VerkehrFernmeldewesen

Fernsprechanlagen in Deutschland

Zentralblatt der Bauverwaltung • 7.1.1882

Über den gegenwärtigen Stand der Fernsprechanlagen in Deutschland entnehmen wir einem im elektrotechnischen Verein in Berlin am 27. Dezember 1881 gehaltenen Vortrag des Geh. exped. Sekretärs Unger folgendes:

Unter allen Ländern ist Deutschland dasjenige, in welchem der Fernsprecher zu allererst in die Verkehrsverwaltung eingeführt worden ist. Bereits im November 1877 – zu einer Zeit, als der Fernsprecher fast noch überall als bloße Spielerei betrachtet wurde – ist die deutsche Reichs-Postverwaltung mit der Errichtung von Fernsprechanstalten in kleineren Orten vorgegangen. Am 12. November 1877 erfolgte die Eröffnung des ersten Fernsprechamtes in Friedrichsberg [ehem. Stadtviertel an der Grenze Friedrichshain / Lichtenberg] bei Berlin, und gegenwärtig finden sich 1280 Fernsprechämter über das ganze deutsche Reichspostgebiet verteilt in voller Tätigkeit. Gleichzeitig mit der Einrichtung der Fernsprechanstalten in kleineren Orten richtete die Reichs-Postverwaltung auch ihr Augenmerk auf die Anlage von Fernsprech-Vermittelungsstellen für den großstädtischen Ortsverkehr; die umfassendsten Vorarbeiten wurden sofort in Angriff genommen.

Auffallenderweise jedoch verhielt sich das größere Publikum gegen das neue Verkehrsmittel in der ersten Zeit gleichgültig und zurückhaltend – offenbar, weil man sich der Wichtigkeit des Fernsprechers für das praktische Leben noch nicht hinreichend bewusstgeworden war, –, und erst nach wiederholten Bekanntmachungen gelang es, zuerst in Mülhausen i. E. und in Berlin, eine genügende Anzahl von Teilnehmern zu gewinnen, um mit den Fernsprechanlagen beginnen zu können. Als indessen diese dem Betrieb übergeben worden waren und das Publikum aus eigener Erfahrung die Wichtigkeit des öffentlichen Fernsprechers erkannt hatte, trat rasch ein Umschwung ein, und gegenwärtig ist das Interesse an dem neuen Verkehrsmittel derartig im Zunehmen begriffen, dass z. B. in Berlin die Zahl der mit den einzelnen Teilnehmern mittels des Fernsprechers geführten Gespräche in jedem neuen Monat um durchschnittlich 6000 zunimmt.

Dieses wachsende Interesse hat es der Postverwaltung ermöglicht, die Fernsprecheinrichtungen in schneller Folge auch auf andere Städte Deutschlands auszudehnen. Nach Verlauf von noch neun Monaten, seitdem im April 1881 die Fernsprechanlage in Berlin dem Verkehr übergeben wurde, sind gegenwärtig in Berlin, in Mülhausen i. E., Hamburg, Frankfurt a. M., Breslau, Köln und Mannheim Fernsprech-Vermittelungseinrichtungen im Betrieb. Für Altona, Barmen, Elberfeld, Hannover, Leipzig, Magdeburg, Stettin ist eine gleiche Einrichtung bereits genehmigt und in der Herstellung begriffen; auch für noch andere Städte des Deutschen Reichs, wie beispielsweise für Straßburg i. E., Bremen und Dresden, ist sie in Aussicht genommen. Sogar von einer Reihe kleinerer Orte sind dem Reichs-Postamt Anträge auf Einrichtung von Fernsprech-Anstalten zugegangen. In den zuerst angeführten 7 Städten, woselbst die Fernsprech-Einrichtungen bereits dem Betrieb übergeben sind, haben die zu Fernsprechzwecken dienenden Drahtleitungen gegenwärtig eine Gesamtlänge von 3147 Kilometer oder 420 deutschen Meilen erreicht. In erster Reihe kommt Berlin mit 1554 Kilometer Leitung; es folgen Hamburg mit 911, Breslau mit 200, Frankfurt a. M. und Mannheim mit je 183 Kilometer; Mülhausen i. E. hat 87 und Köln 69 Kilometer Drahtleitungen für Fernsprechzwecke aufzuweisen.

Die Herstellung dieser Leitungen, die zum Teil noch in das verflossene Winterhalbjahr fiel, ist, wie sich denken lässt, abgesehen von den zeitraubenden und oft langwierigen Verhandlungen mit den Hausbesitzern, mit erheblichen Umständen, Schwierigkeiten und Mühen verbunden gewesen; waren doch zur Befestigung der Drähte allein in Berlin 2148 Stützpunkte, in Hamburg 964 Stützen auf den Firsten oder an schwer zugänglichen Seitenteilen der Hausgiebel anzubringen. Die Anzahl sämtlicher angemeldeten Stellen in den erstgenannten 7 Städten beziffert sich zurzeit auf 1694. 1413 von ihnen sind bereits an die Vermittelungsstellen angeschlossen und können mündlich nach Belieben mit anderen Teilnehmern in Verbindung treten. In Berlin beträgt die Zahl der angemeldeten Stellen gegenwärtig 668. In Hamburg sind zur Zeit 523 Stellen angemeldet.

Was den Fernsprechverkehr betrifft, so sind zurzeit in Berlin zur Vermittelung des Verkehrs auf den Fernsprechleitungen 3 Zentralstellen eingerichtet: in den reichseigenen Gebäuden Französische Straße 33 C, in der Mauerstraße 74 und in der Oranienburger Straße 35. Bei diesen drei Vermittelungsstellen sind in den Tagen vom 1. bis 21. Dezember 1881 34 539 einzelne Verbindungen ausgelührt worden; es entfallen also auf den Tag rund 1650 Verbindungen, oder, wenn man die schwächer benutzten drei Sonntage mit 720, 540 bzw. 333 Verbindungen in Abrechnung bringt, 1830 Verbindungen auf jeden Wochentag. Am stärksten sind die Vermittelungsbeamten in der Zeit von 12 bis 1 Uhr Mittags während der Börse in Anspruch genommen. In dieser einen Stunde werden allein im Zentralamt in der Französischen Straße im Durchschnitt 150 Verbindungen hergestellt; es kommen also auf alle 2 Minuten deren 5. Die Zahl der in den gedachten 21 Tagen mittels Fernsprecher aufgegebenen Telegramme beträgt 156.

Öffentliche Fernsprechstellen befinden sich in Berlin gegenwärtig zwei; eine beim Postamt 64, Unter den Linden Nr. 5, und eine in dem Torhaus am Potsdamer Tor.

• Auf epilog.de am 8. Mai 2017 veröffentlicht

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