Berliner Verkehr

Berliner Straßenverkehrs-Regelungen

Die Woche • 11.2.1911

Der bekannte Engpass der Berliner Friedrichstraße ist seit einigen Tagen dem vom Süden kommenden Wagenverkehr gesperrt worden. Polizeikommandos nötigen die aus dieser Richtung erscheinenden Fuhrwerke, ihren Weg durch die Behren-, Charlotten- und Dorotheenstraße zu nehmen. Der Engpass dient nur noch der Durchfahrt von Norden her. Diese vorderhand probeweise getroffene Maßregel ist durch die Polizei veranlasst worden, die damit den Verkehrsschwierigkeiten an dieser sehr belebten Stelle zu steuern hofft.

Es ist das nicht die erste Maßnahme, die in Berlin zum Zweck leichterer Abwicklung des Verkehrs von der Polizei getroffen wird. Schon seit längerer Zeit sind für den Potsdamer- und Kemperplatz, für die Straße Unter den Linden wie für alle Straßen mit zwei Fahrdämmen besondere Vorschriften eingeführt worden. Man hat den Wagen bestimmte Wege vorgeschrieben, leere Droschken von sehr belebten Stellen ausgeschlossen und auch für den Verkehr beladener Frachtfuhrwerke Bestimmungen getroffen. Die jetzigen für die Friedrichstraße getroffenen Einrichtungen scheinen durch die in der Stadt Buenos Aires gemachten Erfahrungen eingegeben worden zu sein. Bei der Enge verschiedener großer dortiger Verkehrsstraßen nämlich besteht für einzelne von ihnen die Vorschrift, dass sie nur in einer Richtung befahren werden dürfen. In manchen europäischen Städten, wie Amsterdam und Köln z. B., ist sogar auf sehr verkehrsreichen Hauptstraßen der Wagenverkehr ganz, oder wenigstens zu gewissen Zeiten, verboten. Die Verhältnisse scheinen indessen hier doch vielfach anders zu liegen wie in Berlin. Denn während man sich dort mit den erwähnten Maßnahmen leicht abgefunden hat, regt sich gegen die Neuerungen im Friedrichstraßen-Verkehr sehr lebhafter Widerspruch.

Zahlreiche Persönlichkeiten, die das Ausland kennen, sind überhaupt der Ansicht, dass eine wirkliche nennenswerte Überlastung der Straßen in Berlin noch nicht besteht. In der Tat gibt es in ganz Berlin keine Stelle, die einen ähnlichen Wagenverkehr wie in Paris gewisse Strecken der Boulevards und die Champs Elysées oder in London der Strand mit seinen Verlängerungen und Picadilly während des größten Teils des Tages zu bewältigen haben. Viele endlose Reihen Wagen füllen dort stundenlang nebeneinander, fast ohne Zwischenraum, den Fahrdamm und machen ein rasches Vorwärtskommen in einem Gefährt unmöglich. Hat man es eilig, so ist man darauf angewiesen, zu Fuß zu gehen oder eine der unterirdischen Bahnen zu benutzen. Trotzdem ist der Fußgänger hier beim Überqueren der Straßen im Allgemeinen weniger gefährdet als in Berlin bei weit geringerem Verkehr, da die ganze Wagenmasse auf den Wink der überall verteilten Schutzleute sofort zum Stehen kommt und den Fußgängern den Weg öffnen muss. Allerdings verkehren weder in London noch in Paris auf den Hauptstraßen der inneren Stadt elektrische Bahnen. Die langen elektrischen Wagenzüge aber sind besonders in der Potsdamer und der Leipziger Straße für die häufigen Verkehrsstockungen mehr als alles andere verantwortlich. Ist es ihnen doch durch die Schienen unmöglich gemacht, Hindernisse ohne weiteres zu umgehen.

In dem Friedrichstraßen-Engpass verkehrt allerdings auch keine elektrische Linie, hier aber behindern besonders die zahlreichen Lastwagen den Verkehr. Hierin liegt überhaupt eine Eigenheit Berlins. Während man in London und Paris während der mittleren Tagesstunden in den Hauptstraßen selten, in den Luxusstraßen fast nie Lastwagen antrifft, begegnet man in Berlin Mörtel-, Ziegel-, Bier-, Rollwagen und dgl. fast zu jeder Zeit. Nicht weniger störend wirkt es, dass in Berlin so ziemlich jeder Wagen in einem anderen Tempo fährt, während in auswärtigen Großstädten auf den Hauptstraßen alle Wagen sich gleichmäßig bewegen. Vielfach ist man der Ansicht, dass eine Verlegung der elektrischen Bahnen in Nebenstraßen und Beschränkung des Frachtwagenverkehrs in den Hauptstraßen auf gewisse Stunden das beste Mittel zur Beseitigung der bestehenden Beschwerden sein würde.

• Auf epilog.de am 15. Januar 2024 veröffentlicht

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