Verkehr – Eisenbahn
Die Vesuvbahn
Zentralblatt der Bauverwaltung • 2.2.1884
Der Vesuv ist gleich ausgezeichnet durch seine Lage unmittelbar am Meer, durch das großartige Landschaftsbild, welches sich zu seinen Füßen ausdehnt, wie durch die vulkanische Tätigkeit seines Kraters, des einzigen, der auf dem Festland Europas noch in Wirksamkeit ist. Bei der großen Anzahl der Reisenden und der bedeutenden Anstrengung, welche die Besteigung des Aschenkegels erfordert, wurde, nachdem bereits andere berühmte Aussichtspunkte durch Zahnradbahnen und Seilbahnen zugänglich gemacht waren, der Wunsch rege, auch eine Bahnverbindung auf den Vesuv hinauf zu schaffen.
Längenschnitt und Ansicht der Wagen.Schon im Jahre 1872 ward ein erster Entwurf zu einer Zahnradbahn von dem Ingenieur Oblieght aufgestellt, doch erwiesen sich alle Versuche, den Schwellen auf dem zum größten Teil aus Asche und kleinen Bimssteinstücken gebildeten Kegel (mit natürlicher Böschung von ungefähr 33 °) eine feste Lage zu geben, als unausführbar. Der Ingenieur Olivieri stellte daher den Plan zu einer Drahtseilbahn auf, deren Unterbau, in einer Erzeugungslinie des Kegels liegend, eine zusammenhängende gradlinige Stützleiter von unten bis oben bildet und sich unten auf eine feste Lavamasse stützt. Bis zu diesem unteren Punkte wurde zwischen dein Vesuv-Observatorium, das bereits auf einer ausgebauten Straße erreicht werden kann, durch die erkalteten Lavamassen eine Chaussee von 3,2 km Länge mit einer größten Steigung von 1,8 % erbaut, so dass man mittels Wagen bis an die Fußstation der Bahn gelangen kann.
Die Bahn ist eine Drahtseilbahn mit geschlossenen Doppelseilen, durch deren Bewegung ein Wagen bergauf, der andere gleichzeitig bergab läuft. Jeder Wagen ist an beiden Seilen befestigt, deren Bewegung von der Fußstation aus durch eine stehende Dampfmaschine von 45 PS bewirkt wird. Das Geleis der Wagen ist einschienig. Wie aus den Zeichnungen ersichtlich, liegt eine Vignolschiene ohne Laschenverbindung auf einer eichenen Langschwelle von 26 cm Breite und 47 cm Höhe, welche aus zwei mit versetzten Stößen übereinander liegenden Hölzern besteht, die sowohl unter sich wie mit dem hölzernen Unterbau durch Schraubenbolzen und Muttern verbunden sind. Die Schiene liegt in der Nähe des Stoßes in einem gusseisernen Schienenstuhl mit Keil und ist dazwischen in Abständen von 1 m beiderseits genagelt. Um den Seitenschwankungen des Wagens zu begegnen, welcher mit einem Vorder- und einem Hinterrad auf der Vignolschiene läuft und dessen Schwerpunkt unter der Verbindungslinie der Achsen beider Räder liegt, sind an der Langschwelle seitlich zwei Winkelschienen befestigt, gegen welche sieh der Wagen seitwärts stützt.
Hintere (links) und vordere Ansicht der Wagen.Die Langschwelle findet ihr Auflager auf Querschwellen, welche zu beiden Seiten der ersteren durch aufgebolzte Langhölzer verbunden und durch diagonal mit Versatzung eingesetzte Hölzer verstrebt sind. Die Bahn liegt durchweg im Auftrag, dessen Höhe bei der Regelmäßigkeit des Kegels das Maß von 2,0 m nicht überschreitet. Die Böschungen sind aus Lavastücken gepackt und an den tiefsten Stellen der Aufträge sind seitwärts trockene Schutzmauern gegen etwa austretende Lavaströme ausgeführt, die indes bei wirklicher Gefahr von sehr zweifelhaftem Wert sein dürften. Auf je zwei verlängerten Querschwellen sind die Führungsrollen der Drahtseile gelagert. Diese Rollen waren zuerst von Holz, später machte man sie von Gusseisen, kehrte jedoch wieder zur Verwendung von Holz zurück, da die eisernen Rollen, wenn auch viel länger haltend, eine zu starke Abnutzung der Seile herbeiführten.
Die Bahnlinie ist eine Gerade, das Gefälle liegt zwischen 40 % (1 : 2,5) und 63 % (1 : 1,6) und beträgt im Mittel 50 % (1 : 2).
Jeder Wagen enthält zwei für die Aufnahme von 4 bis 6 Reisenden bestimmte Abteilungen, deren Fußböden der Steigung entsprechend in verschiedener Höhe angeordnet sind (der höhere 0,9 m über dem unteren, bei 1,8 m Tiefe der Abteilung) und deren Sitze der Steigung der Linie folgend angebracht sind, um ein waagerechtes Sitzbrett zu erzielen. Die Perrons sind entsprechend den Fußböden der Wagen treppenförmig angeordnet. Die Bremsvorrichtung ist keine selbsttätige, sondern wird von einem am oberen Ende des Wagens über dem Rad sitzenden Führer gehandhabt. Da bei der starken Steigung der Linie die gleitende Reibung selbst bei vollständiger Feststellung der Räder nicht ausreichen würde, den Wagen zum Stehen zu bringen, so ist eine Schrauben-Backenbremse zur Anwendung gekommen, deren mit Zähnen versehene Eisenbacken in das Holz der Langschwelle beiderseitig eingreifen. Diese Bremseinrichtung erscheint wenig zuverlässig, denn bei einem Bruch der Seile, an denen die Wagen gehalten werden, ist wegen des starken Gefälles nicht zu erwarten, dass die Bremse hinreichend schnell zur Wirkung gebracht werden kann, um Unglücksfälle zu verhüten, besonders da sie bei der gewöhnlichen Fahrt nie zur Anwendung kommt. Die Bremse konnte sogar umgekehrt leicht die Ursache eines Unglücksfalles werden. Wenn nämlich aus irgendeinem Grunde die Maschine schneller arbeitet als gewöhnlich, so liegt die Gefahr nahe, dass der Führer des abwärtsgehenden Wagens in der Meinung, es möchte ein Seilbruch vorliegen, zu bremsen beginnt. Die Maschine könnte alsdann die Seile zerreißen und der nicht gebremste aufwärtsfahrende Wagen würde in Gefahr kommen.
Oberbau der Vesuvbahn. Grundriss (links), Querschnitt (rechts oben) und Längenschnitt (rechts unten).Der Durchmesser der Stahldrahtseile beträgt 26 mm, der Stahlquerschnitt 200 mm², die Zerreißungsfestigkeit derselben ist zu 25 000 kg angenommen, während die größte Arbeitsleistung im Betrieb zu 5000 kg angegeben wird. Man rechnet darauf, dass beim Bruch eines Seiles das andere Trum noch imstande sein werde, den Wagen zu halten; doch kann mit Rücksicht auf die Verminderung des Widerstandes durch den längeren Gebrauch und durch die plötzliche doppelte Anstrengung des anderen Trums hierin wohl wenig Sicherheit gefunden werden. Während des bisherigen vierjährigen Betriebes sind übrigens Unglücksfälle nicht vorgekommen.
Die waagerechte obere Seilrolle stützt sich mit ihrer Tragkonstruktion unmittelbar gegen den Geleisunterbau, da der aus Asche und Bimsstein bestellende Boden hier ganz lose ist.
Die Fußstation liegt ungefähr 800 m über dem Meeresspiegel. Die Bahn steigt in gerader Linie fast bis zum Rande des Kraters in einer Gesamtlänge von 800 m (in der Steigung gemessen) und erreicht die Höhe von 1180 m über dem Meere. In Abständen von rund 100 m ist dieselbe, wie auch die obere und untere Station, mit elektrischem Bogenlicht (System Jablochkoff) beleuchtet. Die Wagen wurden von Miavi in Mailand beschafft, die Stahldrahtseile von der bekannten rheinischen Firma Felten und Guillaume.
Die Schwierigkeiten bei der Bauausführung lagen namentlich in der Beschaffung von Wohnung, Nahrungsmitteln und Wasser für die Werkleute; auch musste sämtliches Baumaterial 800 m hoch mit der Achse befördert werden. Im Winter war man der Kälte wegen wiederholt gezwungen, den Bau einzustellen, da die italienischen Arbeiter das ungewohnte Klima nicht ertrugen.
Die Hochbauten der Fußstation sind in Massivbau ausgeführt. Die Station enthält das Maschinenbaus, das Telegrafenbüro und die Wohnung für die Beamten; daneben ist ein hübscher Wartesaal mit Restauration für die Reisenden erbaut. Etwas tiefer, dem Wartesaal gegenüber, liegt ein geräumiger Pferdestall für die Zugtiere der Wagen und ein Zimmer für die Kutscher. Die Kosten des ganzen Baues einschließlich der 3,2 km langen Straße haben 848 000 Mark betragen.
Man fährt von Neapel bis zum Fußpunkt der Bahn etwa vier Stunden im Wagen und erreicht dann in wenigen Minuten den Krater. Die Kosten betragen für die ganze Fahrt hin und zurück nach Neapel 20 Mark für die Person.
• Bassel, Regierungs-Baumeister.