Verkehr – Schifffahrt
Von Kiel nach Brunsbüttel
Eine Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal vor der Eröffnung
Die Gartenlaube • 1895
Der Nord-Ostsee-Kanal steht gegenwärtig im Mittelpunkte des öffentlichen Interesses, und früher als in den letzten Jahren hat in diesem Frühling der Zug der Touristen begonnen, welche, um einen Begriff von der Größe des Bauwerks zu erhalten, den Kanal entweder auf seiner ganzen, 98,65 Kilometer langen Linie oder doch wenigstens auf der bereits seit Jahren von fahrplanmäßigen Dampfern befahrenen östlichen Strecke, von der Mündung bei Holtenau bis zur ehemaligen schleswig-holsteinischen Festung Rendsburg, zu bereisen. Ist doch die Jahreszeit für solche Fahrt gerade jetzt die günstigste: in entzückender Jugendschönheit präsentiert sich die schleswig-holsteinische Frühlingslandschaft und auf dem glatten Wasserspiegel und auf den Ufern der neuen Verkehrsstraße brennt noch nicht die erschlaffende Glut der Sommersonne. Aber auch im Geist aus der Ferne wird der freundliche Leser gern uns auf solcher Maienfahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal begleiten.
In einer kleinen halben Stunde bringt uns der stündlich von Kiel nach der Festung Friedrichsort abgehende Föhrdedampfer zur Holtenauer Mündung. In anfangs nordnordöstlichem, dann nördlichem Kurs dampfen wir zum inneren, engeren Hafen hinaus; vorüber zur Rechten an den Panzerschiffen des Manövergeschwaders, die nun nicht mehr nötig haben werden, den weiteren und gefährlicheren Weg um Skagens Felsenküste zu nehmen, wenn sie im Spätsommer die Wilhelmshavener Reede aufsuchen, um in den Verband der Herbstübungsflotte einzutreten. Zur Linken aber zieht die Frühlingspracht des Düsternbrooker Ufers vorüber, in die Lichtfülle der Morgensonne getaucht; in lauschigen Gärten freundliche Villen, von Zeit zu Zeit ein öffentliches Bade- und Wirtschaftsetablissement, solide Landungsbrücken für anlegende Dampfer und schwanke Stege für Ruder- und Segelboote, belebt von buntfarbiger Menschenmenge, die sich des Lenzes freut; und hinter dem allem emporwachsend die frischgrünen Buchenwaldhöhen von Bellevue und Umgebung. Hinter dem hohen Ufervorsprung von Bellevue aber tritt plötzlich das gleichzeitig fast auf das Niveau des Ostseespiegels abfallende Gestade westwärts zurück, um erst etwa fünf Kilometer weiter nördlich wieder zum Leuchtturm von Friedrichsort sich zu wenden, an welchem die enge, durch mächtige Festungsanlagen auf beiden Ufern verteidigte Ausfahrt vom Binnenhafen auf die Außenreede östlich vorbeiführt. Fast genau auf der Mitte dieser hinter Bellevue im flachen, mehrfach geknickten, westwärts ausschweifenden Bogen von Süd nach Nord führenden Küstenlinie liegt, die letztere im rechten Winkel schneidend, die Ostmündung des neuen Kanals, von See her unsichtbar und daher durch kein Geschoss feindlicher Kriegsschiffe erreichbar, wohlgeborgen im Innern eines Hafens, der durch seine natürliche Beschaffenheit und die an seinen Ufern drohenden Forts so ausgiebig geschützt ist, dass nach dem Urteil maßgebender Autoritäten an ein Erzwingen der Einfahrt schlechterdings nicht gedacht werden kann.
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