DaseinsvorsorgeEnergieversorgung

Neue Erfindungen und Kulturfortschritte

Die elektrische Beleuchtung

Von Max Wirth

Über Land und Meer • Februar 1878

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Der Umschwung, welchen einst die Einführung des Leuchtgases sowohl im Effekt als im Preis der Beleuchtung mit sich gebracht hat, wird im wahren Sinn des Wortes in den Schatten gestellt, einerseits durch die Einführung des elektrischen Lichtes, andererseits durch die Benutzung elektromagnetischer Apparate zur leichteren Bedienung der Gasleitungen.

Wir wollen, bevor wir zur elektrischen Beleuchtung übergehen, zuerst von der neuesten Erfindung sprechen, welche eine sparsamere Ausnützung der bestehenden Gasleitungen zur Folge hat. Bis jetzt werden die Gaslampen bei den städtischen Beleuchtungen, in Fabriken und anderen großen Anstalten mittelst Handarbeit einzeln angezündet und ausgelöscht. Nur beim Auslöschen besteht die Erleichterung, dass wenigstens alle mit einer Gasuhr zusammenhängenden Flammen mit einem Male abgedreht werden können. Diese Einrichtung kommt aber nur bei den Gasleitungen in den Häusern vor. Bei den städtischen Leitungen muss jede Lampe einzeln bedient werden; nur da, wo wegen besonderer Umstände die Lampenanzünder nicht zukommen können, wird das Anzünden und Auslöschen der Flammen mittelst besonderer mechanischer Vorrichtungen bewerkstelligt. Eine solche sinnreiche Vorkehrung besteht z. B. bei der berühmten Rotunde der Viktor-Emanuel-Galerie in Mailand. Am Fuße der Glaskuppel dieses Riesenbaus, wo gegen tausend Gasflammen angebracht sind, läuft ein Gesims, auf dem rings herum in schiefer Ebene eine Miniaturschienenbahn angebracht ist, auf welcher eine Liliput­lokomotive rund herumlaufen kann. Sobald die Dämmerung herannaht, wird dieser kleine mechanische Lampendiener, mit einer brennenden Lunte ausgerüstet, losgelassen, ein Kran wird gedreht und das kleine Maschinchen zündet in seinem Rundlaufe den ungeheuren Kreis der Gaslampen an. Bei der öffentlichen Beleuchtung im Allgemeinen blieb man nach wie vor auf die Menschenhand beschränkt. Diese Arbeit ist aber mit nicht unerheblichen Kosten verknüpft. In London z. B., wo dieselbe noch am ökonomischsten eingerichtet werden kann, weil für die öffentliche Beleuchtung von vier Millionen Menschen auf einmal zu sorgen ist, kostet die Beleuchtung für eine Lampe jährlich 1 Pfund Sterling [rund € 175 in 2024]. Da die britische Hauptstadt von 100 000 Gaslampen erleuchtet wird, so macht dies eine jährliche Ausgabe von 100 000 Pfund Sterling. Schon seit einer Anzahl von Jahren sind von Zeit zu Zeit technische Angriffe gegen die typische Leiter des Lampenanzünders gemacht worden und es wurden Versuche angestellt, das Gas mittelst des elektrischen Funkens anzuzünden und durch Gasdruck wieder auszulöschen. Allein dieses System bewährte sich nicht, weil die Schwankungen des Gasdruckes an den Brennern eine Quelle der Gefahr für die Privatkonsumenten wurden. Bei der Royal Albert Hall und einigen anderen großen Gebäuden Londons wird das Licht allerdings bereits durch den elektrischen Strom angezündet, allein zum Auslöschen muss immer noch der Gasmesser abgedreht werden. Dieses System ist daher nur innerhalb gewisser Grenzen, z. B. in Theatern und in anderen öffentlichen Gebäuden, anwendbar.

Nun hat George Lane Fox in London eine Erfindung gemacht, durch welche sämtliche 100 000 Gaslaternen Londons auf einen Schlag angezündet und ausgelöscht werden können. Ein Versuch mit der neuen Erfindung wurde in der Anstalt der Gas Light and Coke Company zu Fulham angestellt und hat sich so vollständig bewährt, dass eine Umwälzung in der Gaslampenbedienung die Folge sein wird. Ein Netz elektrischer Drähte, welches von einem Zentralpunkt aus regiert wird, steht mit jeder einzelnen Lampe in Verbindung. Der Apparat von Fox besteht aus einem starken Elektromagnet, durch dessen tausendfach herum­gewickelten, mit Seide über­sponnenen Induktions-Kupferdraht der Funke gerade wie bei der elektrischen Beleuchtungsmaschine entsendet wird, – ähnlich wie beim Telefon der Schall. Die Wirkung des Apparats ist eine kombinierte, indem zuerst eine mechanische Wirkung erzeugt und der Hahn des Brenners auf elektrischem Weg geöffnet und geschlossen und indem andererseits der Funke entsendet wird. Der Elektromagnet wird durch eine gewöhnliche, sehr starke elektrische Tele­grafen­batterie bedient. Als Schmiermittel wird das Öl von bitteren Mandeln verwendet, wegen seiner Eigenschaften, nicht zu oxidieren und sehr niedriger Temperatur zu widerstehen.

Wir müssen uns mit diesen allgemeinen Angaben hier begnügen, da es nicht unsere Aufgabe sein kann, in alle Einzelheiten der technischen Ausführung einzugehen. Das Resultat erscheint nach den Details, welche mitgeteilt werden, nicht bloß möglich, sondern zufolge der Mitteilungen, welche die Times über die angestellten Versuche bringt, ist gar nicht mehr daran zu zweifeln, dass London sehr bald mit der neuen Einrichtung versehen sein wird. Auch die übrigen Städte Europas und Amerikas werden wohl nicht lange zögern, diesem Beispiel zu folgen.

Indessen auch diese Vervollkommnung der öffentlichen Beleuchtung unter Beibehaltung der vorhandenen Gaseinrichtungen scheint uns nur den Charakter einer vorübergehenden Einrichtung zu haben, denn im Angesicht der neu erfundenen elektrischen Beleuchtungsmaschinen sind auch die Tage des Leuchtgases gezählt. Die vor ungefähr einem Menschenalter gemachte Erfindung des elektrischen Lichtes konnte bis vor kurzem nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gelangen, weil die Methode seiner Erzeugung mittelst elektrischer Batterien zu kostspielig war. Erst seitdem besondere mächtige Elektromagnete konstruiert wurden, in welchen der elektrische Lichtstrom durch die Bewegung mittelst einer Dampfmaschine erzeugt und genährt wird, kommt das elektrische Licht für die Beleuchtung größerer Räume auf die Länge so billig zu stehen, dass seiner Einführung im Großen nichts mehr im Wege liegt, denn die Herstellungskosten sind nicht bloß bei der gleichen Beleuchtungsstärke, sondern auch noch bei bedeutenderer Lichtstärke geringer als beim Gas. Bis jetzt werden von drei Seiten solche im Prinzip ähnliche elektrische Beleuchtungsapparate konstruiert. Der erste Konstrukteur und eigentliche Erfinder, dessen Maschinen bis jetzt die meiste Verbreitung gefunden haben, ist der Physiker Gramme in Paris. Eine Abart wird von der Alliance-Gesellschaft in Paris verfertigt, und eine neuere Maschine von der wohlbekannten Fabrik elektrischer Apparate von Siemens & Halske in Berlin.

Ich muss mich enthalten, eine Parallele der Vorzüge oder Nachteile dieser drei Konstruktionen zu ziehen, da mir nur die Leistungen der Gramme’schen Maschine persönlich bekannt sind. Dieselbe besteht aus einem rund 270 kg schweren hufeisenförmig gebildeten Elektromagnet, der mit einem mit Seide umsponnenen Kupferdraht tausendfach umwickelt ist. An demselben befindet sich eine Trommel, deren Achse mit einer aus Kupferdraht gefertigten Bürste überzogen und an der einen Seite mit dem Treibriemen des Vorgeleges einer Dampfmaschine verbunden ist. Diese Achse macht 900 – 1000 Umdrehungen in der Minute und erzeugt durch die Reibung in der mit dem Elektromagneten verbundenen Trommel die elektrischen Funken, welche vom Induktionsdraht aufgenommen und weiter geführt werden. An der anderen Seite der Achse sind die beiden Leitungsdrähte angebracht, welche zu dem mehr oder weniger entfernten Regulator führen, von dem das erzeugte Licht ausstrahlt. Diese Vorkehrung besteht in der Hauptsache aus zwei derart gekrümmten Zylindern, dass Kohlenstifte darin befestigt und mit den Spitzen gegeneinander gekehrt werden können. Diese beiden Kohlenstifte stehen mit dem Ende der beiden Leitungsdrähte in Berührung und werden im Verhältnis, wie sie durch das erzeugte elektrische Licht sich abnützen, durch Stahlfedern nachgeschoben. In dem neuesten verbesserten Regulator wird die Bewegung der Kohlenstifte durch die kombinierte Wirkung einer Feder und eines kleinen Elektromagneten bewerkstelligt. Die Stärke des erzeugten Lichts wechselt je nach der Größe der elektromagnetischen Maschine, der Summe der aufgewandten Dampfkraft und der Entfernung des Regulators und der Dampfmaschine. Es können mehrere Lichtmaschinen von demselben Motor betrieben werden, indem nur das Vorgelege dazu eingerichtet zu werden braucht. Das Licht eines Regulators übertrifft nicht bloß dasjenige von 50 gewöhnlichen Gaslaternen, sondern neben den elektrischen Strahlen verliert das Gaslicht sozusagen seine Leuchtkraft und gewinnt das Ansehen rot-gelblicher Blumen. Sogar der Vollmond spielt gegen dieselben eine klägliche Rolle.

Schon bei dem gegenwärtigen Stand der elektrischen Beleuchtungstechnik kann bei der Einrichtung öffentlicher Anlagen das Gas weder in der Lichtstärke noch im Preis mit dem durch die neuen Maschinenkonstruktionen erzeugten elektrischen Licht konkurrieren. Entweder gibt das Gas bei Aufwendung der gleichen Betriebsmittel geringeres Licht, oder es kommen bei gleichem Licht die Erzeugungskosten des Gases höher zu stehen. Außerdem hat das intensivere elektrische Licht für die industrielle Beschäftigung Vorteile, welche ihm unter allen Umständen den Vorzug verschaffen. In Paris haben daher nicht bloß Hotels, sondern namentlich viele größere Fabriken in jüngster Zeit die Gramme-Maschine angeschafft. Viele sind dadurch erst in Stand gesetzt worden, ihre Arbeit in gleicher Weise in der Nacht wie bisher am Tage fortzusetzen. In Wien wird ein Eisplatz mit zwei elektrischen Sonnen erleuchtet. Diejenigen, welche ohnedies Dampfkraft besitzen, machen auf die Dauer eine bedeutende Kostenersparnis, obwohl sie ihre Gaseinrichtung als überflüssig beseitigen oder unbenutzt lassen. Aber auch den städtischen Gaseinrichtungen ist schon heute ein Konkurrent entstanden, welcher ebenso mächtig ist, wie es vor mehr als einem Jahrzehnt das Petroleum dem Gasgebrauch im Haus geworden war. So wie schon damals die Gasgesellschaften, trotz ihrer zuweilen bis auf 99 Jahre hinausreichenden Privilegien, gezwungen worden sind, ihren Monopolpreis des Gases um 20, 30, ja zuweilen um 40 % zu ermäßigen, so werden sie jetzt aus den größeren Etablissements verdrängt und in der städtischen Beleuchtung gezwungen werden, mit einem Minimalgewinn vorlieb zu nehmen. Die Welt wird um eine Wohltat reicher und um ein Monopol ärmer, und es zeigt sich aufs Neue, dass die Erfinder auch als Förderer der Freiheit die größten Wohltäter der Menschen sind.

• Auf epilog.de am 1. Dezember 2025 veröffentlicht

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