VerkehrEisenbahn

Die Jungfraubahn

Das Neue Universum • 1896

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Karte der projektierten JungfraubahnKarte der projektierten Jungfraubahn

Zu den außergewöhnlichen Leistungen moderner Verkehrstechnik sind die Anlagen von Bergbahnen zu zählen, bei denen die vor einigen Jahrzehnten noch unmöglich erscheinende Überwindung steiler Steigungen die Anwendung besonderer Mittel erforderte, welche dem Erfindungstalent selbst große Schwierigkeiten bereiteten und eine besondere Kühnheit im Entwerfen der Pläne erforderten. Gegenwärtig sind Bergbahnen verschiedener, den jeweiligen Verhältnissen angepasster Systeme keine Seltenheit mehr. Besonders in dem Gebirgslande der Schweiz sind schon eine Anzahl derselben vorhanden. Das Beispiel der im Jahre 1871 in Betrieb gesetzten Zahnradbahn auf den Rigi hat zu zahlreichen andern derartigen Ausführungen angeregt und noch eine Reihe solcher Bergbahnanlagen sind für die Ausführung in nächster Zeit in Aussicht genommen, welche die Vorgänger hinsichtlich der zu überwindenden Schwierigkeiten und der zu erwartenden Leistungen noch übertreffen sollen. Als das kühnste derartige Projekt hat die geplante Anlage einer Bahn für Vergnügungsreisende über die von ewigem Schnee und Eis starrenden Gipfel der Jungfrau, dieser Königin des Berner Oberlandes, zu gelten, deren Besteigung bisher selbst von den erfahrensten Bergsteigern als ein Wagnis angesehen wurde.

Guyer-Zellers Projekt einer JungfraubahnGuyer-Zellers Projekt einer Jungfraubahn

Von verschiedenen Seiten wurden bezügliche Pläne entworfen, welche aber alle als unausführbar angesehen wurden, bis vor einigen Jahren ein Züricher Ingenieur, Namens Guyer-Zeller, für die schwierige Ausgabe eine praktische Lösung fand, so dass nunmehr der wirklichen Ausführung kein wesentliches Hemmnis mehr im Wege steht, sondern nur noch die Frage zu erörtern sein dürfte, welches elektrische Betriebssystem sich für die eigenartigen Verhältnisse dieser Anlage am besten eignen würde. Seitens der Techniker scheint man darüber noch nicht vollständig im klaren zu sein. Doch hat das Projekt trotzdem bereits im Prinzip die Zustimmung der eidgenössischen Behörden gefunden und ist auch schon das Stadium der Vorbereitungen überschritten, so dass demnächst mit der Ausführung begonnen werden soll.

In welcher Weise diese Bahnanlage sich gestalten wird, davon geben die beigefügten Abbildungen Aufschluss. Die gewaltige Gebirgsgruppe, welche das Bernerland von Wallis abgrenzt, erreicht in ihrem dritthöchsten Gipfel, der Jungfrau, eine Höhe von 4167 m. Station MönchStation Mönch Die Vorstufe zu dieser Erhebung bilden die Gipfel des Mönchs und des Eigers mit Höhen von 4105 und 3975 m. Bei der geplanten Anlage liegt nun die Hauptsache darin, dass diese beiden, gewissermaßen als Wächter vor dem Gipfel der Jungfrau stehenden Felsenriesen mit einem an der Ostwand des Eigers beginnenden Tunnel durchbohrt werden, um unter ihrer Eisfülle hinweg bis zur Jungfrau zu gelangen, Ein Wagen der projektierten JungfraubahnEin Wagen der projektierten Jungfraubahn bis zu deren Gipfel von der noch im Innern des Berges 4100 m über dem Meeresspiegel liegenden Endstation ein Elevator in einem senkrechten Schachte die Beförderung der Reisenden besorgen soll, sofern dieselben nicht die damit verbundene Wendeltreppe benutzen wollen, um auf die den Gipfel krönende Plattform zu gelangen.

Die Länge des elektrisch zu beleuchtenden Tunnels wird etwas über 10,5 km betragen, während die ganze Bahn 12,8 km Länge hat. Die Fahrzeit von Scheidegg bis zur Jungfrau soll etwa zwei Stunden betragen, der Betrieb der Bahn und des Elevators soll, wie schon bemerkt wurde, mittels Elektrizität bewirkt werden, wozu die nötige Betriebskraft von den Gletscherbächen geliefert wird. Die Kosten der ganzen Bahnanlage find auf acht bis neun Millionen Franken veranschlagt und die Bauzeit ist auf fünf Jahre in Aussicht genommen worden.

• Auf epilog.de am 25. September 2020 veröffentlicht

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