Handel & IndustrieFabrikation

Die Fabrikation des Zündhölzchen

Die Abendschule • 7.3.1879

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Die Reibzündhölzer, heutzutage in der ganzen zivilisierten und sogar noch in der halbwilden Welt das allgemeinste und beinahe noch einzige Feuerzeug, gehören zu den dringendsten und am weitesten verbreiteten Lebensbedürfnissen, und sind heutzutage der Gegenstand eines äußerst wichtigen Industriezweiges in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika. Gleichwohl sind die Zünd- oder Streichhölzchen eine verhältnismäßig noch junge Erfindung und erwiesenermaßen erst ungefähr um das Jahr 1833 in verschiedenen Ländern gleichzeitig aufgetaucht, haben aber dann sehr schnell alle anderen Feuerzeuge: Stahl und Stein, Zunder, verkohlte baumwollene Lappen, Schwefelfaden, Zündmaschinen, Tunkfeuerzeuge usw. verdrängt. Manche unsere Leser interessiert es daher vielleicht, etwas Näheres über die Erfindung und noch mehr über die Fabrikation der Streichhölzchen im großen zu erfahren, und hierüber wollen wir einige Andeutungen geben.

Die Streichhölzchen sind eine praktische Anwendung des chemischen Elements Phosphor, welches in seiner Verbindung mit Sauerstoff in der organischen und anorganischen Natur ungemein weit verbreitet, in seiner reinen Form erst 1669 von Brandt in Hamburg und später von Kunkel dargestellt wurde. Der Phosphor wurde schon zu Anfang dieses Jahrhunderts zu verschiedenen komplizierten Zündapparaten (Turiner Lichtchen, Congreveschen Reibzündern u. dgl.) verwendet, die alle auf die einfachere Anwendung in der jetzigen Form der Streichhölzer vorbereiteten, so dass es nicht zu verwundern ist, wenn ziemlich gleichzeitig in mehreren Ländern: durch John Walker in England, Kammerer in Ludwigsburg, Prehsel in Wien, Moldenhauer in Darmstadt u. A. m., Phosphorzündhölzchen und andere Zünder verfertigt und in den Handel gebracht wurden. Alle diese Zündhölzchen unterscheiden sich in ihrer Zubereitung nur unwesentlich voneinander und stimmten in der Hauptsache darin überein, dass sie aus dünnen Holzstäbchen bestanden, deren eine Ende mit Stearin, Wachs, Paraffin usw. getränkt oder in Schwefel eingetaucht und dann mit der Reibzündmasse versehen wurden, die im Wesentlichen aus Phosphor (rotem oder amorphen), Chlorkali und Schwefelantimon zusammengesetzt ist.

Der Prozess der Herstellung im Großen ist folgender: Zuerst werden die Stäbchen zubereitet, zu denen man vorwiegend Tannen-, aber auch Fichten-, Aspern- und teilweise Buchen- oder Zedernholz verwendet (letztere Hölzer werden meist an der Spitze der Stäbchen mit Stearin oder Paraffin getränkt). Zu diesem Behufe wird das Holz in Klötzchen gesägt, welche die doppelte Länge der zu liefernden Zündhölzer haben; von diesen Klötzchen werden die einzelnen Stäbchen durch mechanische Vorrichtungen wie Hobel, Locheisen, kammartige Schneidemesser usw. abgeschnitten und auf endlosen Riemen durch eine sehr sinnreiche mechanische Vorrichtung zu kreisrunden Gebinden aufgereiht, bis sie einen Durchmesser von etwa 60 cm haben. Dies geschieht auf der Rollmaschine. Sobald ein Gebinde fertig und durch einige weitere Fadenumgänge zusammengebunden ist, gelangt es in die sogenannte Tunk-Abteilung, in welcher die zur Zündmasse zu verwenden den Chemikalien: Chlorkali und Schwefelantimon, jedes für sich zerrieben wurden, worauf man es in einem mit Dampf erwärmten Gefäß mit Gummiwasser mengt und löst, und dann den Phosphor zusetzt, um die Reib- oder Zündmasse fertigzustellen. Im Tunkzimmer ist ferner zunächst ein flaches, pfannenartiges Gefäß, worin mittelst Dampfheizung Schwefel im flüssigen Zustande erhalten wird. In diese Pfanne taucht ein Mann das Gebinde oder die Rolle erst mit der einen, dann mit der anderen Seite mehrfach langsam ein und macht zwischen dem jedesmaligen Eintauchen eine kurze Pause, um den Schwefel teilweise trocknen zu lassen.

Sollen die Zündhölzer mit Stearin oder Paraffin getränkt werden (wie es bei den jetzt sehr gebräuchlichen sogenannten schwedischen Zündhölzern der Fall ist) so geschieht dies in ähnlicher Weise, wie das Eintauchen in den Schwefel. Hierauf werden die Zündmasse und die Färbung in folgender Weise angebracht: Die Mischung von Phosphor, Chlorkali, Schwefelantimon und den geeigneten Binde- und Färbemitteln wird auf einem Tisch ausgebreitet, worauf eine etwas ausgehöhlte eiserne Platte liegt, und in diese Masse werden die Gebinde mit ihren beiden Flachseiten in ähnlicher Weise eingetaucht, wie in den flüssigen Schwefel. Die Rollen werden dann an einem Gerüst zum Trocknen aufgehängt und mittelst eines dampfgetriebenen vierflügeligen Fächers getrocknet. Der nächste Prozess ist der des Abrollens der Gebinde mittelst einer Maschine, wo die einzelnen Stäbchen der Gebinde zwischen zwei Gürteln und Zylindern, deren einer über, der andere unter der Maschine angebracht ist, auseinandergenommen und in einem länglichen Kasten niedergelegt werden. Von hier kommen die doppelten Hölzchen nun auf die Tische, wo sie zerschnitten und in Schachteln eingelegt werden. An jedem Tische arbeiten zwei Mädchen. Das eine schneidet mittelst eines mit dem Fuße getretenen Messers die Zündhölzchen entzwei, das Andere legt sie in Schachteln ein; sind die Hölzchen ungleich lang, so müssen sie in gleichen Bündeln noch mittelst dieser Messer abgeglichen, d. h. gleichgeschnitten werden, ehe man sie in die Schachtel legt. Das Zerschneiden und Einlegen geschieht mit solcher fabelhafter Geschwindigkeit, das zwei fertige Arbeiterinnen täglich bis zu dreitausend Schachteln füllen, und die hierzu erforderlichen Zündhölzer zerschneiden können.

Beim Mahlen der erst gekochten, aus den verschiedenen Ingredienzien mit Gummi oder Leim gemischten Zündmasse auf der Reibmaschine muss der Arbeiter, welcher dies besorgt, die größte Aufmerksamkeit anwenden, dass keine Entzündung durch Reibung entsteht; er hat daher immer einen mit Wasser getränkten Pinsel oder Besen in der Hand, womit er beim Erscheinen eines etwaigen Funkens die Masse besprengt. Dass die Arbeit in den Zündholzfabriken eine sehr ungesunde und gefährliche ist, liegt auf der Hand; nur die ungemeine Konkurrenz in diesem Artikel und die Vereinfachung der Arbeit erklären die Möglichkeit, die Zündhölzer zu solch ungeheuer wohlfeilem Preise zu liefern. Die gegenwärtig vielfach in Gebrauch gekommenen, weil phosphorfreien, sogenannten schwedischen Zündhölzer werden ganz auf dieselbe Weise hergestellt; doch besteht bei diesen die Zündmasse aus chlorsaurem und doppeltchromsaurem Kali, Kohle, Schwefel, Schwefelkies, Braunstein, Grauspießglanz, Umbra und Glaspulver; die Reibfläche wird mit rotem Phosphor – eine nicht giftige Modifikation des Phosphors – bestrichen.

Entnommen aus dem Buch:
Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ersetzten Dampfmaschinen zunehmend die Muskelkraft und ermöglichten eine zunehmende Mechanisierung der bis dahin handwerklich geprägten Güterproduktion. Der Abbau von Handelshemmnissen und neue Verkehrswege eröffneten überregionale Märkte, immer mehr Produkte mussten immer schneller und billiger produziert werden. Arbeitsteilung und Spezialisierung veränderten ganze Wirtschaftszweige. Die historischen Originalbeiträge und Abbildungen in diesem Buch geben einen unverfälschten Einblick in die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts.
  PDF-Leseprobe € 14,90 | 106 Seiten | ISBN: 978-3-7583-0344-9

• Auf epilog.de am 7. November 2023 veröffentlicht

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