VerkehrSchifffahrt

Der heutige Rettungsdienst an den Küsten

Das Neue Universum • 1880

Voraussichtliche Lesezeit rund 20 Minuten.

Groß sind die Gefahren, welche die hohe See birgt, wenn der Schiffer, vom Sturm überfallen, im Kampf der tobenden Elemente Meer und Himmel ineinander verschwimmen sieht; aber sie können sich nicht messen mit den Schrecknissen der Küste! Weiß der Seefahrer, dass er auf 500 Meilen rings herum kein Land neben sich und 1000 Meter Wassertiefe unter dem Kiele hat, so fürchtet er auf seinem gut gebauten Schiffe bei fest verstauter Ladung den Sturm nicht sehr; wenn aber Land in der Nähe ist, dann ergreift beim Heraufziehen des Orkans auch den herzhaftesten Seefahrer das Grausen. RettungsbootDas Rettungsboot in der Brandung. Denn das Land ist der Feind dessen, was auf dem Salzwasser schwimmt, und wenn vor Wind und Wellen Bergung möglich ist, so ist doch die Küste erbarmungslos! Und wie der Strand so waren Jahrhunderte lang dessen Anwohner. Um einen ›gesegneten‹ Strand, wurde von ihnen in den Kirchen gebetet, man flehte zum Himmel, dass recht zahlreiche Schiffbrüche in der Nachbarschaft der Küste stattfänden, um des von den Wogen angeschwemmten Gutes teilhaftig zu werden. Um die Schiffbrüchigen kümmerte man sich nicht, sie mochten, kamen sie mit dem Leben davon, froh sein, unbehelligt fortziehen zu können. Mag man über die Humanität der Neuzeit denken, wie man will, und mag man noch so sehr und mit Recht von manchmal übertünchter Höflichkeit reden, so kann niemand bestreiten, dass wenigstens auf dem Gebiet des Rettungswesens zur See die Gegenwart Mustergültiges leistet, dass man diesen Einrichtungen und Anstrengungen gegenüber wahrhaft stolz darauf sein kann, dem 19. Jahrhunderte anzugehören!

In England zuerst, dann in Nordamerika, endlich bei uns, sind von Erfolg gekrönte Bestrebungen zur Rettung der Schiffbrüchigen an den Küsten gemacht worden, und heute ist dieses Lebensrettungswesen in bewundernswürdiger Weise organisiert. Wissenschaft und Praxis haben sich zusammengetan, um dem Rachen der See sein unglückliches Opfer zu entreißen; aber um dies im gegebenen Falle wirklich auszuführen, dazu gehört noch etwas, was Wissenschaft und Kunst nicht zu geben vermögen, wenn es nicht vorhanden ist, nämlich Mut und wirkliche Nächstenliebe! Und wahrhaft, diese Tugenden sind heute noch nicht so sehr verschwunden, wie mancher denken mag, der nur die große Masse in den Städten, besonders den Fabrikstädten, kennengelernt hat. Ohne die wahrhaft tatkräftige Humanität des Strandbewohners würden auch heute noch alle Vorrichtungen zur Lebensrettung nichts nützen. Versetzen wir uns einmal an die zehntausend Seemeilen lange Ostküste von Nordamerika, besonders an die sandigen Striche zwischen Cap Cod und Cap Hatteras, den Kirchhof der Schiffe, von denen zahllose Wracks dort im Sande eingebettet liegen. Der öde, tote Strand scheint nur von Seevögeln belebt, die plätschernde Woge zu unsern Füßen und die hoch am Himmel dahinziehenden Wolken geben allein dem Bild einige Bewegung. Und dennoch ist diese Küste bewacht, auf tausend Meilen hin wird sie unter steter Aufsicht gehalten, denn gerade hier stranden zahlreiche Schiffe. Von Strecke zu Strecke sehen wir am Strande, meist an etwas erhöhten Punkten einfache aber fest gefugte Gebäude, es sind Lebensrettungsstationen.

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Ziemlich spät wurden an der Nordseeküste Deutschlands Rettungsanstalten ins Leben gerufen. Es bedurfte eines Unfalls, wie des Schiffbruchs der ›Alliance‹, um zu energischer Tätigkeit anzuspornen. Navigationslehrer Bermpohl aus Vegesack erließ gemeinsam mit Dr. Kuhlmay einen Aufruf an die deutsche Nation, der vom besten Erfolg begleitet war, und im folgenden Jahre bildete sich in Emden der erste Verein zur Rettung Schiffbrüchiger. Ähnliche Vereine bildeten sich in Hamburg, Bremen, Lübeck, Rostock, Danzig und im Jahre 1866 vereinigten sich alle zu einer allgemeinen ›Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger‹.
eBook € 1,99 | eISBN: 978-3-7568-1416-9

• Auf epilog.de am 11. Dezember 2022 veröffentlicht

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