FeuilletonReisen

Eine neue Sehenswürdigkeit
des bayerischen Hochgebirges

Die Gartenlaube • 1880

Die langgedehnte unzugängliche Schlucht, durch welche der Leutaschbach bei Mittenwald zur Isar hervorbricht und die bis jetzt meist als Leutaschklamm in den Büchern und Karten angeführt war, ist seit wenigen Wochen in ihrem schönsten Teile zugänglich gemacht worden. Niemals hat sie eines Menschen Fuß betreten. Die Mittenwalder Bürger selbst, durch deren Aufopferung der finstere Wasserschlund jetzt auf bequemem Steg durchschritten werden kann, waren höchlich erstaunt über die von ihnen betreffs der Wildheit und Größe dieser Klamm gemachten Entdeckungen. Erschütternd wirkt namentlich der etwa hundert Fuß hohe Gesammtsturz des Leutaschbaches, der in Schaum aufgelöst in dem nächtlichen Tobel aufschmettert. Dieser Schlund, der von nun ab mit Recht Mittenwalderklamm genannt werden soll, gehört zu den allerersten Schaustücken der Hochalpen des deutschen Reiches. Die Mittenwalderklamm ist von dem Ort, der ihr den Namen gegeben und den jetzt wegen der Oberammergauer Spiele so viele Reisende berühren, kaum eine Viertelstunde entfernt. Niemand sollte bei gegebener Gelegenheit den Gang dorthin verabsäumen; ja, ohne Übertreibung gesagt, diese Naturscene ist eine eigene Reise wert. Namentlich sei auch auf den überaus malerischen Rückblick zum steilen Karwendelgebirge aufmerksam gemacht, welches den Felsenspalt zu sperren scheint. Der Wasserfall an und für sich ist einer der bedeutendsten in den Kalkalpen.

Anmerkung: Die Fotos stammen aus dem Jahr 1900, sind also rund 20 Jahre nach dem Artikel aus Die Gartenlaube entstanden. Die komplette Klamm wurde erst am 24. Mai 2006 mittels Stahlsteigen und Brücken touristisch erschlossen.

Entnommen aus dem Buch:
Die ›Zeitreisen‹ knüpfen an die Tradition der Jahrbücher wie ›Das neue Universum‹ oder ›Stein der Weisen‹ an. Eine bunte Auswahl von Originalartikeln begleitet den authentischen und oft überraschend aktuellen Ausflug in die Geschichte.Kultur- und Technikgeschichte aus erster Hand, behutsam redigiert, in aktueller Rechtschreibung und reichhaltig illustriert.
  PDF-Leseprobe € 18,90 | 196 Seiten | ISBN: 978-3-7543-9786-2

• Auf epilog.de am 2. Oktober 2016 veröffentlicht

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