Forschung & TechnikTechnik

Das Kino im Hause

Von Hans Dominik

Die Woche • 14.3.1914

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Ältere Leser werden sich aus ihrer Jugendzeit noch die Laterna magica erinnern, die den Kindern die langen Winterabende verschönte. Es waren primitive und nach unserer heutigen Anschauung recht unvollkommene Apparate, aber ein Hauch des Geheimnisvollen und Zauberhaften hing an ihnen. Schon die Vorbereitungen erinnerten an die Zaubereien mittelalterlicher Adepten. Wie das Zimmer verdunkelt und ein Laken vor die Tür gespannt wurde. Wie dann der penetrante Geruch einer ewig blakenden und immer laufenden Petroleumlampe durch den Raum zog und plötzlich, von einem bewundernden »Ah!« der kleinen Zuschauer begrüßt, ein großer matter Lichtkreis auf dem Laken stand. Und dann das erste Bild! Mit Vorliebe eine italienische Landschaft! Und weiter Blumen, Porträts und dergleichen. Und dann in ständiger Steigerung des Programms eine dramatische Geschichte in zwölf Bildern. Etwa der Bäcker, der seine Frau durch das Brot jagt, oder eine ähnliche rührende Geschichte. Schließlich aber die Krönung des Ganzen, ein variabler, bunter Stern, dessen Farben und Formen sich ständig änderten, wenn man an einer kleinen Kurbel drehte.

Das alte optische Spielzeug, das uns so manche vergnügte Stunde bereitete, ist heute gewaltig überholt. Auch hier hat die fortschreitende Technik beträchtlichen Wandel geschaffen, und der ganzen Entwicklung und Zeitströmung entsprechend ist der kinematographische Apparat in passender Form, das Familienkino, das Neuste und Unterhaltendste auf diesem Gebiet.

Der Kinematograph als Hausschatz? Unmöglich werden viele sagen, die nur die großen Vorführungsapparate der Kinematographentheater kennen. Dass es sehr wohl möglich ist, zeigt der Ernemann-Kinox, dessen Einzelheiten durch die beistehenden Abbildungen erläutert werden. Kinoapparat KinoxAbb. 1. Der neue Kinoapparat Kinox. Was muss denn schließlich ein Kinematograph, ein Apparat für die Vorführung lebender Bilder, enthalten? Zuerst eine möglichst starke Lichtquelle. Damit haperte es in früheren Jahren am meisten, denn elektrische Bogenlampen oder Drummondsches Kalklicht sind als Kinderspielzeug und für den Hausgebrauch wenig geeignet. Nach den Fortschritten in der Technik der elektrischen Glühlampen, speziell der Metallfadenlampen, besitzen wir aber in kleinen, mit etwas Überspannung brennenden Glühlampen sehr geeignete Lichtquellen, die zur Not durch einige Trockenelemente betrieben werden können und die alte Petroleumlampe der Laterna magica um ein vielfaches an Helligkeit übertreffen. Dann weiter ein einfaches Linsensystem, wie es schon bei der erwähnten magischen Laterne vorhanden war. Weiter an Stelle der alten, einzeln einzuschiebenden Glastafeln das Filmband einer kinematographischen Aufnahme, das vor der Lichtquelle vorübergezogen wird. Nur ein Teil kommt hinzu, den es bei der alten Laterne nicht gab, jene spezielle kinematographische Einrichtung, die das Filmband in kurzen, ruckweisen Absätzen weiterführt und jedes einzelne Bildchen im Moment des Stillstandes für den Bruchteil einer Sekunde durchleuchtet. Aber auch diese Apparatur ist im Lauf der Jahre so gut durchkonstruiert, vervollkommnet und vereinfacht worden, dass sie in kompendiöser Form und von einer Kinder- oder Frauenhand bedienbar ausgeführt werden konnte.

FilmrollenAbb. 2. Die beiden Filmrollen und der Lampenkasten.

So stellt sich der neue Kinoapparat in der Form dar, die Abb. 1 veranschaulicht. Zwei Rollen, die das Filmband tragen. Eine Kurbel, durch deren Drehung gleichzeitig der Ablauf des Filmbandes bewirkt und die Lichtquelle in passender Weise abgeblendet und geöffnet wird. Endlich das Vorderteil des Apparates, das Lampen und Linsen enthält. Abb. 2 zeigt im Einzelnen die beiden Filmrollen und den Lampenkasten. Die Anordnung ist hier für den Spezialfall getroffen, dass eine elektrische Lichtleitung zur Verfügung steht und man den Apparat an die erste beste Anschlussdose anstöpseln kann. Deshalb ist eine größere Glühlampe als Vorschaltwiderstand vorgesehen. Doch ist der Betrieb des Apparates auch unabhängig von solcher Leitung mit kleinen Akkumulatoren oder Trockenelementen durchführbar. SilberschirmAbb. 3. Der Apparat mit dem Silberschirm an der Wand. Abb. 3 endlich zeigt die komplette Apparatur, den Silberschirm für die Projektion des Bildes an der Wand und davor den Apparat auf einem geeigneten Stativ.

Zugegeben nun, dass diese Konstruktion für unsere heutige Zeit das bedeutet, was eine Generation früher die Laterna magica war, so tritt die weitere Frage auf, was die Familie damit machen soll. Ganz gewiss keine Schauerdramen herunterkurbeln und jene Minderwertigkeiten fortsetzen, die das Kinotheater leider hier und dort begangen hat. Es gibt genügend Filme, die amüsant, aber nicht roh, belehrend, aber nicht langweilig sind. Zum Beispiel das Erblühen einer Victoria regia, ein Besuch auf Hagenbecks Straußenfarm oder im Tierpark daselbst oder im Seeaquarium auf Helgoland. Oder auch Szenen aus dem Alpensport, der Technik und der Physik. Etwa die mikrokinematographische Aufnahme eines ganz gewöhnlichen Tabakrauches, die die berühmte Brownsche Molekularbewegung, das Tanzen und Pendeln der kleinsten Rauchteilchen, unter dem Ansturm der Luftmoleküle deutlich erkennen lassen. Solcher Filme gibt es eine beträchtliche Menge, und darüber hinaus lagern in den Vorräten der Filmverleihgeschäfte ungezählte Kilometer älterer und auch für die Jugend einwandfreier Filme, die heute für sehr billiges Geld abgegeben werden.

Schließlich aber bedeutet der Vorführungsapparat ja überhaupt nur die eine Hälfte der ganzen Kinematographie. Die andere Hälfte wird durch den Aufnahmeapparat repräsentiert, mit dem der Operateur durch die Lande zieht und genau so unternehmungsfreudig kurbelt, wie die fotografischen Amateure zu knipsen pflegen. Voll ausgewertet und ausgenutzt wird das Prinzip des Kinematographen erst, wenn man der Familie auch einen Aufnahmeapparat in die Hand gibt, mit der sie selber passende Szenen auf den Film bannen kann.

AufnahmeapparatAbb. 4. Der Aufnahmeapparat mit zwei aufgeklappten Wänden.

Auch das ist geschehen. Unsere vierte Abbildung zeigt den Ernemannschen Aufnahmekino mit zwei aufgeklappten Wänden. Geschlossen bildet er einen handlichen Kasten, den man wie einen fotografischen Apparat mit sich führen und am beliebigen Ort in Betrieb nehmen kann. Nur dass eben nicht geknipst, sondern gekurbelt wird, dass nicht nur ein Bild von irgendeiner Szene genommen, sondern im Zeitraum von Minuten viele Hunderte von Bildern auf den Film gebracht werden, und dass man dann im Vorführungsapparat nach Jahren und Jahrzehnten jene Szenen von längst vergangenen Ausflügen und Reisen wieder lebendig werden lassen kann. Für den, der in die Geheimnisse der Amateurfotografie eingedrungen ist, bietet die kinematographische Aufnahme zweifellos eine Fülle neuer Anregungen, Reize und Perspektiven. Bisher war alles, was zum Kinematographen gehörte, noch von einem gewissen Nimbus des Schwierigen und auch sehr Kostspieligen umgeben, ähnlich etwa wie die gewöhnlichen fotografischen Apparate vor der Erfindung der Trockenplatten, da der Berufsfotograf sich vor jeder Ausnahme erst die lichtempfindliche Platte nach dem Nassverfahren selber herstellen muss. Für unmöglich hätte man es damals gehalten, dass der fotografische Apparat jemals Allgemeingut in der Hand von hunderttausend Amateuren werden könne. Und doch ist er es nach der Erfindung der Trockenplatten in überraschend kurzer Zeit geworden. Vor einer ähnlichen Entwicklung aber steht heute zweifellos der Kinematograph.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 116 Seiten | ISBN: 978-3-7597-8354-7

• Auf epilog.de am 21. Dezember 2024 veröffentlicht

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