Bau & ArchitekturÖffentliche Bauten

Das Schwefelbad ›Acque Albule‹ bei Rom

Zentralblatt der Bauverwaltung • 3.2.1883

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Während die großartigen, antiken Bäder Roms uns noch in ihren Trümmern eine deutliche Vorstellung von der einstigen Größe und dem Glanz der alten Weltstadt geben, so zeichnete sich dagegen die moderne Hauptstadt Italiens bisher zu ihrem Nachteil durch den vollkommenen Mangel von Badeanlagen aus, welche etwas mehr als das nackte Bedürfnis befriedigten. Noch im Sommer 1881 beschränkte sich die Gelegenheit, ein anderes als ein Wannenbad zu nehmen, ohne dabei, wie bei Benutzung der Tiber, jeder Bequemlichkeit entsagen zu müssen, auf eine einzige Anstalt an der Ripetta. Hingegen war bereits im Jahr 1879 vor den Toren Roms und der ewigen Stadt nähergerückt durch die auf der Via Tiburtina nach Tivoli führende Trambahn, eine Badeanlage entstanden, auf welche ihre Urheber mit Recht stolz sein können. Auch der eilige Reisende sollte nicht unterlassen, diese Schöpfung aus unseren Tagen in Augenschein zu nehmen, zumal es dazu nicht besonderen Zeitaufwandes bedarf: denn der Besuch von Acque Albule lässt sich passend mit dem Ausflug nach der benachbarten Villa das Hadrian verbinden, bei welcher ohnehin jeder vorzusprechen ermöglicht.

Grundriss der gesamten AnlageFig. 1 Grundriss der gesamten Anlage
Bezeichnungen des Plans: 1. Erfrischungshalle | 2. Grotte | 3. Zimmer | 4. Zimmer des Arztes | 5. Küche | 6. Hof für Wagen | 7 – 8. Männerbad | 9. Reserviertes Bad | 10. Frauenbad | 11. An- und Auskleidezellen bzw. Garderobe | 12. Warme Bäder | 13. Geschlossene Gärten | 14. Oratorium | 15. Wirtschaftshöfe | 16. Wagenschuppen für die Trambahn | 17. Waschhäuser | 18. Kaufläden

Es sind von alters her berühmte Schwefelquellen, welche durch die jetzige Badeanlage zu erneutem Ruhm gelangt sind. Schon in klassischen Zeiten suchten und fanden Kranke hier Heilung, aber mit dem Verfall römischer Kultur ward es auch hier öde, und die ungezügelten Wasser überschwemmten die ganze Gegend. Erst im 17. Jahrhundert schuf der in Tivoli residierende Kardinal Ippolito Este wieder Ordnung, indem er den Kanal herstellen ließ, durch welchen einst die Römer den mächtig vordringenden Wassern Abzug geschaffen hatten. Derselbe Kanal ist es, welcher der neu geschaffenen Badeanlage ebenso wie ehedem den alten römischen Anlagen dienstbar gemacht ist.

Das Unternehmen des Baus ging von der Trambahn-Gesellschaft Rom-Tivoli aus; die Ausführung selbst erfolgte nach den Plänen des Ingenieurs und Miteigentümers Anderloni. Die drei beigegebenen Abbildungen und eine Reihe genauer Angaben sind einer Veröffentlichung der in Turin erscheinenden Zeitschrift ›L Ingeneria Cicile e le Arti Industriali‹ entnommen, von welcher ein Sonderabdruck als Badeschrift an Ort und Stelle verkauft wird.

Etwa 20 km von Rom und halb so weit von Tivoli entfernt liegen die Acque Albule wenige Meter abwärts von der Stelle, wo sich die Via Tiburtina mit dem erwähnten Kanal d’Este schneidet. Der Wasserlauf, von dessen weißlicher Farbe die Bäder ihren Namen haben, teilt die umfangreiche Anlage in zwei nahezu symmetrische Hälften. Ein Abzweig der Trambahn führt durch einen von Wassertürmen eingefassten Torbau mitten durch die Gebäudegruppe und trägt so der Bequemlichkeit besonders für die heiße Zeit in bester weise Rechnung.

Die Mitte des etwa 30 000 m² umfassenden und zur Hälfte bebauten Grundstücks nimmt die Erfrischungshalle ein, welcher sich besondere Wartesäle, das Zimmer der Ärzte. die Apotheke und Räume für Post und Telegrafie, für Büros und Wohnzwecke anschließen. Um diese Zentralanlage gruppieren sich zunächst die vier Schwimmbäder von 1 – 3 m Tiefe und etwa 400 – 1000 m³ Inhalt. Ihre Wasserversorgung erfolgt unterirdisch durch überwölbte Abzweige vom Hauptkanal aus; der Abfluss durch Überfall nach den hart angrenzenden tiefer liegenden Becken, zu denen Treppen hinabführen, wodurch kleine Wasserfälle entstehen, welche als besonders kräftige Duschen zu benutzen sind. Die gewählte Anlage zeigt zugleich in besonders anschaulicher Weise den raschen Wechsel des Wassers in den von vielen gemeinsam benutzten Wasserbecken. Zu jedem der letzteren gehören ein bis zwei offene und verschlossene Garderoben, teilweise mit zugänglicher Plattform, von welcher aus dem verschiedenartigsten Wassersport gehuldigt werden kann. Im weiteren Kreis ordnen sich um die Schwimmbäder, deren Zahl entsprechend, vier weitläufige Zellengruppen. Zwar ist die Anlage dieser Teile bis jetzt noch nicht ganz in der Ausdehnung erfolgt, wie sie die mitgeteilte Situationsskizze bereits andeutet, aber nur noch eine geringe Anzahl der Zellen am Oratorium und dieses selbst bedürfen der Verwirklichung, um die Anlage in dem geplanten Umfange als vollendet bezeichnen zu können.

QuerschnittFig. 2a Querschnitt der Zellenanlage.

Die Anordnung und Einrichtung der teils unmittelbar, teils von einem Mittelkorridor zugänglichen Zellen ist von besonderem Reiz. Ihre Lage nach abgeschlossenen Ziergärten, ihre Teilung in einen bedachten Auskleideraum und eine das 3 m³ fassende Becken aufnehmende, offene Hälfte, welcher durch Vorhänge aber der nötige Schutz gegen lästige Sonnenstrahlen werden kann, machen den Aufenthalt in den Zellen außerordentlich angenehm. Das Wasser in den Becken wird durch stetigen Zu- und Abfluss fortdauernd erneuert, zudem hat der Besucher, wie aus der Durchschnitts-Skizze ersichtlich, es in der Hand, Leerung und Füllung der Behälter nach Belieben vorzunehmen; auch stehen ihm überdies Duschen von gewöhnlichem und Schwefel-Wasser zu Gebote.

Eine besondere Bereicherung hat das Bauprogramm in einer jedermann zugänglichen, dicht neben der Erfrischungshalle gelegenen Inhalations-Grotte erhalten. Eine Dampfmaschine zerstäubt dabei das Schwefelwasser und erfüllt mit den fein zerteilten Wasserkörperchen die Tiefe der Grotte, zu welcher man auf ein paar Stufen hinabsteigt.

Die große Ausgiebigkeit der Quellen von etwa 5000 Litern in der Sekunde und die Größe der Zellen, welche von mehreren Personen zugleich benutzt werden können, lassen die Angabe der Verwaltung, dass tausend Personen gleichzeitig baden können, nicht als übertrieben erscheinen. Mit Rücksicht auf die gleichmaßige Temperatur des zuströmenden Wassers von 23,7° C ist die Badezeit nicht auf den Sommer beschränkt; eine Reihe von Zellen ist deshalb zur Benutzung während der kälteren Tage mit Glasabschlüssen versehen. Im übrigen ist, um jedem Bedürfnis gerecht zu werden, eine Anzahl von Zellen vorhanden, in denen Bäder von gewöhnlichem Wasser verabreicht werden. Die dazu eingerichtete Wasserleitung versorgt auch die Erfrischungshalle, die Laufbrunnen, die Waschanstalten, die Gärten und die zahlreichen abgeschlossenen Wirtschaftshöfe.

GrundrissFig. 2b Teil des Grundrisses der Zellenanlage.

Die Konstruktion der sämtlichen Bauwerke ist eine durchweg solide. In unmittelbarer Nähe jener Travertin-Brüche gelegen, aus denen das alte Rom den Bedarf für seine Monumentalbauten bezog, wurde die Entscheidung für das Hauptbaumaterial nicht schwer. Auch die Decken einiger bevorzugteren Bauteile, wie die der Erfrischungshalle, wurden massiv hergestellt.

Die architektonische Gestaltung der Bauten ist innen wie außen eine einfache. Nur in jener zentralen Halle mit ihren interessanten Durchblicken auf die Schwimmbäder ist, insbesondere durch Aufstellung eines dekorativen Brunnens mit einer badenden Nymphe als oberem Abschluss, eine Steigerung in der Erscheinung mit Glück durchgeführt worden.

Der Besuch des Bades hat sich, wie die Unternehmer bei dem Mangel von jeglicher ernsten Konkurrenz in der Umgebung mit Recht erwarten konnten, bereits in erfreulicher Weise entwickelt. Nicht nur Kranke sind es, welche die Acque Albule aufsuchen; bei weitem die größere Zahl der Gäste rekrutiert sich vielmehr aus den Kreisen, welche beim Baden nicht, wie sie in Rom gezwungen, den sonst gewöhnten Komfort vermissen wollen; und wenn dereinst erst die gärtnerischen Anlagen der Umgebung des Bades den Aufenthalt in der Gegend, welche vor Jahresfrist noch einer Wüste glich, zu einem angenehmen machen, werden die klingenden Erfolge den Unternehmern gewiss nicht ausbleiben.

• Berlin, im Oktober 1882 • H. Angelroth

• Auf epilog.de am 6. Juni 2017 veröffentlicht

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