U-Bahn in Berlin

Der Spreetunnel zwischen Stralau und Treptow bei Berlin

Zentralblatt der Bauverwaltung • 12.9.1896

Voraussichtliche Lesezeit rund 8 Minuten.

Der von der Gesellschaft für den Bau von Untergrundbahnen geplante Spreetunnel zwischen Stralau und Treptow ist im Frühjahr 1895 auf einem an der Ostgrenze der Berliner Gewerbeausstellung städtischerseits überwiesenen Bauplatz in Angriff genommen worden und nunmehr so weit gefördert, dass eine 160 m lange Versuchsstrecke desselben in den nächsten Tagen fertiggestellt sein wird. Nachdem bei dieser für die Fachwelt wie für weitere Kreise bedeutsamen Ausführung tatsächlicher Anhalt zur Beurteilung des Unternehmens gewonnen und erwiesen ist, dass derartige Tunnel auch im schwimmenden Gebirge des Berliner Untergrundes ohne allzugroße Schwierigkeiten herzustellen sind, dürften einige Mitteilungen über diesen Bau angezeigt sein, um so mehr als manche hierüber in den öffentlichen Blättern ohne Zutun und Vorwissen der ausführenden Gesellschaft erschienene Nachrichten nicht zutreffend waren.

LängenschnittAbb. 1. Längenschnitt.

Der 453 m lange Spreetunnel, dessen Verhältnisse in dem Höhenplan (Abb. 1) dargestellt sind, kreuzt oberhalb der Stralauer Kirche den an dieser Stelle etwa 200 m breiten Spreefluss annähernd rechtwinklig. Seine Sohle liegt 10,7 m unter dem mittleren Wasserspiegel des Flusses, so dass bei einer durchschnittlichen Tiefe des letzteren von 3,3 m und einem Durchmesser des Tunnelmantels von 4 m zwischen Tunnelfirst und Flusssohle noch eine 3,4 m starke Decke verbleibt. Während der Tunnel unter dem Fluss in einem schwachen Gefälle 1 : 600 liegt, steigt er nach den Mundlöchern in einer Neigung 1 : 20 und schließt sich auf beiden Ufern an ebenso geneigte, durch Futtermauern begrenzte Rampen an, die den Übergang nach der Oberfläche des Geländes vermitteln. Mit dieser Anlage soll auf dem linken Flussufer eine im Treptower Park herzustellende Endstation auf dem rechten Flussufer eine durch die Ortschaft Stralau nach Berlin verlaufende Straßenbahn in Verbindung gebracht werden. Die Versuchsstrecke reicht bereits 35 m unter den Spreefluss und bildet den dritten Teil des ganzen Tunnels. Die vollständige Herstellung des letzteren wird erfolgen, falls die mit den Behörden über die anschließende Straßenbahn in nächster Zeit noch zu führenden Verhandlungen das erhoffte Ergebnis haben werden.

Die Anordnung des Tunnelrohres ist in Abb. 2 dargestellt. Sein Querschnitt ist kreisförmig und so bemessen, dass er zum Durchgang gewöhnlicher, in der Höhe möglichst beschränkter Straßenbahnwagen ausreicht. Der eiserne Tunnelmantel besteht aus einzelnen 650 mm breiten Ringen und zwischen diesen eingebauten Versteifungsrippen von 15 mm Stärke. Die Ringe sind aus je neun gepressten, mit allseitigen Flanschen versehenen flusseisernen Platten und einem die Aufstellung erleichternden Schlussstücke zusammengesetzt. Die Rippen springen nach außen 50 mm vor, im Inneren gegen die Flansche der Platten 15 mm zurück: das erstere, um zwischen den Wandungen des Tunnels und des ihn umfassenden Brustschildes einen zur Aufnahme einer Zementverkleidung geeigneten freien Raum zu erhalten, das letztere zur Bildung einer keilförmigen Nut, in die Zement oder sonstiger Dichtungsstoff eingebracht werden kann. Um den beim Vortrieb des Brustschildes infolge des Vorrückens seiner Wandung entstehenden ringförmigen Hohlraum wieder ausfüllen zu können, sind in den Tunnelplatten Löcher zum Ausspritzen von Mörtel usw. angebracht, die durch Eisen- oder Holzstöpsel verschlossen werden.

TunnelrohrAbb. 2. Querschnitt und Längenschnitt des Tunnelrohres.

Die Verwendung von Flusseisen zur Herstellung des Tunnelmantels ergibt durch die Ausnutzung der ausgezeichneten Eigenschaften dieses Stoffes – im Vergleich mit den gusseisernen Verkleidungen, wie solche bei den im Ausland ausgeführten ähnlichen Tunnelbauten unseres Wissens ausschließlich benutzt wurden – eine wesentliche Ermäßigung der Anlagekosten und trotz der geringen Stärke der Platten von nur 10 mm eine genügende Standfestigkeit, wie dies eine beim Baubeginn vorgenommene Belastungsprobe und die seitherigen Erfahrungen bewiesen haben. Allerdings muss hierbei auf einen sicheren Schutz des Eisens gegen Rost Bedacht genommen werden. Zu diesem Behufe wird der Tunnelmantel sowohl außen wie innen mit einem 80 mm bzw. 100 mm starken Überzuge aus Zementmörtel versehen, dessen Anbringung besondere Schwierigkeiten nicht bereitet.

Auf der Tunnelsohle wird in einem Betonkörper das vollspurige Gleis eingebettet und eine Rösche hergestellt, durch die das Sickerwasser dem tiefsten Punkt des Tunnels zugeführt wird, um von hier vermittelst einer elektrisch zu betreibenden Pumpe gehoben zu werden. In geeigneten Zwischenräumen werden neben dem Gleise die in Abb. 2 dargestellten Trittstufen als Ausweichplätze angebracht.

Zur Einleitung des Vortriebs des Tunnels ist vor seinem Mundloch eine 19 m lange und 6 m breite, durch Spundwände eingefasste und in der Sohle durch Betonschüttung gedichtete Baugrube hergestellt worden. In dieser wurden der Förderschacht sowie ein gegen die hintere Kopfwand der Grube durch Holzstempel abgesteiftes kurzes Stück Tunnel und davor der Brustschild eingebaut. Nachdem noch der Tunnel durch eine luftdichte, mit Luftschleusen versehene Wand nach hinten abgeschlossen war, wurde die vordere Kopfwand der Grube beseitigt, das Ganze mit Sand eingeschüttet, der Tunnel nebst dem Brustschild mit Pressluft gefüllt, und nunmehr konnten die eigentlichen bergmännischen Arbeiten begonnen werden.

Der Brustschild, dessen Anordnung auf patentierten Erfindungen des Eisenbahndirektors E. Mackensen und des Oberingenieurs W. Lauter beruht, bildet den beweglichen Teil der Vortriebeinrichtung. Er besteht aus einem eisernen Rohr, das vorn entsprechend dem Ruhewinkel trockener Erde schräg abgeschnitten und durch eine Brustwand abgeschlossen, hinten aber offen ist und über den fertigen Tunnel um eine geringe Länge hinweg greift. Die vordere Brustwand ist mit verschließbaren Öffnungen zur Förderung des Bodens versehen und mit einer Anzahl von Stopfbüchsen ausgerüstet, die in Kugelgelenken drehbar sind und durch die Sonden, Meißel oder Bohrer zur Beseitigung etwaiger Hindernisse in das vorliegende Gebirge eingeführt werden können. Durch eine Querwand wird der Schild in zwei Teile zerlegt: in eine vordere Kammer, in der die Förderung des Gebirges stattfindet, und in eine hintere Kammer, in der der Einbau der Tunnelringe, die Herstellung der Zementverkleidungen und der Vortrieb des Schildes bewirkt werden, letzterer mittels kräftiger, am Umfang der Schildwandung angebrachter Wasserdruckpressen, die sich einerseits gegen den fertigen Tunnelmantel, anderseits gegen die erwähnte Querwand stemmen. Um die mit dem Vortrieb des Tunnels allmählich wachsende Länge der hinteren Kammer in angemessenen Grenzen zu halten, muss die zum Abschluss des mit Pressluft gefüllten Raumes im Tunnel fest angebrachte hintere Wand mit den Luftschleusen von Zeit zu Zeit vorgeschoben werden, was bei der ausgeführten Versuchsstrecke zweimal geschehen ist.

Die zum Betrieb des Tunnelbaues erforderliche Kraft wird in einem bei dem Mundloch errichteten Maschinenhaus erzeugt. Dasselbe enthält zwei größere Lokomobilen, einen stehenden Dampfkessel, vier Luftpumpen, drei Wasserpresspumpen, eine Wasserförderpumpe, eine Dynamomaschine und eine größere Akkumulatorenbatterie für die elektrische Beleuchtung. Von dem Maschinenhaus führen zwei Luftleitungen, drei Presswasserleitungen sowie die elektrischen Licht- und Fernsprechleitungen in den Tunnel bis vor Ort, wo die eisernen Rohrleitungen in Teleskoprohren endigen, um die Verlängerung beim Vortrieb des Schildes zu ermöglichen.

Die Ergebnisse der bisherigen Bauausführung, die in eigener Verwaltung erfolgt ist, lassen sich in nachstehender Weise zusammenfassen.

1. Der Tunnelmantel ist standfest, verspricht infolge des allseitigen Schutzes des Eisens gegen Rost eine lange Dauer und hat sich bei der außer Pressluft gesetzten 120 m langen Strecke als wasserdicht erwiesen; seine Lage ist auch innerhalb der Strecken, die infolge geringerer Überdeckung dem Auftrieb am meisten ausgesetzt sind, eine ruhige.

2. Der Verbrauch an Pressluft beim Vortrieb des Tunnels ist infolge der Verluste, die durch die Undichtigkeiten in den vorderen Ringen des Tunnelmantels, in der Fuge zwischen diesem und dem Schild sowie in der vorderen Brustwand namentlich während der Bodenförderung entstehen, bedeutend, lässt sich aber noch mit einfachen Vorrichtungen decken.

3. Durch die Pressluft wird der vor dem Brustschild lagernde Schwimmsand trockengelegt, und seine Gewinnung und Förderung, die teils durch Handwagen unter Benutzung der Schleusen, teils durch eine Wasserstrahl-Sandpumpe erfolgt, bereitet keine Schwierigkeiten. Nur konnte es in der Regel nicht vermieden werden, dass der Inhalt der gewonnenen Massen den dem Tunnelvortrieb entsprechenden Raum überschritt. Hierdurch sind Sackungen des Geländes über und neben dem Tunnel entstanden; auch ist ein in der Nähe des letzteren errichtetes, mit Sandschüttung beschwertes Probemauerwerk während des Vorbeitriebes des Tunnels gesunken und geborsten. Diese ungünstigen Erscheinungen sind für den Bau des Spreetunnels von keiner wesentlichen Bedeutung, müssen aber bei der demnächstigen Unterfahrung bebauter Straßen auf das Sorgfältigste vermieden werden. Da die Ursachen des Übels jedoch erkannt und Mittel zu seiner Beseitigung durch Verbesserung des Brustschildes bereits gefunden sind, so ist der Erfolg des Tunnelbauverfahrens auch in dieser Beziehung gesichert.

4. Die zum Vortrieb des Schildes dienenden Wasserdruckpressen, durch die im Bedarfsfalle ein Druck von 900 Tonnen ausgeübt werden kann, erfüllen ihren Zweck mit Leichtigkeit. Durch einseitige Ausschaltung einzelner Pressen kann die Richtung des Schildes geändert werden. Es ist denn auch eine beim Baubeginn infolge eines Zwischenfalles eingetretene Abweichung des Tunnels von dem vorgeschriebenen Gefälle wieder beglichen worden. Inwieweit die Herstellung schärferer Krümmungen des Tunnels gelingen und sich die zu diesem Behufe am Brustschild angebrachte Vorrichtung zum Knicken desselben bewähren wird, kann erst bei der Unterfahrung des Stralauer Ufers festgestellt werden.

5. Der tägliche Vortrieb des Tunnels betrug anfänglich nur 0,7 – 1,0 m, ist aber allmählich auf 1,3 – 1,7 m, an einigen Tagen sogar bis 2,0 m gestiegen. Da die Ausbesserung und Ergänzung der Maschineneinrichtungen, das Versetzen der hinteren Abschlusswand und sonstige Umstände einen öfteren Stillstand bedingten, so beträgt der durchschnittliche bisherige Fortschritt nur etwa 0,9 m. Für die Zukunft kann auf einen solchen von 1,3 m gerechnet werden.

6. Die bei Unterfahrung eines kleinen Gehölzes angetroffenen starken Baumwurzeln konnten von den Förderklappen in der Brustwand aus zerkleinert und in die Schildkammer gezogen werden. Sonstige Hindernisse sind bisher nicht angetroffen worden.

7. Ein Unfall ist bis jetzt nicht zu verzeichnen gewesen; der Gesundheitszustand der in Pressluft tätigen Beamten und Arbeiter war dank den hierfür getroffenen Maßregeln gut.

Wenn nun auch nach dem Gesagten eine der vielen Schwierigkeiten des kühnen Werkes nicht gleich beim ersten Versuch glatt überwunden worden ist, so ist doch durch die beschriebenen Arbeiten der Beweis für die Ausführbarkeit des Spreetunnels erbracht und ein wichtiger Schritt zur Anlage von städtischen Untergrundbahnen getan.

• Schnebel, Regierungs- und Baurat.

Buchtipp:
Mit der Eröffnung der Berliner Hoch- und Untergrundbahn am 18. Februar 1902 fanden zehn Jahre Planung und Bau der ersten deutschen U-Bahn ihren vorläufigen Abschluss. Die damaligen Redakteure der ›Deutschen Bauzeitung‹ Fritz Eiselen und Albert Hofmann schildern die Arbeiten aus Sicht der Ingenieure und Architekten. Dabei gehen sie nicht nur auf die technischen Aspekte ein, sondern widmen sich auch der künstlerischen Ausgestaltung der Strecke und der Bahnhöfe. Zahlreiche Fotos und Zeichnungen illustrieren dieses Zeitdokument der Berliner Verkehrsgeschichte.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 114 Seiten | ISBN: 978-3-7528-9695-4

• Auf epilog.de am 7. Oktober 2024 veröffentlicht

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