscher Dampf-Omnibus-Verkehr eingeschoben werde. Da die präziseste Beförderung der zwischen den ziemlich starken Vollbahn-Betrieb der Strecke Berlin – Grünau einzuschiebenden Omnibus-Züge erste Bedingung war, hierfür jedoch die derzeitige Konstruktion des Rowanschen Wagens nicht die nötigen Garantien bot, so musste der Antrag abgelehnt werden.

Hierauf trat der Bauverein mit der Firma Krauß & Co. zu München in Verbindung und es erbot sich letztere, zu den fraglichen Transporten ihre bekannten Tramway-Maschinen zu stellen. Da der Verwendung dieser Maschinen nicht die vorgenannten Bedenken entgegen standen, so konnte nunmehr dem Projekte der Beförderung von Bahn-Omnibus-Zügen näher getreten und die Genehmigung der Oberaufsichts-Behörden dazu beantragt werden. Diese Genehmigung wurde dahin erteilt, dass die Beförderung in den Omnibus-Zügen nur in einer, der III. Wagenklasse zu geschehen habe, die Leistungen für die Post auf die Mitnahme von Briefbeuteln beschränkt werde, Gepäck-Beförderung ausgeschlossen sei und der Schutzwagen wegfallen könne, wenn die Fahrgeschwindigkeit der Züge 30 km/h nicht überschreite. Die Forderung des Bahn-Polizei-Reglements, dass neben dem Lokomotivführer noch ein Heizer auf der Maschine zu fungieren habe, ward jedoch aufrechterhalten.

Hierauf fand zwischen den Beteiligten die Vereinbarung folgender Bedingungen statt: Es hat die Firma Krauß & Co. in München:

  1. Die erforderlichen Maschinen und Wagen unentgeltlich zu stellen.
  2. Die Ansprüche, die etwa aus dem Haftpflicht-Gesetze für diese Transporte erwachsen, zu vertreten.
  3. Die pauschalierten Betriebskosten der Bahnverwaltung zu garantieren.

Die Berlin-Görlitzer Eisenbahn-Verwaltung übernimmt dagegen die Ausführung des Omnibus-Betriebes und trägt alle daraus erwachsenden Kosten, einschließlich der Kosten für Reparatur der Maschinen und Wagen. Der Überschuss der Einnahmen über die pauschalierten Betriebskosten wird zwischen der Bahnverwaltung und Krauß & Co. zu gleichen Teilen geteilt.

Nach Erledigung dieser Vorfragen wurde am 9. September 1878 der Betrieb eröffnet und bis zum heutigen Tage anstandslos und ohne die geringste Störung für den Vollbahn-Betrieb mit einer Tramway-Maschine durchgeführt. Diese Maschine war täglich im Dienst und wurde nur am Sonntag Vormittag zur Vornahme von Reparaturen und zum Auswaschen kalt gestellt, während sie jeden Sonntag Nachmittag noch drei Fahrten zu leisten hatte.

Was die Hauptverhältnisse der Maschine betrifft, so hat dieselbe bei einer Stärke von 25 PS und zwei gekuppelten Achsen (die Kuppelung wird aber, weil nicht erforderlich, künftig beseitigt werden) eine Dampfspannung von 12 Atm., eine Länge exkl. Puffer von 3,5 m, eine Breite von 2,3 m, Zylinder-Durchmesser 160 mm, Kolbenhub 300 mm, Rad-Durchmesser 800 mm, Radstand 1500 mm, Heizfläche 11,23 m², Rostfläche 0,29 m², Wasserraum 1 m³, Kohlenraum 0,5 m² und ein betriebsfähiges Gewicht von 7200 kg.

Doppelstockwagen Berlin-Görlitzer EisenbahnAb 1879 waren Doppelstockwagen auf der Berlin-Görlitzer Eisenbahn im Einsatz. Gezogen wurde der Wagen von einer Tramway-Dampflok der Lokomotivenfabrik Krauß & Co. in München.

Die Omnibus-Züge bestanden aus ein bis zwei oder auch drei gewöhnlichen Personenwagen III. Kl. von 8500 kg Gewicht und je 40 Personen fassend. Wie Versuche ergeben haben, kann die Maschine vier voll besetzte Wagen mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit befördern. Zur Einstellung in den schon mit dem 15. März 1879 begonnenen Sommer-Betrieb der Bahn-Omnibus-Züge hat Krauß & Co. jetzt zur Auswechslung der Dienstmaschine eine zweite, gleiche Maschine geliefert und es ist dadurch die Ablassung einer größeren Zahl von Zügen an den Sonntagen ermöglicht. Ferner lässt Krauß & Co. jetzt für diese Transporte zweistöckige Personen-Wagen, die mehr als 100 Personen fassen und leer 7000 kg wiegen, bauen.

Der reinen Fahrzeit der Omnibus-Züge sind nach durchgeführten Versuchen hinzuzusetzen: für jedes Anfahren 25 – 30 Sek., für jedes Anhalten des Zuges 12 – 15 Sek. und für jeden Aufenthalt auf einer Zwischen-Station 45 Sek. – Bei voller Geschwindigkeit kann der Zug auf 18 m Distanz durch die Maschinen-Bremse zum Stillstand gebracht werden.

Nach dem Sommer-Fahrplan verkehren an den Wochentagen 12 und an den Sonn- und Festtagen, an welchen die Strecke Berlin – Königs-Wusterhausen mit Extra-Personenzügen (Vollzügen) besetzt ist, 6 Omnibus-Züge, so dass bei der Entfernung von 13,72 km zwischen Berlin und Grünau täglich im Durchschnitt 153 Zug-Kilometer zurückgelegt werden. Im Winter verkehren an Wochen- wie Sonntagen 6 Omnibus-Züge, also tägliche Leistung gleich 82 Zug-Kilometer.

An Fahrgeld kommen 50 Pf. für das einfache und 70 Pf. für das Retourbillett zur Erhebung; Schüler und Militärs zahlen für die einfache Fahrt 25 Pf. Außerdem werden auch Abonnements-Billetts zu ermäßigten Sätzen ausgegeben. Die Ausgabe der Billetts besorgt der die Omnibus-Züge begleitende Schaffner.

Bei der Berechnung der Betriebskosten kommen Kosten für Bahn-Bewachung und Reparatur nicht zum Ansatz, da einmal die Omnibus-Züge nur in der Zeit verkehren, während welcher die Strecke für den Vollbahn-Betrieb schon bewacht wird, und weil ferner das Moment der mit sehr geringer Geschwindigkeit beförderten leichten Omnibus-Züge so gering ist, dass dadurch nennenswerte Mehrkosten für Bahnunterhaltung nicht erwachsen.

Nach den wirklichen Ausgaben in der Zeit vom 9. September 1878 bis 1. Januar 1879 sind die Betriebskosten im Einzelnen ermittelt worden und es hat sich als Schluss-Resultat ergeben, dass bei einer täglichen Leistung von durchschnittlich 153 Zug-Kilometer (Sommer-Betrieb) sich die Gesamtkosten für Traktion auf 37,3 Pf. pro Zug-Kilometer stellen, ein Betrag, der noch erheblich niedriger ist, als die Kosten für Heizen und Reparatur einer Vollbahn-Lokomotive.

Hervor gehoben muss dabei noch werden, dass die nach den Auslagen für den verflossenen Winter-Betrieb berechneten Betriebskosten bei den günstigeren Verhältnissen im Sommer sich jedenfalls noch niedriger stellen werden.

Bei Betrieben ähnlicher Art kann endlich auf Bahnstrecken, auf welchen der erste Morgenzug von einem Bahnhofe abgeht, welcher zugleich Stationsort eines größeren Maschinen- und Fahr-Personals ist, wesentlich am Personal und an Übernachtungskosten gespart werden.

Das sogenannte kombinierte System der Fahrmittel für Omnibus-Betrieb, bei welchem Maschine und Wagen auf ein und demselben Untergestell ruhen und welches schon im Jahr 1868 von Fairlie angegeben ist, findet zurzeit im Belpaireschen Dampf-Omnibus seinen hervorragendsten Vertreter. Als Vorteile dieser Systeme werden große Stabilität des Ganzen, ruhiger Gang während der Fahrt durch Mitwirkung der Waggon-Räder bei der Führung, namentlich aber die Benutzung eines Teils des Wagengewichts zur Vermehrung des Adhäsions-Gewichts hervor gehoben; als Nachteile andrerseits große Kosten bei der ersten Anschaffung der in größerer Zahl erforderlichen Dampf-Omnibusse, Drehung der letzteren nach jeder Fahrt auf sehr großen, häufig allein für diesen Betrieb herzustellenden Drehscheiben, jedesmalige Kaltstellung der Maschine bei Reparaturen am Wagen oder Außerbetriebsetzung des Wagens bei Maschinen-Reparaturen, und unnütze Vermehrung des Adhäsions-Gewichts und dadurch bedingter größerer Angriff auf den Oberbau der Bahn. Es wird hierbei besonders betont, dass man für den Omnibus-Betrieb auf Bahnstrecken, die nicht zu ungünstige Steigungs-Verhältnisse haben, die Maschinen gar nicht so leicht konstruieren könne, dass ihr Gewicht nicht das für die Adhäsion erforderliche übersteigt.

• Auf epilog.de am 22. Oktober 2023 veröffentlicht

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