VerkehrSchifffahrt

Die Rhein-Flöße

Pfennig Magazin • 8.6.1833

Voraussichtliche Lesezeit rund 4 Minuten.

So mancher reist Hunderte von Meilen weit, um fremder Länder Merkwürdigkelten zu beschauen und ahnt nicht, dass Deutschland Dinge darbietet, die sich mit dem Bewundernswerten jeder Gegend messen können, wenn sie es vielleicht nicht noch übertreffen. Dazu gehören ohne allen Zweifel die Rhein-Flöße. Fast gibt es keine größere und kühnere Unternehmung, als die Erbauung eines solchen Floßes und die Spekulation auf den dabei herauskommenden Gewinn. Größe eines solchen Floßes, Kapital, das im Holz desselben steckt, Menschenzahl, es zu lenken und nach Holland, dessen Bestimmungsort, zu bringen, Lebensmittel und Gold für diese Menschen, und Zölle, die überall am Ufer lauern, alles setzt gleich sehr in Erstaunen.

Die Längenangaben und andere Maße des Originaltextes wurden in das metrische System umgerechnet.

Man denke sich eine schwimmende Holzinsel von 750 m Länge, von 25 – 30 m Breite, worauf 10 – 13 geräumige Hütten einer Zahl von 400 – 500 Arbeitern Wohnung geben, wo 4 – 6 Ochsen immer eingestallt sind, um diesen Menschen frisches Fleisch zu schaffen, während ihnen 20 – 25 000 kg Brot, 8 – 10 000 kg gesalzenes und gegen 500 kg geräuchertes Fleisch nebst 30 – 40 Hektoliter Gemüse, 5 – 8 000 kg Butter und eben so viel Käse zur anderen Nahrung dienen und

7000 – 9000 Hektoliter Bier, 30 – 40 Hektoliter Wein ihre Kehle anfeuchten sollen, man denke sich nun noch dazu eine Herrenhütte, die es allenfalls wohl an Luxus und Bequemlichkeit im Inneren mit mancher Admiralkajüte aufnehmen kann, und dann frage man sich, ob so etwas nicht zu den ersten Merkwürdigkeiten Europas überhaupt gehöre?

Vom Kapital war die Rede, das in einem solchen Floß steckt. Wie groß dies sei, kann man allenfalls ermessen, wenn man nur hört, dass von Andernach an, wo diese Flöße aufs Dauerhafteste aus den vom Main, der Mosel und anderen Flüssen herkommenden kleinen gebildet werden, bis nach Holland hinunter gegen und über 30 000 Gulden Zoll bezahlt werden müssen, dass allein der Steuermann bis Düsseldorf und von da bis Holland hinunter gegen 1000 Gulden kostet, dass eben so viel die 6 – 7 Steuerknechte erhalten und eben so die übrigen 400 – 500 Arbeiter nichts weniger als schlecht bezahlt werden. »Zu einem Floßhandel«, heißt dort das Sprichwort, »gehören 300 000 Taler: 100 000 sind im Wald, 100 000 im Wasser und eben so viel in den Unkosten.«

Rheinfloß

Ein solches Floß zu steuern und auf dem mit Untiefen, Inseln, Brücken, Schiffsmühlen, Krümmungen etc. so reichlich ausgestatteten Rhein glücklich hinabzugleiten, erfordert allerdings eben so viel Kenntnisse, als Mut, und daher tut sich ein solcher Steuermann auf seine Kunst so viel zugute, als sein Amtsbruder auf dem größten Kriegsschiff. Noch vor 40 Jahren war nur eine einzige Familie, die eines gewissen Jung, in dieser Kunst eingeweiht, und noch jetzt ist sie nicht zu sehr verbreitet; daher der enorme Preis für diese Reise, den der Floßherr bezahlen muss.

Überhaupt hat das Lenken, Landen, Anhalten, Leiten eines solchen Floßes, wegen der Größe, Schnelligkeit der Bewegung etc. mehr Schwierigkeiten, als man sich denken kann, und darum sind auch eine Menge Dörfer, deren männliche Bewohner von Jugend aus bloß als Arbeiter für diese Flöße leben, die im Februar nach der Mündung des Mains, Neckars, der Mosel gehen, um dort die kleinen Flöße zu binden, und dann mit einem großen nach Holland fahren, wo sie im Spätherbst zurückkehren und ihren Frauen, die indessen das Feld besorgten, das bar verdiente Geld mitbringen.

In manches Dorf kommen, da sie gut bezahlt werben, wohl 30 000 Gulden jährlich. Von Neuendorf, nahe bei Koblenz, weiß man dies gewiss.

Wie jedes Gewerk seine Terminologie hat, so hat auch diese Sippschaft die ihrige. Der Steuermann wird hier nicht rechts und links kommandieren. Nein, er ruft ›Hessenland‹ oder ›Frankreich‹. Man wird hier nicht zum Essen rufen. Nein, wenn alles klar (d. h. fertig) ist, dann ruft der Steuermann: »Packholz überall!«

Man hat wohl nicht nötig, mehrere Beispiele zu geben. Die meisten sind verdorbene holländische Worte.

Der Stapelplatz alles Holzes in Holland ist Dordrecht. Was Memel für diesen Handel im Nordosten Europas ist, das ist Dordrecht für den Nordwesten. Alle sechs Wochen sind hier große Holzverkäufe und auf einer Börse-Auktion gehen oft hier viele Tausend Stämme weg. Was in Jahrhunderten im Spessartwald, auf dem Hunsrück, Schwarzwald verborgen aufgewachsen war, hat hier endlich sein Ziel gefunden und erwartet nun die zimmernde Art, um in anderer Form zu nutzen, zu vergehen.

• Auf epilog.de am 11. Juli 2017 veröffentlicht

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