Feuilleton – Literatur
Jules Verne im Ungarischen Lloyd 1867 – 1876
Bibliographische Notizen und Dokumente aus der Frühzeit der deutschsprachigen Jules Verne Rezeption
von Gerd Schubert
Bärzin • 29.9.2000
Mit Recht lässt sich sagen, dass Jules Vernes Einzug in den deutschen Sprachraum, die Geschichte der deutschsprachigen Ausgaben seiner Werke und ihrer Rezeption, in Ungarn, genauer in Budapest, ihren Anfang genommen hat. Dabei wird man nun wohl zunächst an die wunderbaren alten Hartleben-Ausgaben denken. Denn was für Verne in Frankreich der Verleger Pierre-Jules Hetzel mit seinem Engagement war, war für seine deutschsprachigen Ausgaben der ›A. Hartleben’s Verlag, Wien, Pest, Leipzig‹ des Verlegers Adolf Konrad Hartleben. Und Budapest, genauer die damals noch separate Stadt Pest, ist der Ursprungsort dieses bedeutenden Verlages, wo er aus einer von Hartleben im Jahre 1804 übernommenen Buchhandlung hervorgegangen ist. Seit 1874 sind in diesem Verlag die ›authorisierten‹ deutschsprachigen Ausgaben der Werke Vernes erschienen: Julius Vernes Schriften (1874–1889: 55 Bände), Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen – die berühmte illustrierte Prachtausgabe für betuchte Leser – (1874–1911: 98 Bände), Julius Vernes gesammte Schriften (1878–1881: 38 Bände), als Billigausgabe die Collection Verne (1887–1910: 98 Bände) und schließlich noch in verschiedener Ausstattung, als direkte Konkurrenzausgabe zu den mittlerweile im Berliner A. Weichert Verlag erschienenen Ausgaben, als Reihe Wissenschaftliche Romane (1921–1924: 38 Bände). Näheres zu diesen einzelnen Reihen findet sich in der von Wolfgang Thadewald besorgten Auswahlbibliographie im schönen Jules Verne Handbuch, das 1992 im Gewand der Hartlebenschen Prachtausgaben erschienen ist (vgl. dort insbesondere die Seiten 305–310, sowie die Seiten 320–321). Ergänzend muss man allerdings feststellen, dass, soweit bekannt, kein einziger Band dieser Ausgaben, keine der unzähligen Auflagen dieser Bände in Pest bzw. Budapest gedruckt worden ist. Die allermeisten Bände sind in Wien bei verschiedenen Druckern hergestellt worden, einige auch in Leipzig oder noch an anderen Orten. Gleichwohl dürfte aber ein Großteil dieser Bände in Budapest und Ungarn, an die seinerzeit dort reichlich vorhandenen deutschsprachigen Bewohner der k. u. k. Monarchie, verkauft worden sein, und selbst heute noch wird man in den Budapester Antiquariaten auf der Suche nach diesen alten Bänden fündig, wenn auch nicht mehr in ganz so reichhaltigem Maße, wie noch vor einigen Jahren.
Verne und Ungarn
Bevor wir der Geschichte der frühen deutschsprachigen Verne-Ausgaben und Erstdrucke weiter nachgehen, möchte ich vorab noch darauf hinweisen, dass Verne schon seinerzeit und auch danach bis heute gerade in Ungarn seine größten Fans und treuesten Leser gehabt hat und immer noch hat. Denn neben der verlegerischen Großleistung der deutschsprachigen Verne-Ausgaben des Verlages Hartleben, erschien zur selben Zeit auch schon eine anspruchsvolle illustrierte ungarische Ausgabe der Werke Vernes im Budapester Verlag Franklin-Társulat, die der Prachtausgabe von Hartleben in nichts nachsteht. Eine ausführliche Bibliographie dieser frühen ungarischen Prachtausgabe samt Nachauflagen, besorgt von Endre Jeles, ist 1988 im ungarischen Fanzine SF Tájékoztató, Nr. 36, S.43–55, erschienen. Illustrierter Einband des 1999 im Budapester Verlag Cartographia erschienenen Jules-Verne-Atlas. Der Kenner und Sammler internationaler Verne-Ausgaben Peter Richter, Dresden, hat mir nach Durchsicht dieser Bibliographie mitgeteilt, dass innerhalb dieser ungarischen Verne-Ausgabe sogar zwei Titel erschienen sind, die bisher noch nicht in Deutsch vorliegen, seinerzeit also auch nicht bei Hartleben erschienen sind. Es handelt sich um Le Chemin de France mit Gil Braltar (1887), die 1889 in ungarischer Übersetzung erschienen sind, und um L’Epave du Cynthia (1887/88), das 1898 in illustrierter ungarischer Ausgabe bei Franklin-Társulat herausgebracht wurde. Seit etwa den 1890er Jahren wurde in Budapest dann neben der aufwendigen Franklin-Ausgabe noch eine weitere weniger aufwendige ungarische Verne-Ausgabe vom Verlag G. Eisler auf den Markt gebracht, gleichsam eine ungarische Collection Verne. Beide Ausgaben sind jetzt in Ungarn gesuchte Raritäten wie bei uns die Bände von Hartlebens Prachtausgabe. Häufiger zu finden sind in den Budapester Antiquariaten spätere Nachauflagen der Franklin-Ausgabe ohne Jahres- oder Auflagenangabe auf schlechterem Papier und vor allem eine Vielzahl von Bänden weiterer ungarischer Verne-Ausgaben, die bis heute erschienen sind. Offensichtlich war und ist Jules Verne in Ungarn also weit populärer, als er es hierzulande je gewesen ist. Um 1990 hat man dort versucht, einen aufwendigen Reprint der Franklin-Ausgabe zu veranstalten, der aber nach zwei Bänden aus Kostengründen aufgegeben werden musste und stattdessen mit weniger aufwendigen Reprints und schließlich mit Paperbacks fortgesetzt wurde. Seit etwa drei Jahren wird vom Budapester Unikornis Verlag, der u. a. auch eine ungarische Karl-May-Ausgabe herausgibt, eine weitere neue große Verne Werkausgabe veranstaltet, die auf etwa 75 Bände angelegt ist, von denen bisher schon 32 Bände erschienen sind. Außerdem ist dort derzeit ein Verne-Lexikon auf dem Markt und 1999 wurde sogar ein aufwendiger Verne-Atlas herausgebracht. Die ungebrochene Popularität Vernes in Ungarn dürfte wohl nicht zuletzt auch historische Gründe haben. Natürlich war es Verne seinerzeit nicht entgangen, mit welchem Eifer und Interesse man in Ungarn sein Werk sowohl in ungarischer wie auch in deutscher Sprache auf den Weg brachte. Er revanchierte sich gewissermaßen mit einem großen Roman über ein ungarisches Thema, dem Mathias Sandorf (1885), mit dem er der ungarischen Revolution 1848/49 ein literarisches Denkmal gesetzt hat.
Suche nach den deutschsprachigen Erstdrucken von Vernes Romanen
Doch zurück zu der Behauptung, dass Vernes Einzug in den deutschen Sprachraum von Budapest aus stattfand. Damit sind hier nun also nicht in erster Linie die berühmten Hartleben-Ausgaben gemeint, bei denen es sich gerade bei den frühesten und bekanntesten Romanen Vernes nicht um die deutschen Erstausgaben bzw. um die deutschsprachigen Erstdrucke dieser Romane handelt. Die sind nämlich zuerst als Romanfortsetzungen in Zeitungen erschienen – und zwar zumeist und zuerst in der in Pest erschienenen und gedruckten Zeitung Pester Lloyd: vom 13.1.–24.5.1866: Eine Reise nach dem Mond, vom 17.12.1869–25.1.1870: Die Reise um den Mond, vom 1.1.–29.9.1871: Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, vom 1.10.–6.12.1872: Abenteuer dreier Russen und dreier Engländer im südlichen Afrika, vom 7.2.–7.5.1873: Reise um die Welt in 80 Tagen und vom 16.9.1873–4.4.1874: Das Land der Pelze. Soweit erst mal die beachtliche Serie dieser deutschsprachigen Pester Zeitung.
Der ›Pester Lloyd‹
1852 gründeten einige Pester Kaufleute eine Handelsgesellschaft, die sich den Namen ›Pester Lloyd‹ gab. Im Jahr darauf erhielt diese Gesellschaft die Konzession, ein Handelsblatt herauszugeben, dem sie den gleichen Namen gaben und dessen erste Nummer am 1.1.1854 herauskam. Erschienen ist diese Zeitung dann täglich zweimal – als Morgen- und Abendblatt – außer Montags bis zum November 1937. Schon am Ende ihres ersten Jahres hatte sie 2300 Abonnenten und damit eine sichere finanzielle Grundlage. Ende der 1860er Jahre war der Pester Lloyd dann schon zum führenden meinungsbildenden Blatt innerhalb der deutschsprachigen Presse Ungarns geworden, das auch international zur Kenntnis genommen wurde als ›Financial Times des Ostens‹. Aber der Pester Lloyd war zu jener Zeit auch schon mehr als bloß ein Wirtschaftsblatt, vor allem der Feuilleton-Teil war stetig angewachsen und insbesondere Romanfortsetzungen waren obligatorisch geworden. Einen Höhepunkt erreichte das Feuilleton des Pester Lloyd in diesen Jahren unter der redaktionellen Leitung von Adolf Dux (1822-1881), der einige hochkarätige Mitarbeiter um sich versammeln konnte. Einer von ihnen war übrigens Ludwig Hevesi (1843-1910), der 1866 seine Karriere beim Pester Lloyd begann, bevor er 1870 als Journalist und Schriftsteller nach Wien übersiedelte und dort vor allem als Kunstkritiker berühmt wurde. Bekannt wurde er dann zudem noch nach seinem Tod durch den Verkaufskatalog seiner nachgelassenen Bibliothek, – als erster bedeutender Sammler utopisch-phantastischer Literatur. Auch nach seinem Weggang aus Budapest lieferte er dem Pester Lloyd noch weitere Feuilleton-Beiträge als ›Plaudereien aus Wien‹. Illustrierter Einband einer ungarischen Ausgabe von Jules Vernes Roman ›Der Südstern‹ in der Verne-Werkausgabe des Budapester Verlages G. Eisler, die etwa in den 1890er Jahren erschienen und u.a. auch von der Firma Gebrüder Légrády gedruckt worden ist. Die ungarische Erstausgabe dieses Romans war 1885 bei Franklin-Társulat erschienen. Bei den Romanfortsetzungen bediente man das Publikum vor allem mit Übersetzungen der seinerzeit sehr beliebten englischen und französischen Gesellschaftsromane, die damals auch per Kolportage als Heftchen-Fortsetzungen vertrieben wurden, was dem Genre schließlich seinen Namen beschert hat. Aber auch einige aktuelle Arbeiten des bedeutenden ungarischen Romanciers der Zeit, Mór Jókai, wurden im Pester Lloyd zuerst in deutscher Übersetzung als Fortsetzungen präsentiert. Vor allem aber erscheint es aus heutiger Sicht als eine Großleistung der Pester Lloyd-Redaktion, dass sie schon sehr früh die Bedeutung Jules Vernes erkannte und sich rechtzeitig Exklusivrechte für den Zeitungsabdruck sicherte, und zudem hier auch lange Zeit am Ball geblieben ist.
Die Verne-Ausgaben der Gebrüder Légrády
Damit kommen wir zum zweiten Teil der Budapester Frühgeschichte deutschsprachiger Verne-Ausgaben. Der Pester Lloyd wurde hauptsächlich von der Pester Großdruckerei der Gebrüder Légrády gedruckt, die auch noch weitere deutschsprachige und ungarische Zeitungen gedruckt haben und die auch einen Großteil der Budapester Buchproduktion jener Zeit für verschiedene Verlage hergestellt haben, – so u. a. auch die oben genannte ungarische Verne-Ausgabe des Verlages G. Eisler. Als Nebengeschäft, in sehr bescheidenem Umfange allerdings, waren die Gebrüder Légrády auch selbst im Verlagsgeschäft tätig. Man ahnt schon, was jetzt kommt: im Jahre 1873 brachten sie kurzerhand die Übersetzungen der Zeitungsfortsetzungen der Verne-Romane als Buchausgaben auf den Markt. Es erschienen die Bände: Eine Reise nach dem Mond, Die Reise um den Mond, Die Reise um die Welt in achtzig Tagen und Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, alle Pest bzw. Budapest: Gebrüder Légrády 1873. Diese Ausgaben gelten allesamt als die ersten deutschen Buchausgaben dieser berühmtesten Verne-Romane und sind absolute Raritäten. Vermutlich wird es keine weiteren Légrády-Ausgaben mehr gegeben haben, denn ab 1874 kam dann ja Hartleben mit seinen ›authorisierten Ausgaben‹.
Der ›Ungarische Lloyd‹
Wer nun aber bisher aufmerksam gelesen hat und die Liste der Légrády-Titel mit der Titelliste der im Pester Lloyd erschienenen Verne-Romane verglichen hat, wird festgestellt haben, dass in Letzterer der Roman Die Reise zum Mittelpunkt der Erde nicht mit dabei gewesen ist. Damit kommen wir zum dritten Teil unserer kleinen Budapester Frühgeschichte deutschsprachiger Verne-Ausgaben und auch zu der Erklärung, warum ausgerechnet ich hier etwas über Verne schreibe und nicht über Dinge, von denen ich etwas mehr verstehe. Die Verne-Bibliographen konnten sich einfach nicht vorstellen, dass die Légrádys die Übersetzung der Reise zum Mittelpunkt der Erde selbst besorgt und nicht aus einer Zeitungsfortsetzung abgestaubt haben. Aber im Pester Lloyd war beim besten Willen nichts zu finden gewesen. Die Verne-Spezialisten hatten aber schon eine andere Zeitung als Kandidaten für den deutschen Erstdruck dieses Romans im Visier: den Ungarischen Lloyd. Diese Zeitung ist nun allerdings nur in der Orzágos Széchényi Könyvtar, der ungarischen Nationalbibliothek in der Budapester Burg, vorhanden und dort nur auf Mikrofilm zu lesen (Signatur: FM 3/2963). Wegen meiner Qualifikation als häufiger Budapest-Besucher und leidlich geübter Bibliotheks-Benutzer hatte mich Heinz-Jürgen Ehrig dem Verne-Spezialisten Wolfgang Thadewald empfohlen, der mich kurzerhand, mit reichlich Informationen versehen, gezielt auf diesen Fall angesetzt hat. Ohne auch nur zu ahnen, worauf ich mich da einlasse, habe ich den Fall übernommen.
Der Ungarische Lloyd war ein echter Ableger des Pester Lloyd, der vom 25.12.1867–13.3.1876, ebenfalls als Tageszeitung zweimal als Morgen- und Abendblatt, erschienen ist. Warum es zu diesem Ableger gekommen ist, ist mir auch bei der Durchsicht nicht ganz klar geworden: – ob es sich um eine abgespeckte Version des Pester Lloyd für das ungarische Umland handeln sollte, während der Pester Lloyd dann mehr auf die Interessen der Metropole Budapest zugeschnitten sein sollte?, – ob mittlerweile so viel Material zur Verfügung stand, dass nicht mehr alles nur in einer Zeitung untergebracht werden konnte? Ungarischer Lloyd - Titelseite vom 26. März 1868 - Unter dem Balken ein Fortsetzungsteil der ›Reise zum Mittelpunkt der Erde‹ von Jules Verne. Vielleicht hatte es auch politische Gründe, denn in dem seit 1848 wieder offen zum Ausbruch gekommenen schwelenden Konflikt mit Österreich war es 1867 zu einem Ausgleich gekommen, bei dem Ungarn innerhalb der Doppelmonarchie eine gewisse Eigenstaatlichkeit erlangt hatte. So übernahm denn in diesem Jahr der einflussreiche und für diesen Ausgleich einstehende Politiker Maximilian (Miksa) Falk (1828–1908) die Chefredaktion des führenden meinungsbildenden Blattes der deutschsprachigen Presse Ungarns, während der bisherige Chefredakteur, Karl Weißkircher, nun die Leitung des neuen Blattes übernahm. Die Mitarbeiter und Redakteure, insbesondere die Feuilleton-Redakteure, des Pester Lloyd waren nun auch zum Teil für den Ungarischen Lloyd tätig. Und gedruckt wurde die Zeitung natürlich ebenfalls von der Firma Légrády.
Diesen Ungarischen Lloyd habe ich nun vollständig von der ersten bis zur letzten erschienenen Seite nach Jules Verne durchgesehen, d. h. genauer habe ich 40 randvolle Mikrofilme durchgekurbelt. Dabei darf man sich nun nicht etwa die moderneren Geräte vorstellen, bei denen ein Motor das Kurbeln übernimmt und bei denen man bei einer interessanten Stelle dann einfach aufs Knöpfchen drückt und man eine Fotokopie der Seite erhält. Solche Technik steht dem einfachen Nutzer in der ungarischen Nationalbibliothek leider noch nicht zur Verfügung. Gekurbelt werden muss mit der Hand, und wenn man mit einem Film durch ist, muss er mit der Hand selbstverständlich auch wieder ordentlich zurückgekurbelt werden – und das bei 40 Filmen! Ein weiterer Akt ist danach das Beschaffen von Kopien: man muss die Angaben zur gewünschten Seite recht genau formulieren: Datum der Zeitung, Morgen- oder Abendblatt und Seite, wobei es oft gar keine Seitenzählung gab und wobei hier zudem noch auf Extra-Seiten zu achten ist, die als ›Beilagen‹ gezählt wurden. Mit diesen Angaben ist dann ein Reproduktionsauftragsformular auszufüllen und mit etwas Glück erhält man nach 14 Tagen die gewünschte Seite, – aber eben nur mit Glück, denn gelegentlich erhielt ich statt der gewünschten Seite aus dem Abendblatt die des Morgenblattes desselben Tages etc. Nun, es brauchte sehr viel Geduld und Zeit für dieses Unternehmen, das ich an mehreren Tagen während dreier Budapest-Reisen im März, April und Juni 1999 schließlich erledigen konnte. Den Hauptauftrag für meine Recherche konnte ich dann allerdings schon gleich im März 1999 erledigen, nämlich den Vorabdruck und damit den deutschen Erstdruck der Reise zum Mittelpunkt der Erde ermitteln:
- Die Reise zum Mittelpunkte der Erde. Nach dem Französischen des Jules Verne. In: Ungarischer Lloyd – Morgenblatt – Nr. 65, Mittwoch 11. März 1868, S. 2, fortgesetzt in unregelmäßigen Abständen ohne Zählung der Fortsetzungen bis zum Schlussteil in: Ungarischer Lloyd – Morgenblatt – Nr. 139, Samstag 6. Juni 1868, S. 2.
Damit war also auch die Übersetzung und Druckvorlage für die erste deutsche Buchausgabe dieses Romans im Verlag der Gebrüder Légrády gefunden. Diesen Fund habe ich natürlich sofort Wolfgang Thadewald gemeldet, der ihn umgehend publizieren konnte in seiner Bibliographie der deutschsprachigen Jules-Verne-Ausgaben im: Lexikon der Reise- und Abenteuer-Literatur. [Loseblatt-Sammlung]. Herausgegeben von Friedrich Schegk. Meitingen: Corian-Verlag 1988 ff., 42. Ergänzungslieferung: März 1999, S. 10: Zum Werksverzeichnis 1.8:
»1). DIE REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE
in: Ungarischer Lloyd, Nr. 65-139, 11.3.-6.6.1868«
Der vorstehende Bericht mag nun etwas verdeutlicht haben, welche Abenteuer, Hintergründe und vor allem welche Mühen oft hinter solch einer kleinen bibliografischen Notiz stecken. Dieser frühe erfolgreiche Fund hat mich jedenfalls ermutigt, munter weiterzukurbeln, wodurch ich hier nun erstmals die folgenden weiteren Funde mitteilen kann:
So gab es noch eine weitere Verne-Romanfortsetzung im Ungarischen Lloyd:
- Die Reise um den Mond von Jules Verne. In: Ungarischer Lloyd – Morgenblatt – Nr. 292, Freitag 17. Dezember 1869, S. 2, fortgesetzt in 25 nummerierten Fortsetzungen bis zum Schlussteil in: Ungarischer Lloyd – Morgenblatt – Nr. 19, Dienstag 6. Jänner 1870, S. 2.
Diese Romanfortsetzung ist zeitgleich parallel auch im Pester Lloyd erschienen. Eine entsprechende Parallelfortsetzung von Vernes Zwanzigtausend Meilen unter den Meer, die vom 1.1.–29.9.1871 im Pester Lloyd erschienen ist, hat es nicht gegeben, wie auch sonst weiter kein Roman mehr von Verne im Ungarischen Lloyd erschienen ist. Dafür habe ich aber noch drei längere Feuilleton-Artikel über Jules Verne und sein Werk gefunden:
Der erste dieser Artikel aus dem Jahre 1873 zeichnet ein Portrait der Person und des Autors Verne aus den wenigen Informationen, die man über ihn hatte, angereichert mit einer Handvoll Anekdoten.
Die beiden weiteren Feuilleton-Artikel, die ich im Ungarischen Lloyd noch fand, beschäftigen sich dann mehr mit dem Werk Jules Vernes. So ist der Titel des einen:
- ›Der wissenschaftliche Roman und Jules Verne‹. In: Ungarischer Lloyd – Morgenblatt – Nr. 140, Dienstag 22. Juni 1875, Titels. u. S. 2.
Ein Verfasser des Artikels ist nicht genannt. Am Schluss des Artikels steht nur das Kürzel ›N.Z.‹, was möglicherweise darauf schließen lässt, dass es sich um eine Übernahme aus einer anderen Zeitung, etwa der National Zeitung (?), handelt. Da er sehr lang und nur wenig originell ist, verzichte ich hier auf seine Wiedergabe. Es geht darin im Wesentlichen darum, zu zeigen, dass Verne in der Tradition der Robinsonaden und vor allem in der Tradition des historischen Romans der Zeit stehen soll.
Während man heutzutage bei Verne leichthin vom ›Altvater der Science Fiction Literatur‹ spricht, hatte man damals, zumal der Begriff ›Science Fiction‹ auch noch längst nicht erfunden war, einige Schwierigkeiten damit, sein Werk einzuordnen und überhaupt die richtigen Worte für das ›kolossal Neue‹ seines Werks zu finden. Dies dokumentiert denn auch sehr schön der Artikel aus dem Ungarischen Lloyd aus dem Jahr 1875.
Zum Abschluss dieser kleinen Dokumentation noch ein Schmankerl. Wie wir oben schon aus dem ersten Artikel über die Person Verne erfahren haben, war er vor seiner Karriere als Romanschriftsteller bereits als »dramatischer Schriftsteller, Sekretär des Théâtre-Lyrique und der komischen Oper« und als Operetten-›Librettist der Bouffes‹ tätig. So ist es denn nicht weiter verwunderlich, dass Verne später auch dieses Medium nutzte, um seine Romane populär zu machen, indem er sie auf die Bühne stellen ließ. Wahrscheinlich stammen einige dieser Bühnenfassungen sogar von ihm selbst. Hier hatte Wolfgang Thadewald nun auch schon einige Vorarbeit geleistet und mir einige Termine genannt, an denen solche Verne-Stücke damals in Wien und in Budapest Premiere hatten. Darüber sollte sich denn ja wohl auch etwas im Ungarischen Lloyd finden lassen, was tatsächlich der Fall war: Ungarischer Lloyd, 28.12.1875: Jules Verne, Reise um die Erde in 80 Tagen.
Rück- und Ausblick auf den ›Pester Lloyd‹
Soweit die Ergebnisse meiner Recherchen im Ungarischen Lloyd und damit nun noch mal zurück zum Pester Lloyd. Wie oben schon genannt, wurde als bisher letzte Verne-Romanfortsetzung darin Das Land der Pelze vom 16.9.1873–4.4.1874 aufgefunden. Das hat nicht zuletzt seinen Grund schlicht darin, dass die Jahrgänge 1875–1912 bisher noch gar nicht weiter durchforstet worden sind. Eine Zäsur war aber auch durch die seit 1874 bei Hartleben in rascher Folge erschienenen Romane gesetzt, so dass die Vermutung naheliegt, dass wohl kaum noch weitere Verne-Romanvorabdrucke in der Zeitung zu erwarten sind. Ich habe dies in Budapest nun auch insoweit bestätigt gefunden, als ich dort noch sechs Mikrofilme des Pester Lloyd mit Ausgaben vom Ende 1874 bis Anfang 1876 durchgekurbelt habe, ohne eine weitere Verne-Romanfortsetzung zu finden. Immerhin war in diesem Zeitraum noch ein kleiner zweiteiliger Auszug aus Der ›Chancellor‹ als Appetithäppchen und Hinweis auf Vernes neuestes Werk zu finden: Pester Lloyd – Morgenblatt – Beilage zu Nr. 66, Samstag 20. März 1875, S. 2 und Pester Lloyd – Morgenblatt – 2. Beilage zu Nr. 67, Sonntag 21. März 1875, S. 1. Außerdem konnte ich noch einen längeren Feuilleton-Beitrag über eine Theateraufführung der Reise um die Erde in 80 Tagen ausfindig machen, weit ausführlicher als die oben wiedergegebene Notiz zur Budapester Aufführung im Ungarischen Lloyd:
- Dr. Theodor Helm: Die Reise um die Erde in 80 Tagen. Von Jules Verne und A. Dennery. Zum ersten Mal im Carl-Theater zu Wien aufgeführt am 28. März 1875. In: Pester Lloyd – Abendblatt – Nr. 71, Dienstag 30. März 1875, S. 1-2.
Wenn also vermutlich auch keine weiteren Verne-Romanfortsetzungen mehr zu erwarten sein sollten, so dürfte man doch wohl noch einige interessante und aufschlussreiche Feuilleton-Essays in Sachen Verne im Pester Lloyd finden können, und es ist zu hoffen, dass auch noch die Jahre 1876 bis 1912 weiter durchgesehen werden.
Eine andere Sache ist es, dass bisher auch noch nicht die Geschichte des Pester Lloyd, die – nicht nur wegen Verne – einmal eine der bedeutendsten Zeitungen Europas gewesen ist, aufgearbeitet worden ist. Es ist ungeheuer mühsam, auch nur etwas mehr über die Macher dieser Zeitung herauszubekommen, geschweige denn speziell etwas über die Hintergründe des besonderen Verne-Interesses innerhalb dieser Zeitung oder darüber, von wem beispielsweise die Übersetzungen stammen. Immerhin erscheint der Pester Lloyd seit 1994 als Der neue Pester Lloyd wieder in Budapest, zwar nur 14-tägig, aber durchaus, wie ich jetzt schon über mehrere Jahre feststellen konnte, auf ähnlich hohem Niveau wie ihre Vorgängerin. Das hat der Zeitung bis 1998 auch schon 3500 Abonnenten eingebracht. Vor allem sind die Macher des Neuen Pester Lloyd auch sehr an der Geschichte ihrer Zeitung interessiert, wobei ihnen zur Aufarbeitung allerdings kein eigenes Archiv mehr zu Verfügung steht, sondern sie ebenfalls auf die Bestände der ungarischen Nationalbibliothek angewiesen sind. Gleichwohl ist zu hoffen, dass ihre Bemühungen noch einiges zutage bringen, das auch für die frühe deutschsprachige Verne-Rezeption noch von Interesse sein wird.
© 2000 by Gerd Schubert