VerkehrNahverkehr

Die Wattfähre

Der Stein der Weisen • 1897

Voraussichtliche Lesezeit rund 5 Minuten.

Die Seebäder der deutschen Nordseeinseln, mit Recht berühmt wegen ihres Seeklimas, des kräftigen Wellenschlags und des Salzgehaltes von Wasser und Luft, leiden, abgesehen von Helgoland, an einer sehr ungünstigen Verbindung mit dem Festland, trotzdem sie in nächster Nähe derselben liegen. Der Grund für diese mangelhafte Verkehrsgelegenheit liegt in der Seichtheit des trennenden Meeresarms, des Watts, da die Schifffahrt über dieses auch auf den tieferen Rinnen nur bei den höheren Wasserständen, bei Flut, stattfinden kann, während bei Ebbe das Watt, abgesehen von diesen tiefsten Stellen, den Mündungen der Landgewässer und den Strömungsrinnen, ziemlich trocken läuft. Das Watt selbst besteht aus einer auf sandigem Untergrund auflagernden Schicht feinen plastischen Schlicks, gebildet durch den im ruhigen Wasser erfolgenden Niederschlag der von den Landgewässern zugeführten Sinkstoffe im Verein mit den bei der Mischung von See- und Süßwasser absterbenden Infusorien beider Wasserarten. Trotzdem ist das Watt nicht weich und sumpfig, sondern an günstigen Stellen sogar mit Pferd und Wagen passierbar. Fährt doch im Sommer von der Küste nach der Insel Norderney täglich zur Ebbezeit die Postkutsche, die Wattpost.

Die Nordseebäder besitzen nun zwar noch die Schiffsverbindungen mit den größeren Küstenhäfen außen um die Inseln herum. Diese Verbindungen sind nun zwar unabhängig von Ebbe und Flut und daher regelmäßig, dafür aber der langen Wege wegen unbequem und außerdem wegen der meist bewegten See wenig angenehm. Der direkte Dampfbootverkehr mit dem Festland, wie schon oben erwähnt, nur bei Flut ausführbar, ist außerdem, da wegen des gefährlichen Fahrwassers nur bei Tag gefahren werden kann, nur einmal am Tag und dem Flutwasserstand entsprechend nur zu stets wechselnder Zeit möglich. Ebenso sind die Landverbindungen über das Watt hinüber der Sicherheit wegen an die tiefste Ebbe gebunden und daher nicht minder unregelmäßig wie der Wasserverkehr.

Um nun die aus solch unregelmäßigen Verbindungen, denen sich ja die zuführenden Eisenbahnen nicht anpassen können, dem reisenden Publikum erwachsenden Unzuträglichkeiten zu beseitigen, sind schon verschiedene Vorschläge gemacht worden, wie die Ausbaggerung von Schifffahrtsrinnen oder die Ausführung von Dämmen für den Landverkehr über das Watt. Derartige Bauausführungen würden jedoch viel zu teuer werden, dagegen ist neuerdings vom Regierungsbaumeister Ph. Schrimpfs ein eigenartiges Verkehrsmittel vorgeschlagen worden, die Wattfähre, deren Verwirklichung sehr wohl möglich erscheint. Diese unter Patentschutz gestellte Fähre soll ganz unabhängig von Ebbe und Flut und auch von Tageslicht oder Dunkelheit die Verbindung der betreffenden Insel mit dem Festland aufrechterhalten und es können dann direkte, dem Bedürfnis entsprechende und dem Durchgangsverkehr angepasste Eisenbahnanschlüsse leicht geschaffen werden. Vorgeschlagen ist zunächst eine Verbindung der wichtigsten Insel Norderney mit dem Festland, und zwar an der schmalsten Stelle des Watts, etwa auf dem heutigen Postweg mit ca. 3800 m Streckenlänge von Ufer zu Ufer, welche in folgender Weise herzustellen wäre.

WattfähreSeitenansicht und Vorderansicht der Wattfähre für die Überlandverbindung mit Norderney.

In der Verbindungslinie soll ein eigenartig konstruierter in den Abbildungen dargestellter Wagen laufen. Derselbe soll sich nach Art des Tauereibetriebs bei der Flussschifffahrt mittelst eigener Dampfmaschine an einem gerade ausgelegten und an den Ufern verankerten Stahldrahtkabel entlang arbeiten. Diese Anordnung musste gewählt werden, da bei der direkten Wirkung des Motors auf die Wagenräder, etwa wie bei einer Dampfstraßenwalze, ein Aufwühlen des Schlickwatts und demnach ein Festfahren des Wagens aller Wahrscheinlichkeit nach zu befürchten war, während beim Seilbetrieb die Räder eben gar keine Angriffspunkte auf dem Boden benötigen und einfach über denselben hinwegrollen. Diese Räder sind in besonderer Weise dem verhältnismäßig weichen Untergrund angepasst. Zur Erzielung großer Auflagerflächen sind dieselben außerordentlich breit gehalten, 3 m, und außerdem sind im Ganzen acht solcher Walzenräder angeordnet. Um nun aber bei der Fahrt im Wasser keine zu erheblichen Widerstände zu haben, ist jede Walze in neun einzelne Ringe zerlegt, welche auf der gemeinschaftlichen Achse befestigt sind. Um ferner bei Unregelmäßigkeiten des Untergrundes stets eine sichere Auflage zu erzielen, ist den einzelnen Radgestellen und Achsen durch entsprechende Federung die nötige Beweglichkeit gegeben. Die Spurweite ist zur Erzielung genügender Stabilität gegen Wind und Wellen besonders reichlich bemessen. Die Plattform des Wagens ist so hoch gelegt, 5,5 m über dem Boden, dass auch unter den ungünstigsten Umständen, beim Zusammentreffen von Flut und Sturm, kein Wasser übergenommen wird. Dieselbe ruht mittelst eines starken eisernen Fachwerks auf den Radgestellen. Auf der Plattform, die bei einer Größe von 13 × 16,5 m 200 Personen einschließlich Gepäck, sowie die Betriebseinrichtungen und Mannschaften aufnehmen kann, befindet sich ein Aufbau, welcher in der Mitte Kessel- und Maschinenraum, an den Seiten aber je einen Salon enthält. Das flache Dach dieses Aufbaus dient ebenfalls zum Aufenthalt der Passagiere und wird mit einem Sonnenzelt versehen. Die zweizylindrige Dampfmaschine soll 200 PS entwickeln und erhält den erforderlichen Dampf von einem Wasserrohrkessel. Das Kabel, wie die Abbildung zeigt, mittelst zweier unterer Seilscheiben über die Antriebsscheibe geführt, erhält einen Durchmesser von 35 mm und wird bei normalem Betrieb seinem Gewichte entsprechend etwa 60 m Länge vor der Fähre vom Boden abgehoben werden. Die Schifffahrt über dasselbe wird also in keiner Weise behindert. Das Gesamtgewicht des Wagens soll, im unbelasteten Zustande 100 t, im belasteten 125 t betragen. Die Geschwindigkeit der Fähre ist zu 5 km/h angenommen worden. Es könnte also mit einem Fährwagen schon ein Betrieb mit zweistündigen Intervallen eingerichtet werden, da zu einer einfachen Überfahrt bei 3,8 km Weglänge 45 Minuten erforderlich sind und 15 Minuten für den Aufenthalt zu rechnen wären.

Durch die vorbeschriebene Anordnung würde nun in der Tat eine Verbindung der Insel mit dem Festland geschaffen werden, die von Wind und Wetter und auch vom Tageslicht gänzlich unabhängig wäre. Denn da der Führer des Wagens seinen Weg nicht zu suchen, nötig hat, die ganze Bedienung unterwegs überhaupt nur im Anhalten vor kreuzenden Schiffen besteht, so könnte auch Nachts der Betrieb aufrechterhalten werden. Nur im Winter müssen des Eises wegen die Fahrten eingestellt werden; es ist dies aber ohne Bedeutung, da der Verkehr der Inselbewohner selbst mit dem Festland ein minimaler ist und die Wattfähre nur in der Badesaison, d. i. vom 1. Juni bis 1. Oktober zu betreiben wäre. An Nebenanlagen würde für den geplanten Verkehrsweg noch das Folgende zu beschaffen sein. Auf dem Festland ein Bahnanschluss von 7,8 km Länge für Vollbahnbetrieb; auf Norderney eine Schmalspurbahn von der Anlegestelle bis zum Dorf mit 8,8 km Länge und außerdem an jedem Ufer ein in das Watt einspringendes Pfahlwerk, an dessen Seiten der Fährwagen anlegen kann. Mit allen Nebenanlagen und mit doppelter Fähre sind die Gesamtkosten vom Projektverfasser zu 1 000 000 Mark [8,5Mill€] veranschlagt worden, während die jährlichen Betriebskosten zu 80 000 [700000€] Mark angegeben werden. Da hierbei eine ausreichende Verzinsung zweifelhaft erscheint, so müsste das Unternehmen durch den Staat oder mit staatlicher Subvention zur Ausführung gebracht werden, mit Rücksicht auf den durch die Hebung des ersten deutschen Seebades bedingten allgemeinen wirtschaftlichen Nutzen, der ja dem Staat indirekt ebenfalls zugutekommt.

Der hier besprochene eigenartige Vorschlag kann natürlich, wie vom Erfinder selbst betont wird, noch manche Änderungen und Verbesserungen erleiden, zweifellos ist aber seine technische Ausführbarkeit zur Genüge nachgewiesen.

• Buchwald

• Auf epilog.de am 20. März 2024 veröffentlicht

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