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Unterirdische elektrische Straßenbahnen
in London

Zentralblatt der Bauverwaltung • 26.1.1889

Von dem Mittelpunkt der City von London, der Bank von England aus gehen zwei Hauptstraßenzüge nach Westen. Der Nördliche führt durch Holborn nach Oxfordstreet, der südliche durch Fleetstreet und Strand an Trafalgarsquare vorbei nach Piccadilly. Die Hauptquerverbindung zwischen Oxfordstreet und dem Anfangspunkte von Piccadilly ist Regentstreet. An dieser Stelle ist der Durchmesser des inneren Ringes der Untergrundbahn von Nord nach Süd etwa 3 km. Die Bahn liegt hier etwa 1 km nördlich von Oxfordstreet, ebenso weit etwa ist der Abstand von Piccadilly bis zu den Bahnhöfen der Südhälfte. Aus diesen Entfernungen zwischen den Hauptverkehrsadern und der Bahn folgt, dass dieselbe für den westlichen Teil des Stadtkerns nicht von derselben Bedeutung ist, wie für den Ostteil, die eigentliche City, wo sich Nord- und Südteil der Ringbahn näher, bis auf etwa 800 m, zusammenziehen. Pferdebahnen gibt es in diesem inneren Teile der Stadt nicht, der sehr starke Verkehr ist deswegen hauptsächlich auf die Omnibusse angewiesen, welche sich neuerdings sehr vermehrt haben. Sie entziehen der Bahn Fahrgäste sowohl durch die größere Billigkeit, mehr aber noch dadurch, dass sie die Knotenpunkte des hauptstädtischen Verkehrs berühren, während die Bahn abseits von denselben liegt.

Jetzt ist nun der Plan aufgetaucht, unter den oben genannten Straßenzügen, ihren Hauptausläufern und Querverbindungen unterirdische Straßenbahnen anzulegen. Dieselben sollen teils zweigleisig, teils auch viergleisig – für durchgehende und für öfter haltende Züge – ausgeführt werden. Um die Hauptkanäle der Entwässerung nicht zu berühren, will man die Bahnen möglichst wenig eintiefen. Bei Anwendung einer eisernen Decke unter der Betonlage des Holzpflasters gedenkt man mit einer Aushebung bis auf etwa 4,20 m unter der Straßenfläche auszukommen. Die erforderliche Breite würde für vier Geleise etwa 12 m betragen. Notwendig ist selbstverständlich die Beseitigung des Gewirrs von Rohrleitungen aller Art, welche jetzt den Straßenkörper durchziehen. Die Unternehmer beabsichtigen deswegen zunächst Gänge für die Aufnahme aller dieser Entwässerungs-, Gas- und Wasserröhren usw. herzustellen; sie machen nebenbei zu Gunsten ihres Vorhabens geltend, dass in diesen Straßen alsdann die Verlegung anderer Leitungen für Druckluft, Druckwasser, Heizwasser, Dampf usw. ohne Schwierigkeiten ausführbar sein würde. Es wird außerdem versprochen, den Bau ohne irgendwelche dauernde Störung des Verkehrs zu bewirken.

Der Betrieb soll elektrisch werden, wie dies auch für die tiefliegende Röhrenbahn in Aussicht genommen ist, welche von der City aus unter der Themse durch nach dem Süden Londons hin gebaut wird. Es werden damit alle die Bedenken und Beschwerden fortfallen, welche fortdauernd gegen die unangenehmen Folgen des Lokomotivbetriebs in der Untergrundbahn erhoben werden. Zunächst ist die Inangriffnahme einer zweigleisigen Linie von etwa 2,5 km Länge beabsichtigt, welche von Holborn-Circus – in dem nördlichen Straßenzug – durch High Holborn und die neuerdings durchgebrochene Shaftesbury Avenue nach einem Hauptpunkt des Südzuges, dem Anfang von Piccadilly, führen soll. Ein hierauf bezüglicher Gesetzentwurf ist bereits dem Parlament zur Erledigung eingereicht und als den Vorschriften der Form nach genügend befunden worden. Die Unternehmer werden nach demselben die Berechtigung erhalten, für die Zugänge zu den Haltestellen nur diejenigen Teile der Häuser gegen Entschädigung zu nehmen, welche sie wirklich brauchen. Ein solcher ›private bill‹ genannter Gesetzesvorschlag muss zunächst öffentlich bekanntgegeben werden und ist dann vor dem betreffenden ständigen Parlamentsausschuss durch Anwälte und vorgeführte Sachverständige zu vertreten und zu begründen. Dagegen erscheinen alle diejenigen, welche sich durch das neue Unternehmen in ihren Rechten und Vorteilen bedroht glauben. Zu diesen werden in dem vorliegenden Fall dem Vernehmen nach nicht nur die bestehenden Verkehrsgesellschaften, sondern auch die Ladeninhaber der Straßen gehören, welche – wohl mit Unrecht – von der Verlegung eines Teils des Verkehrs unter die Straße Schaden für ihre Geschäfte befürchten. Ob bzw. wann diese Bahn genehmigt werden wird, lässt sich diesem oben gekennzeichneten Verfahren gegenüber nicht wohl voraussagen. Dasselbe wird übrigens neuerdings wieder vielfach, namentlich von Schottland aus, angegriffen. Es belastet jedenfalls alle Unternehmungen öffentlichen Interesses mit ganz unverhältnismäßig hohen Anfangskosten für die Gebühren des Parlaments, der Anwälte, der sämtlich nach London zu schaffenden Sachverständigen bzw. ortskundigen und unterrichteten Zeugen usw. Doch ist bei dem vollständigen Fehlen von Regierungsbehörden im Lande selbst eine Änderung schwer ausführbar.

• Th.

• Auf epilog.de am 27. Juni 2023 veröffentlicht

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