FeuilletonReisen

Bergschlitten und Touristen
in den Tiroler Alpen

Das Buch für Alle • 1876

Der Transport aller schwereren Lasten, welche im Hochgebirge aus den oberen Berghalden zu Tal gefördert werden müssen, also namentlich von Brennholz, von Nadelholzzweigen zur Streu in den Stallungen und von Heu und Nachheu, geschieht auf Schlitten und Schleifen, und man wählt dazu meist die Zeit, wo die rauen, steilen und engen Bergpfade mit Schnee bedeckt sind. Nun ist schon bei Schneebahn das Herunterbefördern schwerer Lasten auf Schlitten eine sehr mühselige und keineswegs gefahrlose Arbeit und erfordert ebenso viel Körperkraft wie Geistesgegenwart und Übung, um den einfachen hölzernen Schlitten mittelst der beiden Hörner zu lenken, in denen die aufwärts gekrümmten Schlittenläufe nach vorn enden. Bergschlitten und Touristen Aber nur allzu häufig treten auch Fälle ein, wo der Gebirgsbewohner im Sommer und Herbst Scheiterholz, Nadelholzzweige usw. aus den höheren Berghalden herunter befördern muss, sei es zu eigenem Bedarf für sein Hauswesen, sei es für gewerbliche Zwecke. Der winterliche Schlitten muss dann auch im Sommer Dienste tun und über die nackten, rauen felsigen Pfade mit seiner Last heruntergelenkt werden. Die Abschüssigkeit dieser Pfade und die Belastung des Schlittens liefern dann eine natürliche bewegende Kraft, aber die Regelung derselben, die eigentliche Steuerung, ist Sache des Holzknechts, der zwischen den Hörnern der Schlittenläufe gehend, das schwer belastete Fahrzeug regieren und sich mit seiner ganzen Kraft dagegen stemmen muss, um ihm den rechten Kurs zu geben. Dabei hat er noch über dem darauf zu achten, dass ihm kein lebendes Hindernis in den Weg komme, auf welches er bei irgendeiner Biegung des Pfades aufrennen könnte – sei dies nun zur Weide gehendes Vieh oder ein Holzknecht, der mit dem leeren Schlitten auf den Schultern wieder bergan steigt, oder gar eine Gesellschaft wanderlustiger Touristen, die nach irgendeinem berühmten Aussichtspunkte emporklimmt. Daher schreit der schlittende Holzknecht bei jeder Biegung des Pfades schon von weitem aus Leibeskräften sein warnendes #»Auf!« welches die Kühe, Pferde, Schafe und Ziegen so gut kennen, dass sie augenblicklich sich aus dem Wege machen. Sehr fatal ist aber eine solche Begegnung dem gebirgswandernden Neuling, dem dieser Warnungsruf noch nicht bekannt ist, wie dem städtischen Paar auf unserem Bild, das auf einem Weg nach irgendeiner Alm ganz unversehens einem Zug von Schlitten begegnet und dessen augenblickliche Lage komisch sein würde, wenn sie nicht mit solcher ernsten Gefahr gepaart wäre und bei einem Zusammenstoß mit der unaufhaltsamen Last nicht meist noch mehr auf dem Spiel stünde, als der Sonnenschirm der Dame und der neu gekaufte Gebirgshut des zum Tode entsetzten Gatten, da ein solch beladener Schlitten unwiderstehlich Alles zermalmt, was ihm in den Weg gerät.

• Auf epilog.de am 6. Januar 2024 veröffentlicht

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