Verkehr – Schifffahrt
Schifffahrtskanal Zehdenick–Liebenwalde
Zentralblatt der Bauverwaltung • 1.10.1881
Die Havel durchfließt auf der Strecke von Zehdenick bis Liebenwalde ein ausgedehntes Wiesental in zahlreichen, meist scharfen und großen Windungen bei sehr wechselnder Breite und vielfach ganz unzureichender Tiefe. Infolgedessen kann die Schifffahrt, welche außerdem durch das vorhandene, ziemlich bedeutende Gefälle behindert wird, daselbst nur unter außerordentlichen Schwierigkeiten und Zeitverlust und mit verhältnismäßig geringen Ladungen betrieben werden. Die Verbesserung dieser wichtigen Havelstrecke, welche trotz der vorhandenen Erschwerungen jährlich im Durchschnitt von 2800 Schiffsgefäßen und fast eben so vielen Holzflößen durchfahren wird, war bereits früher längere Zeit hindurch der Gegenstand technischer und finanzieller Erörterungen gewesen, bis man im Jahr 1878 zu dem Entschluss gelangte, anstelle der früher in Aussicht genommenen Kanalisierung des Flusses durch Anlage von Durchstichen und entsprechenden Stauanlagen einen besonderen Schifffahrtskanal am linksseitigen Höhenrand entlang zur Ausführung zu bringen. Die Vorarbeiten wurden unverzüglich in Angriff genommen und nebst dem speziellen Projekt so gefördert, dass auf Grund derselben bereits 1879 eine erste Rate des zu 1 900 000 Mark ermittelten Kostenbetrages in den Staatshaushaltsetat eingestellt und im Frühjahr 1880 mit der Bauausführung begonnen werden konnte. Der Kanal zweigt unterhalb Zehdenick von der Havel ab, erhält 2 Schifffahrtsschleusen und mündet oberhalb Liebenwalde bei Bischofswerder in die zwischen beiden genannten Ortschaften bereits im Jahr 1826 kanalisierte Havelstrecke, die bei Liebenwalde mit der Voßschleuse in den Voßkanal mündet, durch welchen der Finowkanal von der Havel her gespeist wird.
In dieser alten kanalisirten Havelstrecke befinden sieh oberhalb der Voßschleuse die Freiarchen, durch welche das für den Finowkanal nicht erforderliche Havelwasser gegenwärtig abfließt, um bei Friedrichsthal, am unteren Ende des Malzer Kanals, der Fortsetzung des Finowkanals, wieder in die schiffbare Havel zu münden. Diese Freiarchen werden nach Beendigung des neuen Kanals zugeschüttet und durch eine große Freiarche bei Zehdenick ersetzt, so dass ›das wilde Wasser‹ der Havel später nicht mehr bei Liebenwalde, sondern schon bei Zehdenick aus der Schifffahrtstraße abgeleitet wird, was bei Bischofswerder und Liebenwalde einige Durchstiche notwendig macht. Zur Speisung des Finowkanals werden neben den beiden neuen Schleusen besondere Speisearchen angelegt.
In die zweite Kanalhaltung tritt das durch eine Reihe von Floßarchen zum Holzflößen eingerichtete Döllnfließ, welches den Erträgen ausgedehnter fiskalischer Waldungen als Abfuhrweg dient. Dieses liefert in erster Linie das Speisewasser für den Finowkanal, und das eigentliche Havelwasser wird vermittelst der Zehdenicker Freiarche nur in dem Maße in Anspruch zu nehmen sein, als das Döllnfließ das erforderliche Speisewasser nicht hergibt. Gegenüber der Einmündung dieses Fließes in den Kanal soll eine kleine Freiarche erbaut werden, um dasjenige Fließwasser der Havel direkt zuzuführen, welches zeitweise, wie beim Holzflößen, als überflüssig in den Kanal strömt.
Der neue Lateralkanal neben der Havel stellt sich als eine Verlängerung des Voßkanals, des jetzigen Zubringers für den Finowkanal, dar, so dass an letztgenannten Kanal sich späterhin gabelartig zwei Fortsetzungen, der oben genannte Mälzer Kanal und der Voßkanal mit Verlängerung nach Zehdenick, anschließen werden.
Die Gesamtlänge des neuen Kanals Zehdenick–Liebenwalde beträgt 14 km, über den gegenwärtigen Stand der Bauausführung, welche der Leitung des Wasser-Bauinspektors Pescheck in Zehdenick unterstellt ist, erfahren wir, dass, falls nicht unvorherzusehende Zwischenfälle eintreten, der Bau im Herbst 1882 so weit gediehen sein wird, dass die ganze 14 km lange Kanalstrecke dem Verkehr übergeben werden kann.