Handel & Industrie

Der Stör-Fischmarkt in Hamburg

Das Buch für Alle • 1876

Der Stör ist einer der für den menschlichen Haushalt wichtigsten und größten Seefische, welche in den deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee vorkommen und oft in ungeheurer Menge weit in den direkt ins Meer mündenden Flüssen und Strömen heraufsteigen. Alles an dem Fisch ist wertvoll: Das Fleisch ist nahrhaft und fett; die Blase gibt die wertvolle Hausenblase, die Haut vortrefflichen Leim, aus dem Rogen bereitet man den beliebten Kaviar. Dabei ist der Stör ein Fisch, welcher eine Länge von 2 – 5 m und ein Gewicht von bis zu zwei Tonnen erreichen kann, und auf welchen die Fischer deshalb mit größtem Eifer Jagd machen. Stör-Fischmarkt in HamburgDer Stör-Fischmarkt in Hamburg. Daher spielen denn sowohl der gemeine Stör, wie der kleinere Sterlet auf den Fischmärkten unserer deutschen Hafenstädte, und so namentlich auch auf dem Hamburger Fischmarkt, eine bedeutende Rolle, und aus diesem Fischmarktleben entlehnen wir auf unserem interessanten Bild eine Szene.

Der Hamburger Stör-Fischmarkt entfaltet sich besonders an der sogenannten Holzbrücke; von Holz ist an dieser aber nichts mehr zu sehen, sie ist vielmehr eine der größten und solidesten Steinbrücken der Stadt, welche ihren bescheidenen Namen noch aus alter Zeit hat. Breite Treppen führen zu beiden Seiten neben der Brücke auf eine große Terrasse oder Perron herab, vor welcher die Elbkähne und Fahrzeuge anlegen, die von der Ober- oder Unter-Elbe kommen und der volkreichen Stadt ihre verschiedenen Lebensmittelvorräte zuführen. Es herrscht daher an der Holzbrücke immer ein äußerst reges Leben, das auf den Treppen und dem Perron ebbt und flutet. Die schmucken kräftigen Mädchen und Frauen von den Vierlanden und dem Altenwerder in ihren malerischen Trachten bringen aus den gelandeten Schiffen die Gemüse- und Garten-Erzeugnisse nach der Stadt; frische Mägde kommen herunter, um Einkäufe zu machen, und die Schiffer und Markthelfer sind geschäftig beim Ein- und Ausladen. Das Interessanteste aber, was der Fremde auf dem Perron bei der Holzbrücke sehen kann, ist die Versteigerung der gefangenen Störe, welche hier stattfindet. Beinahe täglich legen nämlich hier Schiffe an, welche die gewaltigen Störe von der Elbmündung und den Küsten der Nordsee bringen; der Binnenländer staunt schon diese großen Fische von 1½ – 3 m Länge, an denen oft mehrere kräftige Männer zu tragen haben, nicht wenig an, noch mehr aber den Prozess der Zerstückelung mittelst Beil und Säge, der nun mit jedem Fisch beginnt, und den der Versteigerung der einzelnen Teile, deren Fleisch von verschiedener Qualität ist. Der Hamburger pflegt nämlich zu sagen: Der Stör gebe Rind-, Kalb- und Schweinefleisch, da das Fleisch der einzelnen Teile in der Tat an Textur und Fettigkeit sehr voneinander verschieden ist und daher auch verschiedene Preise erzielt. Sobald ein Fisch zerstückelt ist, beginnt die Versteigerung der einzelnen Stücke, welche unter Lärm und Geschrei von den Fischweibern erstanden und stadtwärts geschafft werden, wo das Störfleisch, das frisch und geräuchert ein Nahrungsmittel der unteren Volksklassen bildet, dann im Detail und nach Maßgabe des Bedarfs an die Konsumenten ausgehauen wird. Die Holzbrücke mit ihrem Fischmarkt ist daher einer der interessantesten Züge in der Physiognomie des Hamburger Straßenlebens, sowohl wegen der charakteristischen Szene der Seestadt mit dem mächtigen Fluss und den Schiffen, wie wegen der fremdartigen, bunten und ungemein belebten Staffage, die sich auf diesem Hintergrund der Wasserseite der berühmten Handelsstadt entfaltet.

• Auf epilog.de am 13. Januar 2024 veröffentlicht

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