Handel & Industrie – Landwirtschaft
Die Gänsezucht in Pommern
Das Buch für Alle • 1879
Pommersche Gänsebrüste sind ein beinahe weltberühmter Leckerbissen und deuten an sich schon auf die Bedeutung der Gänsezucht hin, mit welcher man sich in Pommern so emsig befasst. Das weite wellige Gelände Pommerns mit seinem Reichtum an Flüssen, Seen, Teichen und Torfmooren ist für diese Zucht besonders geeignet, und der Geldbetrag, welcher für Federn, lebende, geschlachtete und geräucherte Gänse, für Gänselebern usw. alljährlich nach Pommern geht, beläuft sich auf hohe Summen. Es gibt ganze Gehöfte, welche sich beinahe ausschließlich nur mit der Gänsezucht befassen und diese wirklich rationell betreiben. Wir führen in unserem Bild den Lesern einen derartigen Gänsehof vor und knüpfen daran eine kurze Schilderung des bei der pommerschen Gänsezucht beobachteten Verfahrens. Die Gänse von Neu-Vorpommern gelten für die besten, aber die in den östlich und westlich an Pommern grenzenden Landstrichen geben ihnen an Güte nur wenig nach. Die Gänse werden gewöhnlich von Hoftagelöhnern gezogen und die halbwüchsigen Jungen dann nach den Gänsehöfen verkauft, wo sie ihr Wachstum vollenden und dann meist auch gemästet werden.
Das Haupterfordernis für einen Gänsehof ist die Nähe von fließendem Wasser und von einem Anger, wo die jungen Gänse weiden können. Im Februar paaren sich die Gänse, wobei man immer 4 – 8 Weibchen auf einen Ganter rechnet; je nach der Witterung beginnen die Weibchen dann schon im Februar oder doch im März zu legen, und zwar täglich oder jeden zweiten Tag ein Ei, wovon immer das jüngste als Nestei liegengelassen wird und wobei junge Gänse ungefähr 12, alte bis zu 20 Eier in einem Frühjahr legen. Sobald das Legen vorüber ist, gehen die Gänse an das Brüten, wozu man ihnen in einem warmen Stall und in einem eigenen Verschlag 12 – 15 frisch gelegte und frostfrei aufbewahrte Eier in einem flachen Korb unterlegt.
Nach 28 – 31 Tagen kriechen die jungen Gänschen aus und bleiben so lange noch im Nest, bis sie ›nestreif‹, d. h. trocken werden, worauf man ihnen eine ganz besondere Pflege widmet und sie häufig sogar in der Stube am warmen Ofen einzeln aufzieht und vor Ratten, Wieseln und Iltissen schützt, die ihnen sehr gefährlich werden. Ihr erstes Futter besteht in klein gehacktem Grünzeug, Brennnesseln, Kohlsprossen, Gänsedisteln, jungem Gras usw., welches man mit Gerstenschrot und Kleie bestreut. Da sie gegen Kälte sehr empfindlich sind, so müssen die Küchlein in den ersten Wochen möglichst warmgehalten werden und man bringt sie nur an warmen Tagen ins Freie und an Stellen, wo junges Gras sprosst, sucht sie aber vor den scharfen Frühlingswinden möglichst zu schützen. Sind sie einen Monat alt, so gibt man ihnen Hafer, den man im warmen Wasser hat quellen lassen, nährt sie gut und treibt sie so viel wie möglich ins Gras, auf Rasenplätze und Brachfelder und zuletzt auf die Stoppelfelder, wobei sie ihr Wachstum vollenden. Sind sie so weit, so beginnt das Mästen in den sogenannten Gänsestietzen, welche auf dem Bild dargestellt sind. Hier werden sie möglichst reinlich gehalten und mit gequellten Körnern und Hülsenfrüchten gefüttert, auch täglich zum Wasser und ins Gras getrieben. Durch sorgsame Pflege und genügende Fütterung werden sie bald so schwer, dass man sie schlachten oder als marktgute Ware verschicken kann.
Gänse, welche zur Mast bestimmt sind, dürfen zuvor nicht gerupft werden, wie die zur Zucht bestimmten oder zur Waide gehenden alten Gänse, welche die besten und weichsten Federn geben, denn zum Ersatz der ausgerupften Federn brauchen sie mindestens 4 – 5 Wochen lang kräftige Nahrung und werden in dieser Zeit nicht fett. Auch ist nach Weihnachten das Mästen der Gänse nicht mehr rätlich, weil sie bei strenger Kälte kein Fett ansetzen. In der vorstehend skizzierten Weise werden auf manchem pommerschen Gänsehof alljährlich einige Hundert Gänse gezüchtet und für den Markt und das Einschlachten gemästet, und die Zucht lohnt sich bei rationellem und vorsichtigem Betrieb sehr gut.
