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Motorwagen für Eisenbahn-Inspektionsdienste

Allgemeine Automobil-Zeitung • 7.1.1900

Eine interessante Neuerung auf automobilistischem Gebiet kommt aus Amerika. Es ist dies der für Inspektionsfahrten bestimmte Motorwagen, der von der Sheffield Car Company of Three Rivers Mich. hergestellt wird. In den Illustrationen ist der Wagen einmal in seiner einfachen, dreiräderigen Form, das andere Mal als Doppeltype wiedergegeben. Letztere Form wird durch Zusammenkoppelung zweier einfacher Typen mit Auslassung des dritten Rades erhalten.

Dreisitziger InspektionswagenDreisitziger Inspektionswagen.

Der Hauptvorteil des dreiräderigen Motorwagens liegt in dem Umstand, dass er leicht von einer Person bedient und binnen wenigen Minuten auf jedem beliebigen Punkt ins Geleise gebracht, beziehungsweise aus demselben wieder herausgehoben werden kann. Mittels einer zweckentsprechend angebrachten Handhabe bewegt der Wagenlenker das Fahrzeug wie einen Schiebkarren weiter, nur dass er nicht das ganze Gewicht emporzuheben braucht.

Der Streckeninspektor kann unter Benutzung dieses Wagens, so oft es ihm beliebt, bei geringem Kostenaufwand sein ganzes Inspektionsgebiet abfahren und so manchem Detail eine größere Aufmerksamkeit schenken, zumal er nicht, wie früher auf der Draisine, von den langen Wegstrecken übermüdet ist. Die Benutzung eines solchen Motorwagens wird also die Anschaffungskosten bald amortisiert haben.

Der Motor ist zweizylindrig und so eingerichtet, dass bei jeder Tour der Bewegungsimpuls direkt auf die Achse übertragen wird. Die Reservebehälter fassen für 200 bis 400 km Benzin, die Zündung ist eine elektrische. Um den Wagen in Gang zu bringen, muss man ihn ein paar Schritte vorwärts schieben.

Das Triebrad ist mit einem konkaven Sheffielder Stahlkranz versehen, der den Wagen auch bei größter Geschwindigkeit im Gleis festhält. Allerdings soll man immer bedenken, dass das Gewicht des Wagens kein allzu großes ist, ein übermäßig rasches Tempo ist daher auf die Dauer nicht geraten. Die Räder sind alle mit Stahlnaben ausgestattet und haben stählerne Radreifen.

Bei normalem Terrain vermag der einfache Motorwagen leicht drei Personen zu befördern; zu diesem Zweck befindet sich an der Front ein Klappsitz. Sowohl vorn als auch an den Hinterrädern sind Bremsen angebracht, so dass der Wagen beständig unter der Kontrolle der Inspektionsbeamten wie des Lenkers steht.

Viersitziger InspektionswagenViersitziger Inspektionswagen.

Beim doppelten Wagentyp sind zwei einfache dreirädrige Motorwagen unter Ausschluss des dritten Rades kombiniert. Der Frontsitz bietet hierdurch bequem für vier Personen Platz. Hinter demselben, zwischen den beiden Hauptleisten, befindet sich eine Plattform für das Handgepäck, Instrumente etc. Hinten am Wagen sind die beiden Triebachsen durch eine Verbindungswelle mit Universalkupplung vereint. An jedem der beiden Hauptrahmen ist rückwärts ein Sitz für einen Wagenlenker, im Ganzen finden also sechs Personen Platz.

Die Einrichtung des Wagens erlaubt es, dass man ihn in zwei getrennte dreirädrige Teile zerlegen und im Bedarfsfall ebenso rasch wieder zum vierrädrigen Typ vereinigen kann.

Eine große Anzahl von Streckeninspektoren, Ingenieuren, Betriebsdirektoren etc. sprach sich mit großer Befriedigung über diese Motorwagen aus. Einer der Konservativsten unter ihnen äußert sich wie folgt:

»Nachdem ich jetzt durch zehn Monate Versuche mit dem Motorwagen gemacht habe, kann ich denselben nur auf das Wärmste empfehlen, speziell für Streckeninspektion und für alle im Bereiche des Schienenstranges nötige Dienste. Ich habe auf meinen Inspektionsfahrten 130 bis 160 km besichtigt und bei allen Seitenwegen, Ausweichgleisen, Gerätehäusern etc. angehalten. Ich habe es hierbei bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h gebracht, doch empfiehlt sich für ein sicheres Fahren eine mittlere Schnelligkeit von 30 bis 35 km/h. Bei 1 % Steigung kann der Motor drei Personen, bei 2 % zwei, bei 3½ % noch eine fortbewegen, bei einem Krümmungsmaximum von 10° und einer mittleren Geschwindigkeit von 24 km/h. Bei genügender Pflege ist der Wagen stets vorteilhaft brauchbar, da er sich leicht in das Gleis, respektive aus dem Gleis bringen lässt. Er muss oft und vielfach benutzt werden, damit man seinen Nutzen vollends einsieht.«

• Auf epilog.de am 22. August 2017 veröffentlicht

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