Verkehr – Schifffahrt
Hamburgs neue Hafenanlagen
Die Gartenlaube • Januar 1877
Da verlangt der Senat schon wieder so und so viel Millionen für neue Kaianlagen! Unsummen Geldes sind schon bewilligt, aber immer mehr und mehr wird nachverlangt. Heute Abend in der Bürgerschaft kommt der Antrag zur Abstimmung. Ich gehe gar nicht hin. Dagegen stimmen kann man nicht gut, und dafür stimmen mag ich nicht. Die ganzen Kaianlagen sind mir antipathisch.«
Sandtor-, Kaiser- und Dalmannkai im Hamburger Hafen.
Der dies sprach – der Schreiber dieser Zeilen war zufällig gegenwärtig – ist ein alter Hamburger Handelsherr. Einer von der Sorte, welcher der Zopf hinten hängt. Man findet auch solche Exemplare an der Börse unserer Welthandelsstadt, aber zum Glück ziemlich selten.
Der Angeredete, ein jüngerer Kaufmann, lächelte. »Was haben Sie denn gegen die Kaianlagen einzuwenden? Sind diese stattlichen Hafendämme zum Ein- und Ausladen unserer Waren nicht für Hamburgs Handel unentbehrlich?«
»Für unser modernes Geschäft allerdings.« murrte der Alte. »Aber das ist es ja eben. Geht mir doch mit der oft gepriesenen Jetztzeit, schafft mir die gute alte Zeit zurück! Sehen Sie sich die neuere hamburgische Handelsstatistik an, lieber Freund! Zahlen beweisen. Da haben nur vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren so und so viel Import, so und so viel Export gehabt; alle Zahlen sind gestiegen; auf den ersten Blick sollte man glauben, der Handel blühe. Vergleichen Sie jedoch unseren Proprehandel (Handel für eigene Rechnung) mit dem Speditionsgeschäfte so finden Sie, dass das Verhältnis ein anderes, und zwar ein schlechteres geworden ist. Der Proprehandel ist der wahre Lebensnerv; vom Speditionsgeschäfte mag ich gar nichts hören. Der eine Spediteur nimmt noch billigere Sätze als der andere. Jeder unterbietet den Konkurrenten – es ja fabelhaft, wie der Verdienst beim Spedieren gedrückt ist. Und wem dienen die Kaianlagen? Doch in erster Linie dem Speditionsgeschäfte. Und es geht jahraus, jahrein mit den Millionen-Bewilligungen lustig fort; immer neue Kais werden gebaut; mit Stolz weist man auf die immer wachsende Zahl von Schiffen hin, die im Hamburger Hafen angekommen – aber die Waren, welche sie bringen? Nun, die wandern direkt aus dem Schiffsbauch in den Eisenbahnwagen; die Lokomotive pfeift – weg damit! Fort auch mit dem schönen Verdienst von anno dazumal!«
»Aber wir müssen doch mit den konkurrierenden Hafenplätzen Schritt halten.«
»Weiß ich. Deshalb stimme ich auch nicht gegen den Antrag. Glaube es gern, dass es so sein muss. Aber darum kann man doch mit Bedauern daran denken, wie es früher doch so viel besser war.«
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