VerkehrSchifffahrt

Der Kampf um das blaue Band des Atlantik

Plauderei von Hans Dominik

Die Woche • 1.12.1906

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Vor wenigen Wochen ist jenseits des Kanals ein Schiff vom Stapel gegangen, auf das Old England die allergrößten Hoffnungen setzt. Ist doch der neue Turbo-Riesendampfer, die ›Mauretania‹, zu dem ausdrücklichen Zweck erbaut, den Ozeanrekord, der im Anfang der 1890er Jahre an Deutschland fiel und seither mit ganz kurzen Unterbrechungen von Deutschland gehalten wurde, wieder dauernd nach England zu bringen.

Es war für England, die Königin unter den seefahrenden Nationen, ein schmerzliches Gefühl, als damals die ›Campania‹ und die ›Lucania‹, the Greyhounds of the Ozean, die Windhunde des Ozeans, von den deutschen Schnelldampfern ›Fürst Bismarck‹, ›Auguste Victoria‹ und anderen überholt wurden. Es kamen die betrüblichen Jahre, da die alte Cunard Line nicht mehr die schnellsten Schiffe des Ozeans besaß. Es kamen jene Jahre, da der englische Reisende mit seinen Kreditwechseln zwar noch auf englischen Dampfern fuhr, aber die Sekundawechsel seines Kredits auf den deutschen Dampfern vorausreisten und schon beim New Yorker Bankier lagen, wenn er selbst kam, um seinen Kredit zu erheben. Es kamen noch schlimmere Jahre, da ein gewaltiger Teil des großen Stromes englischer Reisender selbst auf die deutschen Dampfer überging.

Unter solchen Umständen kam man in England zur Überzeugung, dass etwas Einschneidendes geschehen müsse, dass der Ozeanrekord unter allen Umständen wieder nach England zu holen sei. Die Aufgabe lag klar. Die Lösung war schwierig. Der Betrieb von Luxusschnelldampfern ist eine heikle Sache, und die Bilanzen unserer beiden großen Gesellschaften würden sehr viel ungünstiger aussehen, wenn nicht die vielen soliden Frachtdampfer wären, die mit mäßigen Geschwindigkeiten von 12 bis 15 Knoten unendliche Mengen kostbaren Lastgutes über den Ozean schleppten. Ist es doch ein alter Erfahrungssatz, dass die Maschinenleistung und damit auch der Kohlenverbrauch beinah mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit steigen. Wenn wir die Geschwindigkeit eines Dampfers verdoppeln wollen, so müssen wir die Maschinenleistung verachtfachen, wenn wir die Geschwindigkeit verdreifachen wollen, muss die Leistung versiebenundzwanzigfacht werden. In der Praxis stellen sich die Verhältnisse noch ungünstiger, denn für stärkere Leistungen werden auch schwerere Maschinen, größere Kesselanlagen und umfangreichere Kohlenbunker notwendig. Man muss daher wohl oder übel auch den ganzen Schiffsrumpf vergrößern, wenn das Verhältnis der toten zur Nutzlast nicht allzu ungünstig werden soll, und so bildet diese Steigerung recht eigentlich eine Schraube ohne Ende.

Geld war dabei sicherlich nicht zu verdienen, und so entschloss sich die englische Regierung, der Cunard Line zu Hilfe zu kommen. Es sollte der Gesellschaft möglich gemacht werden, ein paar Riesenschiffe zu erbauen und in Dienst zu stellen, die alles Bisherige weit hinter sich ließen. Was das alte Schwesternpaar ›Campania‹ und ›Lucania‹ nicht vermocht hatte, soll das neue, sollen ›Mauretania‹ und ›Lusitania‹ vollbringen. So entschloss sich denn die englische Regierung, der Gesellschaft das Baukapital für die beiden Schiffe, rund 60 Millionen Mark, zu geringen 2 % Prozent unkündbar zu leihen, und verlangte als einzige Gegenleistung nur, dass die Schiffe – natürlich gegen entsprechende Bezahlung – jederzeit von ihr als Hilfskreuzer gechartert werden können. Naturgemäß bedeutet dieser Vertrag nichts anderes als eine recht hohe Subvention von Staats wegen. Am freien Markt hätte die Gesellschaft das Baukapital wenigstens mit 4 % verzinsen müssen, so dass die zweiprozentige Verzinsung ein jährliches Geschenk von 1 200 000 Mark darstellt. Ob eine solche Unterstützung zweckmäßig oder moralisch sei, soll hier nicht weiter erörtert werden. Es mag die einfache Feststellung genügen, dass die neuen Cunard-Dampfer mit staatlicher Subvention, unsere Amerika-Schnelldampfer hingegen ohne eine derartige laufen.

Rückhaltlos soll dagegen anerkannt werden, dass die englische Gesellschaft nun mit den zur Verfügung gestellten Mitteln in großem Stil vorgegangen ist. Mit dem Prinzip des 200 m-Schiffes ist gründlich gebrochen. Die beiden neuen Dampfer sind 240 m lang. Wir befinden uns also damit glücklich im dritten Hundert, an das man so lange nicht glauben wollte, und wenn das gegenseitige Reizen in diesem alten Spiel zwischen England und Deutschland so weitergeht, so werden wir in den kommenden Jahren wohl auch noch ein Stück weiterkommen. Und nun zu den Pferdestärken. Als seinerzeit die ›Bismarck‹ das blaue Band des Ozeans nach Deutschland heimfuhr, entwickelte sie 19 000 indizierte Pferdestärken und mag es unter der Hand geschickter Maschinisten und guter Heizer wohl auch auf 20 000 gebracht haben. Ihre Geschwindigkeit hielt sich damals zwischen 18 und 20 Knoten. Inzwischen ist die Geschwindigkeit bis auf 25 Knoten gebracht worden. Die Zahl der Pferdestärken aber stieg bis auf 40 000, die von ›Kaiser Wilhelm II.‹, der gegenwärtigen Rekordhalterin, geleistet werden. Dabei ist allgemein die Anordnung nach dem Zweischraubensystem gebräuchlich geworden. Zwei Maschinengruppen von je 20 000 PS arbeiten auf zwei Wellen, deren jede eine gewaltige Schraube trägt. Mit unwiderstehlicher Kraft reißen die Kolbendampfmaschinen diese Schrauben mit Durchmessern bis zu zwölf Metern durch die Fluten.

Mauretania im TrockendockDie ›RMS Mauretania‹ im Trockendock. Beim Stapellauf am 20. September 1906 war sie der größte Ozeandampfer der Welt. Mittels Dampfturbinen erreichte die Mauretania eine Reisegeschwindigkeit von 24 Knoten und errang damit im September 1909 das ›Blaue Band‹ für die schnellste Atlantik-Überquerung.

Bei der ›Mauretania‹ ist alles anders. Die alte Kolbendampfmaschine ist verschwunden, und an ihrer Stelle stehen die jüngsten Kinder der Technik, die Dampfturbinen. Vier gewaltige Turbinengruppen sind es, deren jede etwa 17 000 PS entwickelt, so dass im ganzen 68 000 Maschinenpferde im Schiffskörper erzeugt werden. Nicht mehr zwei Wellen finden wir, sondern deren vier, und jede Welle trägt ihre eigene Schraube.

Wenn wir unsere alte Kubusrechnung der Leistungen und Geschwindigkeiten nun auch wieder auf den neuen Dampfer anwenden und dabei von der Tatsache ausgehen, dass ›Kaiser Wilhelm II.‹ mit 40 000 PS 25 Knoten zurücklegt, während wir hier 68 000 PS zur Verfügung haben, so würden wir für die ›Mauretania‹ eine Geschwindigkeit von 29,85 Knoten erhalten.

Dieses Ideal wird ja nun nicht erreicht werden, weil wir in unseren Rechnungen für die Schiffe gleiche Schiffskörper angenommen haben, während in Wirklichkeit die ›Mauretania‹ ganz erheblich größere Dimensionen aufweist. So zwischen 27 und 28 Knoten dürften sich aber die Probefahrten des neuen Dampfers wohl abspielen, und damit würden wir bereits das langersehnte Viertageschiff über den Ozean haben. Ein endgültiges Urteil kann man gerade bei dem neuen Dampfer, der von allem Hergebrachten so sehr abweicht, vor den Probefahrten nicht fällen. Wenn aber die Ingenieure sich nicht stark geirrt und gröblich verrechnet haben, dann geht nach der Indienststellung der ›Mauretania‹ das blaue Band rettungslos nach England zurück, und man wird in Deutschland ganz exorbitante Anstrengungen machen müssen, wenn man es wieder holen will.

Im Übrigen wiegt das neue Schiff 45 000 t oder seemännisch gesagt, es hat eine Wasserverdrängung von 45 000 Tonnen. Wenn wir uns erinnern, dass noch vor zehn Jahren 20 000 t ein erstrebenswertes Ziel waren, so sehen wir auch hier, dass die Entwicklung in flotter Fahrt auf das Hunderttausendtonnenschiff hinweist, von dem man träumt, dass es einmal das Dreitageschiff des Atlantiks werden könnte. Dazu freilich werden Zeit und Geld notwendig sein, denn gegenwärtig sind unsere deutschen Docks, Schleusen usw. allerhöchstens für Schiffe von 220 m Länge zu benutzen, und ein Riesenschiff, dem solche Zufluchtsstätten fehlen, ist natürlich verraten und verkauft. So hält denn England vorläufig die beiden höchsten Trumpfkarten im Spiel. Auf wie lange, das wird die Zukunft lehren.

Entnommen aus dem Buch:
Der Ingenieur, Journalist und Schriftsteller Hans Dominik (1872 – 1945) gehört zu den erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Deutschlands. Neben zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten verfasste er vor allem auch populärwissenschaftliche Beiträge für Zeitschriften und Jahrbücher. Für dieses Buch wurden seine verkehrstechnischen Plaudereien und Betrachtungen zusammengetragen und vermitteln dem Leser einen unverfälschten Blick auf die Verkehrsgeschichte des jungen 20. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 12,90 | 92 Seiten | ISBN: 978-3-7534-7686-5

• Auf epilog.de am 18. Oktober 2023 veröffentlicht

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