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Ein Wort über die Sekundär-Eisenbahnen und die Trambahn Kassel-Wilhelmshöhe

Über Land und Meer • Januar 1878

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Der Gedanke zum Bau von Sekundär-Eisenbahnen zur Förderung und Erleichterung des Verkehrs an solchen Orten, wo die Anlage einer wirklichen Eisenbahn entweder unmöglich oder doch mit großen Schwierigkeiten und Kosten verknüpft gewesen wäre, ist kein neuer.

Die Pferdeeisenbahnen, welche in den größeren Städten fast aller Staaten bereits seit Jahren angelegt werden, um sowohl innerhalb der Stadtstraßen, als auch nach auswärts gelegenen frequentierten Ortschaften hin eine schnellere und bequemere Beförderung im Personenverkehr zu erzielen, sind solche Sekundär-Eisenbahnen. Pferde sind aber in jeder Beziehung ein kostspieliges Material und der Betrieb mit denselben auf einer weniger frequenten Eisenbahn in verkehrsarmen Gegenden stellt die Rentabilität einer solchen Pferdeeisenbahn sehr in Frage.

Seit Juli 1877 hat Kassel eine Sekundär-Eisenbahn (Trambahn – Tramway), wie sie bisher nur in Paris und Kopenhagen eingeführt war, eine normalspurige Eisenbahn, bei welcher die Fort­schaffung der Wagen durch eine Lokomotive unter Anwendung von Dampfkraft erfolgt. Diese Eisenbahn verbindet Kassel mit der rd. 6 km entfernt gelegenen Wilhelmshöhe und ist nach vieler Bemühung des sehr industri­ösen Buchhändlers Wigand in Kassel seitens einer englischen Gesellschaft ausgeführt worden, nachdem der ursprünglich projektierte Betrieb mit Pferden aufgegeben wurde.

Es ist nicht zu leugnen, dass der Betrieb einer derartigen Sekundär-Eisenbahn ohne abgesperrten Bahnkörper auf der verkehrsreichsten Straße und Chaussee von Kassel anfangs doch an zuständiger Stelle Bedenken erregte, um so mehr als in der Tat die Anlage und der Betrieb bestehenden bau­polizei­gesetz­lichen Vorschriften zuwiderläuft; indessen das Interesse, das mit wenigen Ausnahmen dieser neuen Anlage von allen Seiten zugewendet wurde, sowie die Ausübung der größtmöglichen Vorsicht bei dem bereits mehr­monat­lichen Betrieb, wodurch bisher kein Unfall zu verzeichnen war, haben diese Bedenken bereits besiegt und dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, die einer derartigen Anlage noch entgegenstehenden Gesetze und Vorschriften sachgemäß abzuändern, respektive zu ergänzen, um damit der allgemeinen Einführung von Sekundär-Eisenbahnen nach Art der Kasseler Trambahn zur Förderung des Verkehrs freien Spielraum zu lassen.

Trambahn Kassel-Wilhelmshöhe.Trambahn Kassel-Wilhelmshöhe.

Die geringe Zeit von rund drei Monaten, welche erforderlich gewesen ist, um auf eine Länge von 5,2 km das Bahngeleise mit seinen Aus­weichungen an den Halteplätzen fertig zu legen, beweist genügend die Einfachheit des Baues. Da selbst größere Steigungsverhältnisse im Terrain, wie beispielsweise hier 1 : 18 bis 1 : 16, unberücksichtigt bleiben, so kommen nur geringe Erdarbeiten, so weit sie zum Versenken der verriegelten und ver­bolzten Schienenholme notwendig sind, vor, und während bei dem Bau wirklicher Eisenbahnen gerade Ober- und Unterbau den größten Teil des Anlagekapitals betragen, wird hier eine bedeutende Kostenersparnis erzielt, die noch durch die absolute Ersparnis an Grunderwerb und Bauherstellungen vergrößert wird, da die Breiten und Längen der Halteplätze und Aus­weichungen nur gering sind und Bauten nur zur Unterbringung des Betriebsmaterials an Lokomotiven und Wagen erforderlich werden. Die früheren Staatsstraßen, welche durchschnittlich eine Breite von 9 – 12 m haben, eignen sich daher besonders zur Anlage solcher Sekundär-Eisenbahnen, namentlich überall da, wo auf denselben noch ein regelmäßiger, nicht unbedeutender Post- oder Omnibusverkehr im Gange ist. Das Betriebsmaterial der Kasseler Trambahn besteht aus Lokomotiven und Personenwagen – ein Güterverkehr findet noch nicht statt. Die Lokomotiven von besonderer Konstruktion arbeiten bei 10 atm Dampfdruck mit 18 PS, welche ausreichend sind, um selbst bei Steigungen von 1 : 18 bis 1 : 16 zwei bis drei besetzte Personenwagen fortzuschaffen. Dampf und Rauch werden beinahe verzehrt; die Heizung geschieht mit Koks und ist eine äußerst sparsame und wohlfeile. Die Personenwagen, mit Sitz- und Stehplätzen eingerichtet, sind teils offene, teils geschlossene nach Art der bekannten Pferdeeisenbahnwagen. Sämtliches Material ist äußerst solid und dauerhaft gearbeitet und elegant ausgestattet.

Das Betriebspersonal – außer dem leitenden Ingenieur – besteht aus dem Lokomotivführer, dem Heizer und je einem Bille­teur (Schaffner) und Bremser für den Wagen sowie einem Kontrolleur.

Bei dem großen Verkehr, welcher neben dem Geleise der Kasseler Trambahn auf der Königsstraße und Wilhelms­höher Allee stattfindet, ist zur Vermeidung von Unglücksfällen die Fahrgeschwindigkeit vorläufig auf 12 km/h festgesetzt; wir sind aber der Ansicht, dass auf weniger frequentierten Straßen und Chausseen die Fahrgeschwindigkeit noch vergrößert werden kann.

Wenn nun, wie bereits oben erwähnt, dergleichen Sekundär-Eisenbahnen an Stelle von bestehenden Post- und sonstigen Fuhr­werks­verbin­dungen treten und neben der Personenbeförderung auch die Beförderung von Briefen und Paketen ermöglicht wird, so liegen die Vorteile dieser Sekundäreisenbahnen für das reisende Publikum wohl auf der Hand, ganz abgesehen von der größeren Billigkeit der Beförderungspreise, wofür das eine Beispiel genügen möge, dass man von Kassel nach Wilhelmshöhe mit der Trambahn für 30 Pfennige fährt, während die Drosch­ken­preise 2 – 3 Mark betragen.

Seit Eröffnung der Trambahn ist der Verkehr von Kassel nach Wilhelmshöhe auch während der Wochentage ein bedeutend größerer geworden, und selbst bei den äußerst mäßigen Fahrpreisen sind Einnahmen erzielt worden, welche die Rentabilität der Trambahn für alle Fälle außer Frage stellen. Wir können daher schließlich nur den Wunsch aussprechen, recht bald durch weitere Anlagen derartiger Sekundär-Eisenbahnen, deren Bau und Betrieb, nach dem gegebenen kurzen Abriss über dieselben, nicht nur dem Publikum, sondern auch den Bauunternehmern unstreitige Vorteile bietet, den Verkehr auch zwischen den kleineren Städten und Ortschaften gehoben und gefördert zu sehen, wozu die vorstehenden Worte das Ihrige beitragen mögen.

• Auf epilog.de am 21. Dezember 2025 veröffentlicht

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