Berliner Brücken

Vom Bau der Oberbaumbrücke in Berlin

Zentralblatt der Bauverwaltung • 14.12.1895

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

Mitte Dezember 1895 wird die an dem oberen Einlauf der Spree in die Stadt Berlin erbaute Oberbaumbrücke dem Wagen- und Fußgängerverkehr übergeben. Diese größte und wohl bedeutsamste Brücke Berlins, welche dreimal so lang ist (nahezu 160 m) als die sonstigen Spreebrücken, dient dazu, neben dem städtischen Straßenverkehr auch noch die im Bau begriffene elektrische Hochbahn von der Warschauer Straße nach dem Zoologischen Garten auf einem als oberes Stockwerk über dem einen Bürgersteig errichteten Viadukt über die Spree zu führen (vgl. den Querschnitt der Brücke). Querschnitt.Querschnitt. Der Viadukt bleibt, da bis zu seiner Vollendung noch einige Zeit verstreichen wird, einstweilen durch einen Bauzaun vom Fahrdamm getrennt. Das wird den Verkehr indessen nicht behindern, denn ein Fahrdamm von nahezu 15 m und ein Bürgersteig von 5 m Breite dürfte selbst dem größten Verkehrsbedürfnis vor der Hand genügen, wenn man erwägt, dass die neuerbaute Kurfürstenbrücke nicht so breit ist, und dass die ehemalige Oberbaumbrücke, die im Jahr 1724 erbaut worden ist, überhaupt nur einen 5 m breiten Fahrdamm und zwei je 1,75 m breite Bürgersteige hatte. Der später noch hinzukommende, von dem Hochbahnviadukt arkadenartig überwölbte zweite Bürgersteig hat noch eine nutzbare Breite von 5 m, einschließlich der Pfeiler des Bogenganges 7,3 m Breite. Die spätere Gesamtbreite der Brücke wird also 27,3 m betragen. Die Oberbaumbrücke wird demnach auch zu den breitesten Brücken Berlins zählen und nur noch von der Schlossbrücke an Breite übertroffen.

Über die Einzelheiten der bedeutenden Brückenanlage, ihre Bauart, auch über ihre architektonische Gestaltung und die tor­artigen Turmbauten Mitteilungen zu machen, halten wir nicht eher für angezeigt, als bis der Bau nach dieser Richtung hin weiter vorgeschritten ist und sichtbarere Gestalt gewonnen hat. Vorläufig hat es ein besonderes Interesse, darauf hinzuweisen, mit welcher Pünktlichkeit die städtische Bauverwaltung ihr bei Genehmigung der elektrischen Hochbahn und deren Vereinigung mit .der Oberbaumbrücke den Stadtverordneten gegebenes Versprechen, die Brücke bis zur Eröffnung der Gewerbeausstellung dem Straßenverkehr zu übergeben, eingelöst hat. Ja, sie hat noch mehr getan. Es ist sicher, dass im Laufe dieses Winters die Notbrücke, welche noch die freie Durchfahrt der Oberbaumbrücke etwas beengt, bei Wiedereröffnung der Schifffahrt zum kommenden Frühjahr entfernt ist. Dem Schiffsverkehr zur Ausstellung stehen dann die sieben Öffnungen, welche zusammen 107 m Durchfahrtsbreite haben, darunter das Mittelgewölbe von 22 m Weite und 4,25 m Höhe über Niedrigwasser, zur freien Verfügung.

Erst vor Jahresfrist, gegen Ende November 1894, konnte nach Erteilung der landes­polizei­lichen Genehmigung mit den schwierigen Gründungsarbeiten vorgegangen werden, welche dann ununterbrochen Tag und Nacht den ganzen Winter, selbst bei Frost bis zu −9° C die Bauleute in Atem hielten. Dazu kam noch ein wider Erwarten hohes Hochwasser, gegen welches die tiefen Baugruben durch neue und erhöhte Abdämmungen geschützt werden mussten. Bereits Anfang Juni 1895 waren die Pfeiler an der schlesischen Seite so weit über dem Wasser, dass mit den Wölbungen begonnen werden konnte. Mit Rücksicht auf die Schifffahrt, namentlich auch auf den lebhaften Personen­dampf­schiff­verkehr durften nicht alle Öffnungen gleichzeitig eingewölbt werden; das zur Wölbung der mittelsten Öffnung erforderliche Gerüst musste sogar eine Dampferdurchfahrt und infolge dessen eine eiserne Hilfskonstruktion von nur 30 cm Höhe erhalten, über welcher die Mauerarbeiten ausgeführt wurden. Schon im August 1895 konnte der Schlussstein im letzten Gewölbe eingefügt werden. Jetzt wird eifrig an dem Brückengeländer gemauert, und zwar, allen Unbilden der vorgerückten Jahreszeit zum Trotz, in einer wohl­geheizten Hütte, die auf einem Gleis läuft und so mit Leichtigkeit vorgeschoben werden kann.

Auf dem Bauplatz waren 300, zeitweise bis 400 Arbeiter beschäftigt, für welche heizbare Räume zum Aufenthalt während der Arbeitspausen hergerichtet waren. Außerdem waren auf den Werkplätzen und in Fabriken noch zahllose Hände an den Lieferungen von Materialien und Hilfskonstruktionen, Geräten und Maschinen tätig. Trotzdem die Maschinen in umfassender Weise benutzt worden sind, z. B. zum Mischen des Mörtels und des Betons, zum Zerbrechen der Steine für den Beton, zum Einrammen der Pfähle und zum Fördern des Materials, so mögen an dem Bau doch 500 – 600 Mann täglich beschäftigt gewesen sein. Welche Mengen von Baumaterialien erforderlich und rechtzeitig zu beschaffen und, mit Rücksicht auf die beschränkten Lagerplätze, im richtigen Augenblicke heranzubringen waren, mögen einige Zahlen dartun. An Spund- und Joch­pfählen wurden 4000 Stück gebraucht. Über 60 Kahnladungen (6000 m³) Steinbrocken waren für die Betonschüttungen unter der Flusssohle erforderlich, dazu 22 000 Fass Zement – Kalk ist hierbei fast gar nicht verwandt –; ferner kamen über 4 Millionen Klinkersteine und nicht weniger als 2000 m³ Granit zur Verwendung, letzterer zum größten Teil aus Schweden. In solchem Umfang hat kein Bauwerk Berlins diesen festesten Stein der Erde aufzuweisen. Auch bunte Granitfindlinge der märkischen Lande und die altbewährten Rathenower Handstrich-Ziegelsteine im ›Klosterformat‹ sind wieder zu Ehren gebracht. Bei der Ausführung des Baues sind mit einigen Ausnahmen nur Berliner Unternehmer und Handwerker tätig gewesen.

Für die nächstjährige Gewerbeausstellung, deretwegen das mächtige Brückenbauwerk in dieser ungewöhnlich kurzen Bauzeit von kaum einem Jahre im Wesentlichen fertiggestellt worden ist, wird die Oberbaumbrücke nicht nur in ihrer monumentalen Gestaltung, sondern auch in ihrer flotten Ausführung ein Gegenstand von hervorragendem Interesse sein.

• Karl Bernhard.

• Auf epilog.de am 30. November 2025 veröffentlicht

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