VerkehrNahverkehr

Neuere amerikanische Straßenbahnwagen

Von Hans Nordmann

Elektrische Kraftbetriebe und Bahnen • 24.5.1913

Voraussichtliche Lesezeit rund 57 Minuten.

So verschieden die Wagen unserer elektrischen Straßenbahnen auch in ihrer Erscheinung sind, mögen sie zwei- oder vierachsig sein, offene oder geschlossene Endbühnen, Längs- oder Quersitze im Inneren besitzen, eine kleinere oder größere Zahl von Fahrgästen aufnehmen können, so ist ihnen allen ohne oder doch nur mit verschwindenden Ausnahmen eins gemein: Das Vorhandensein zweier Endbühnen, die so hoch über dem Erdboden liegen, dass man zwei Schritte aufwärts tun muss, um sie zu betreten – also das Vorhandensein einer Trittstufe in halber Höhe – und der Zugang zum Wageninneren meist vermöge einer weiteren Stufe von der hinteren Endbühne oder Plattform aus, während die Tür nach der vorderen Plattform geschlossen ist. Der Aufgang zur Plattform dient zum Ein- und Aussteigen, und der Dienst des Schaffners besteht neben dem Ordnen des Ein- und Aussteigens, wohl auch Behilflich­sein dabei, Ausrufen der Haltestellen und Geben der Signale an den Wagenführer, wesentlich im Verkauf der Fahrscheine, zu welchem Zweck er besonders den Mittelgang im Wageninneren abzuschreiten hat, und zwar bis an die Vordertür, um durch deren Schiebefenster das Geld der auf der Vorderbühne stehenden Fahrgäste einzusammeln. Der New Yorker Doppelstockwagen.Der Doppeldeckwagen der New York Railways Co. wendet am unteren Ende des Broadways während seiner Probefahrt am 14. August 1912. Eine Ausnahme bilden nur die Straßenbahnen mancher kleineren Städte, wo ein Schaffner den Wagen nicht begleitet, und der Fahrgast sein Zehnpfennigstück selbst in den Zahlkasten werfen muss, was der Wagenführer mittels eines Spiegels überwachen kann. Zu besonders verkehrsstarken Zeiten oder auf viel­benutzten Strecken gibt man dem Triebwagen noch einen, wohl auch zwei Anhänger bei.

Bis vor nicht langer Zeit galt dieses Bild auch für die amerikanischen Straßenbahnen und ihre Fahrzeuge. In den verkehrsreichen Großstädten sind nun aber in den letzten Jahren, besonders auch im Sommer 1912, Fahrzeuge – sowohl Triebwagen wie Anhänger – in Betrieb genommen worden, die nach anderen Grundsätzen gebaut sind. Der mit diesen neuen Bauarten erstrebte Fortschritt bewegt sich nach drei Richtungen, die häufig miteinander verquickt sind, nämlich in Richtung erleichterter Zugänglichkeit zum Wagen, verbesserter Übersicht über die Zahlung des Fahrgeldes und der Bewältigung einer sehr großen Zahl von Fahrgästen mit einem einzelnen Fahrzeug durch Einführung zweigeschossiger Wagen. Man könnte wohl auch von vier Richtungen sprechen, nämlich noch von einer weiteren Erleichterung des Verkehrs der Fahrgäste im Wageninneren, insofern bei einigen der neuen Bauarten der Strom der Einsteigenden von dem der Aussteigenden getrennt wird; da dies aber bereits beim Betreten des Wagens geschieht, man auch in solchem Falle den Strom der Einsteigenden an dem Standort des Schaffners zum Zweck des Fahrscheinverkaufes vorüberführen wird, deckt sich dieser Vorteil sachlich mit den oben an erster und zweiter Stelle genannten.

Das bauliche Mittel zur Erreichung leichterer Zugänglichkeit ist der ›low floor car‹, auch ›stepless car‹ genannt; ein Wagen, bei dem der Fußboden an der Besteigungs- oder Verlassungs­stelle so tief liegt, dass schon ein Schritt das Betreten des Wageninneren vom Straßenpflaster aus bewirkt und eine besondere Trittstufe überflüssig ist – daher ›stepless car‹. Wie weiter unten noch ausführlich erörtert, handelt es sich dabei immer um mittleren Einstieg*, *) In Antwerpen sind allerdings auch offene, als Anhänge­wagen benutzte Fahrzeuge mit Quersitzen im Betrieb, deren gesamter Fußboden so niedrig liegt, dass man unmittelbar von der Straße aus bei jedem Quersitz ›stufenlos‹ ein- und aussteigen kann. also nicht um zwei besondere Endbühnen, sondern um die niedrig liegende Wagenmitte selbst. Dabei gibt es noch die Unterabteilung einer einzigen mittleren Tür oder Öffnung oder zweier Mitteltüren, je nur für Ein- und Aussteigen. Die bessere Zahlungsübersicht wird durch das ›pay as you enter‹-System erzielt, dessen technische Hilfsmittel einfach genug sind: Trennungsgeländer und bei den zweigeschossigen Wagen Beginn der ›Aufwärts‹-treppe neben dem Schaffner­stand. Der zweigeschossige Wagen endlich, an sich durchaus keine unerhörte Neuheit, ist neben seinem großen Fassungsvermögen baulich bemerkenswert dadurch, dass seine Bauhöhe die denkbar geringste ist, einmal, indem er als Niederflurwagen ausgebildet ist, dann, indem die beiden Geschosse bis zu einem gewissen Grad ineinander geschachtelt sind, wie noch ausführlich darzulegen sein wird.

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• Auf epilog.de am 10. Oktober 2025 veröffentlicht

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