Bau & ArchitekturÖffentliche Bauten

Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig

Die Gartenlaube • 1885

Nachdem festgestellt worden war, dass der Sitz des Reichsgerichtes in Leipzig verbleibt, wurde im September 1884 eine allgemeine Konkurrenz unter den deutschen Architekten zum Zwecke der Einreichung von Entwürfen ausgeschrieben, nach deren Bestem ein eigenes Heim für den höchsten Gerichtshof des deutschen Reiches aus Reichsmitteln erbaut werden soll. Als Ablieferungstermin für diese Entwürfe war der 15. Februar bestimmt, als Hauptpreis 8000 Mark, daneben noch zwei zweite Preise von je 4000 Mark und zwei dritte Preise von je 2000 Mark ausgesetzt worden. Eingegangen waren nicht weniger als 119 Entwürfe, jeder wieder aus einer Reihe Einzelblätter bestehend. Das Preisgericht hatte daher unstreitig keine leichte Aufgabe, aus dieser Fülle von mehr oder minder schönen und zugleich dem praktischen Bedürfniss entsprechenden Entwürfen die fünf besten auszuwählen. Den ersten Preis haben zwei junge Architekten, Ludwig Hoffmann in Darmstadt und Peter Dybwad in Berlin, je einen zweiten Preis H. Lender in Straßburg sowie Eisenlohr und Weigle in Stuttgart, je einen dritten Preis E. Giese und Weidner in Dresden sowie Vischer und Fueter in Basel davongetragen, während die übrigen 114 Mitbewerber leer ausgegangen sind, obwohl unter ihren Entwürfen manche recht beachtenswerte Leistungen sich befanden.

Entwurf zum Reichsgerichtsgebäude in LeipzigMit dem ersten Preis gekrönter Entwurf zum Reichsgerichtsgebäude in Leipzig von Ludwig Hoffmann in Darmstadt und Peter Dybwad in Berlin.

Das Preisgericht hat mit Recht das Hauptgewicht eben auf das rein Praktische gelegt, ohne indes dabei das Schöne aus dem Auge zu lassen. Die Ausführungskosten des ersten preisgekrönten Planes betragen 2 311 234 Mark, die der übrigen vier oben genannten Entwürfe sind höher und steigen bis zu 4 700 000 Mark. Der erste Preis ist somit dem Entwurf zuerkannt worden, der zugleich auch der wohlfeilste war. Dieser Entwurf ist in edlem Renaissancestil gehalten, jede säulen- und türmereiche Prachtarchitektur absichtlich vermieden. Das Äußere soll eben auf den ersten Blick gleich das Geschäftshaus, jedoch von monumentalem Charakter zeigen, und der Eindruck, den es auf den Beschauer macht, ist ein durchaus günstiger. Die Außenfassaden sind in Sandstein projektiert, die Vorderseite, welche in unserer Abbildung dem Leser vorgeführt wird, ist nach der Pleiße zu gerichtet. Im Untergeschoss des Gebäudes befinden sich die Wohnungen der Unterbeamten und die Heizungsanlagen. Den Mittelpunkt bildet die architektonisch auszuzeichnende Halle, die durch das an beiden Langseiten beleuchtete Hauptvestibül direkt betreten wird. In ihrer Hauptachse liegen im unteren Hauptgeschoss die Sitzungssäle für die Strafsenate, im oberen Hauptgeschoss einerseits, über denselben, die Civilsenats-Sitzungssäle, andererseits auf der Vorderseite, nach der Pleiße zu, der 240 m² fassende große Sitzungssaal. Die kleinere südliche Seitenfront nimmt in beiden Hauptgeschossen die Präsidentenwohnung ein mit dem 195 m² großen Festsaal im oberen Hauptgeschoss. Im Obergeschoss der entgegengesetzten nördlichen Seitenfront wird die auf 150 000 Bände berechnete Bibliothek untergebracht. Zwei große und acht kleinere Höfe trennen und verbinden doch auch wieder die verschiedenen Teile des ganzen Gebäudes, das in seiner Vollendung sicherlich eine Zierde der Stadt Leipzig werden wird.

• Karl Siegen

• Auf epilog.de am 21. Oktober 2016 veröffentlicht

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