Forschung & TechnikWissenschaft

Erdbeben und Erdbebenforschung

Von Hans Dominik

März - eine Wochenschrift • 16.2.1909

Voraussichtliche Lesezeit rund 10 Minuten.

Lange vor dem Beginn jeglicher höheren Kultur und Wissenschaft standen die Menschen den Naturereignissen fragend gegenüber und suchten sie sich auf ihre Weise zu erklären. Im Donner glaubten sie die Stimme eines Gottes zu vernehmen, im Blitz den geöffneten Himmel zu sehen. Dass auch das Erdbeben eine häufige Erscheinung war, beweisen die Mythen aller Völker. Immer wird irgendwo ein Riese von seinen Überwindern an den Felsen geschmiedet. Mag es nun Loki oder Prometheus sein, – gelegentlich werden ihm die Fesseln zu drückend, er rüttelt daran, und dann erbebt die Erde. Neben dieser Lesart, welche die Arier bereits aus Indien mitbrachten, finden sich verschiedene andere Erklärungen, so die Werkstatt der Zyklopen im feuerspeienden Berge bei den Mittelmeervölkern oder die germanische Sage von der Midgardschlange, die den Erdkreis umspannt, und deren gelegentliches Zucken das Erdbeben ist.

Von Anfang an hat die Menschheit Forschungsdrang besessen, hat sie versucht, unbekannte Erscheinungen zu deuten, das heißt: sie auf bekannte Ursachen zurückzuführen. Jenem Zeitalter waren die Zyklopen, waren Loki und Prometheus bekannte Gestalten, und daher konnte ihm der Mythos genügen. Das fromme Mittelalter sah im Erdbeben unmittelbar die strafende Hand Gottes und tat damit jeglichem Erklärungsbedürfnis Genüge. Darüber hinauszugehen wäre damals frevent­liche Ketzerei gewesen. Es verdient festgestellt zu werden, dass einige Geister des 20. Jahrhunderts ernstlich versucht haben, die mittelalterliche Hypothese vom Strafgericht auch auf das Erdbeben von Messina anzuwenden, – ein Vorgehen, das unserer Zeit in den Augen kommender Jahrhunderte nicht gerade zum Ruhme gereichen wird.

Im 18. Jahrhundert begannen die Begriffe sich zu wandeln. Die biblische Schöpfungsgeschichte wurde nicht mehr wörtlich genommen. Die Hypothese von Kant und Laplace, dass unsere Erde ebenso wie die Sonne aus einem großen glühenden Urnebel stamme, gewann Beachtung, und die französischen Rationalisten zimmerten eine Erdgeschichte zusammen, die gegen die früheren Anschauungen sicherlich einen Fortschritt bedeutete, heute aber in vielen Einzelheiten überwunden ist. In dieser Geschichte spielten gewaltige Weltkatastrophen eine ganz besondere Rolle. Nennt man sie doch deswegen geradezu die Katastrophentheorie. Die einzelnen Abschnitte jener Geschichte waren jedes Mal durch enorme Erdbeben und Überschwemmungen voneinander getrennt. Dabei wurden dann das eine Mal die alten Steinkohlenwälder unter Felsen begraben, das andere Mal die ganzen Saurier in der Kreide verschüttet und so weiter. Das alte Kneiplied Scheffels vom Ichthyo­saurus enthält noch deutliche Anklänge an diese Theorie.

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Neuerscheinung

Der Ingenieur Hans Dominik (1872 – 1945) ist vor allem durch seine technisch-utopischen Romane bekanntgeworden. Dominik war aber in erster Linie Wissenschaftsjournalist und verfasste zahlreiche populärwissenschaftliche Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen. Dabei brachte er im lockeren Plauderton dem interessierten Laien wissenschaftliche Grundlagen und neue technische Errungenschaften näher. Dieses Buch versammelt eine repräsentative Auswahl seiner wissenschaftlichen und technischen Plaudereien.
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