Forschung & TechnikTechnik

Technik auf der Straße

Von Hans Dominik

Die Woche • 18.1.1908

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Der Wilde, der den Urwald durchstreift, trifft allerorten noch auf das ursprüngliche Walten der Allmutter Natur. Das geringste Zeichen menschlicher Tätigkeit, ein frischer Axthieb an einem Baumstamm, der Rest eines Feuers, ja am Ende eine Fußspur muss ihn stutzig machen und auf die Möglichkeit feindseliger Begegnung hinweisen. Wie uns Reisende berichten, ist denn das Auge des Wilden, des Naturmenschen, auch für diese Dinge ganz gewaltig geschärft.

Ganz anders der moderne Großstadtmensch. Alles, was ihn umgibt, ist Menschenwerk, von Menschenhänden bereitet, und der Fußspuren sind so viele, dass sie längst auch beim schönsten Schneefall zu einer breiten, keinem Fährtensucher mehr leserlichen Fläche verschwimmen. Dafür hat aber auch unser Auge die Fähigkeiten des Urwaldbewohners gründlich eingebüßt. Wir gehen an unserer Umgebung vorüber, ohne zu sehen, zu beobachten und zu kombinieren. Der Wilde, der etwa eine besondere Adlerfeder neben einem ausgebrannten Feuer findet, beobachtet und kombiniert sofort: Hier lagerte vor zwei Tagen die fliegende Locke mit zehn bewaffneten Kriegern. Sie ist auf dem Wege nach Skalpen, also Vorsicht.

Betreten wir einmal die Straßen unserer Großstadt und versuchen etwas Ähnliches. Eine asphaltbelegte, von der Straßenbahn durchfahrene und von mancherlei Gebäuden flankierte Straße. Unser Blick fällt auf ein unscheinbares kleines Gebäude, das die Bezeichnung Freihaus trägt, und unsere Gedanken beginnen zu arbeiten. Vor langer, langer Zeit, etwa da der Spanische Erbfolgekrieg tobte, haben hier Maurer nach der Urväterweise mit Kelle und Hammer, aber noch ohne die heute mit dem Maurer untrennbar verbundene Tabakspfeife, auf dem sonnigen grünen Vorland der Kleinstadt Berlin, das Gebäude errichtet. Frei schweifte der Blick von der Baurüstung über die breite Spree bis zum Wedding, bis nach Tegel und Spandau. Seit fünf Menschenaltern ruhen die Maurer unter dem Rasen, aber ihr Werk hat sich in stetig wechselnder Umgebung bis heute erhalten.

Weiterlesen mit
epilog.de

Werde epilog.plus-Mitglied und Du bekommst

  • Zugriff auf exklusive Beiträge wie diesen
  • PDF-Versionen und/oder eBooks von ausgewählten Artikeln
  • weniger Werbung und dafür mehr historische Bilder und alte Reklame

und Du hilfst uns, noch mehr interessante Beiträge zur Kultur- und Technikgeschichte zu veröffentlichen.

Ich bin bereits Mitglied und möchte mich anmelden.

Der vollständige Beitrag ist enthalten in:

Neuerscheinung

Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 116 Seiten | ISBN: 978-3-7597-8354-7

• Auf epilog.de am 9. Januar 2024 veröffentlicht

Reklame