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Die Straßen-Eisenbahnen in New York

Das Buch für Alle • 1876

»Zeit ist Geld,« ist ein allgemeines Motto für den Amerikaner, und zumal in einer Stadt von dem ungeheuren, fieberhaften, quecksilberartigen Geschäftsleben, wie es New York hat. Kein Wunder daher, dass die Beeiferung in der größtmöglichen Entwickelung und Beschleunigung des Verkehrswesens in New York eine für uns Deutsche ganz ungeahnte Höhe erreicht hat.

Die Pferde-Eisenbahnen oder Tramways, welche nun alle lebhafteren Haupt- und Verkehrsstraßen von New York durchziehen, genügen nicht mehr, obwohl sie über alle Avenues oder Hauptstraßen, welche vom Hafen aus in meridianer Richtung sich über die Manhattan-Halbinsel hinanziehen, und über die meisten der mit Nummern bezeichneten parallelen Querstraßen, welche die Avenues unter rechtem Winkel schneiden, sich erstrecken. Man hat es früher auch mit verschiedenen Systemen von Straßen-Eisenbahnen versucht, welche durch stehende Dampfmaschinen betrieben werden; da aber die Fahrgeschwindigkeit dieser sogenannten Seilbahnen nicht den gewünschten Grad erreichte, so ist man zu Straßen-Eisenbahnen übergegangen, welche mittelst Lokomotiven betrieben werden. Um nun die Gefahren zu beseitigen, welche der Dampfbetrieb und die Fahrgeschwindigkeit dieser Bahnen für die Fußgänger und die gewöhnlichen Fuhrwerke verursachen würde, hat man einen Teil dieser Straßenbahnen unterirdisch angelegt, d. h. in ziemlich tiefe Einschnitte der gewöhnlichen Straßenbahn verlegt. Dies war aber nur zulässig in Straßen von ungewöhnlicher Breite, wie z. B. in den Avenues. Straßen-Eisenbahn in New YorkEine Straßen-Eisenbahn in New York. Die Querstraßen dagegen sind meist nicht breit genug, um derartige versenkte Gleise zu erlauben, und so gelangte man zu dem neuen System, welches unser Bild veranschaulicht, das System einer auf Pfosten ruhenden, sogenannten ›schwebenden‹ Eisenbahn. Diese kühne Idee ist denn auch in der Tat praktisch verwirklicht, seit einiger Zeit im Gebrauch und gilt trotz ihres halsbrecherischen Aussehens für ziemlich sicher. Die eisernen Pfosten in Y-Form sind durch zwei eiserne Seitenbügel verstärkt und tragen einen schmiedeeisernen gitterförmigen Oberbau oder Rost, auf welchem über eisernen Querschwellen die Schienen liegen. Die Bahn dient natürlich nur dem Personenverkehr, und jeder Zug besteht nur aus einer kleinen Lokomotive und zwei kleinen Personenwagen zu je 40 Sitzplätzen. Die Fahrgeschwindigkeit beträgt etwa 25 km/h, und der Stationen sind wenige, so dass die Bahn die für den amerikanischen Geschäftsmann erwünschte Schnelligkeit hat und darum auch gern benützt wird, obwohl der erste Anblick dieser Bahn dem Fremden wohl unwillkürlich ein gelindes Gruseln erweckt.

• Auf epilog.de am 15. Februar 2024 veröffentlicht

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