Forschung & TechnikTechnik

Pneumatischer Uhrbetrieb

Zentralblatt der Bauverwaltung • 26.11.1881

Das Bedürfnis, Uhrwerke zu besitzen, welche den vielfachen Reparaturen und den Ungenauigkeiten nicht ausgesetzt sind, die durch Temperaturverhältnisse, Erlahmung der Federn usw. hervorgerufen werden, hat in Paris zur Gründung einer ›Gesellschaft für pneumatischen Uhrbetrieb‹ Veranlassung gegeben. Im Verein der Zivilingenieure in Paris wurden hierüber kürzlich nähere Mitteilungen gemacht, denen wir einige interessante Angaben entnehmen.

Die Gesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl die öffentlichen ›Normaluhren‹, als auch die Uhren ihrer Privatabonnenten von einer Zentraluhr aus durch Luftdruck in Bewegung zu setzen. Von der Anwendung der Elektrizität hat man Abstand genommen, weil elektrische Leitungen erfahrungsmäßig in hohem Grade durch atmosphärische Einflüsse (Gewitter, Nordlicht usw.) gestört werden.

Die Kompressoren, welche in größerer Entfernung von der Zentraluhr aufgestellt sein können, pressen zunächst die komprimierte Luft in Sammelgefäße, welche von den Ingenieuren der Gesellschaft ›Hochdruckreservoire‹ genannt werden. Dieselben befinden sich in unmittelbarer Nähe der Zentraluhr, ebenso wie die ›Verteilungsgefäße‹ (distributeurs), in welche die Luft aus den Hochdruckreservoiren überströmt. Durch Quecksilberregulatoren wird in den Verteilungsgefäßen eine stets gleichmäßige Spannung erhalten. In jeder Minute wird durch die Zentraluhr ein Ventil geöffnet, welches die komprimierte Luft aus dem Verteilungsgefäß in die zu den einzelnen Uhrwerken führende Rohrleitung eintreten lässt. Der Überdruck verteilt sich binnen wenigen Sekunden über das ganze Leitungsnetz, setzt fast gleichzeitig sämtliche angeschlossene Uhren in Bewegung und wird dadurch aufgehoben, dass durch die Zentraluhr ein Ventil geöffnet wird, das die Rohrleitung mit der freien Luft verbindet.

Ohne auf die interessanten Einzelanordnungen einzugehen, sei nur erwähnt, dass die Zentraluhr astronomisch kontrolliert wird und dass die Kompressoren einen Überdruck von 2 bis 3 Atmosphären erzeugen, während in dem Verteilungsgefäß eine konstante Pressung von 0,75 Atmosphären Überdruck herrscht. Die schmiedeeisernen Röhren der pneumatischen Leitung, welche 27 mm inneren Durchmesser haben, liegen in den Kanalisationsröhren. Die Bleiröhren für Normaluhr- und Hausleitungen erhalten 6 bis 16 mm inneren Durchmesser. Die Wand- und Kaminuhren werden durch kleine Blei- oder Kautschukröhren von 3 mm Stärke an die Hausleitungen angeschlossen.

Die gegenwärtige Ausdehnung der pneumatischen Leitung beträgt 32 km, die der Hausanschlüsse 60 bis 65 km. Außer 14 öffentlichen ›Normaluhren‹ werden von der Zentralstelle aus 3500 Uhrwerke betrieben, welche 1650 Privatabonnenten gehören. Man beabsichtigt, im Laufe des nächsten Jahres 8 weitere Leitungsnetze von ähnlicher Größe anzulegen. Sämtliche 9 Zentraluhren sollen durch besondere Leitungen miteinander in Verbindung gebracht werden. Die Kompressoren-Anlage für alle 9 Leitungsnetze ist bereits im Bau, und die Zuleitungsröhren zu den 9 Hochdruckreservoiren werden demnächst verlegt.

Für Private beträgt der Abonnementspreis auf den Tag 4 Pfg. für eine Uhr, 3,2 Pfg. für die zweite, 2,4 Pfg. für die dritte und jede weitere Uhr. Die Gesellschaft übernimmt die ganze Einrichtung auf eigene Kosten und liefert auf Wunsch auch die Zifferblätter und einfache Uhrgestelle unentgeltlich. Das jetzt bestehende Netz verbraucht 200 m³ komprimierte Luft in der Sekunde und die Kompressoren werden durch eine 12-pferdige Dampfmaschine betrieben. Die Geschwindigkeit der Luft in den Leitungsröhren ist auf 5 km in der Sekunde ermittelt worden, so dass die Abweichungen zwischen den einzelnen Uhrwerken und der Zentraluhr höchstens 4 Sekunden betragen.

• Auf epilog.de am 9. September 2017 veröffentlicht

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