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›Monsieur Orient-Express‹

Ein europäischer Eisenbahnpionier

Rundschau für Kultur+Technik • 22.11.2023

Voraussichtliche Lesezeit rund 7 Minuten.

Krieg im Osten, Krieg im Orient, Doch es gibt Lichtblicke: Jemand, der Okzident und Orient verbunden hat. Mit einer Brücke. Diese Verbindung ist der berühmteste Zug der Welt: der Orient-Express. Es ist die Geschichte eines mutigen Visionärs, die Hoffnung macht.

Georges Nagelmackers stellt nicht nur den ersten Speisewagen und den Orient-Express auf die Schienen, er verbindet auch alle Metropolen Europas mit 150 Nachtzügen. Oder wie es sein einziger noch lebender Verwandter ausdrückt: »Georges Nagelmackers hat etwas komplett Neues für Europa eingeleitet: Er hat es vollbracht, Grenzen zu überwinden, ohne Krieg zu führen.«

Schlafwagen um 1877Abb.: Slg. Jürgen KleinSchlafwagen um 1877.
frueher-speisewagenAbb.: Slg. Jürgen KleinFrüher Speisewagen.

Agatha Christie reiste auf seinen Spuren

Agatha Christie und Graham Greene machen ihn zum Bestseller, Hollywood verewigt ihn in vielen Streifen. Bis heute beflügelt der ›König der Züge‹ bei den meisten Menschen eine Sehnsucht nach Abenteuern, exotischer Ferne und romantischen Erlebnissen. Was ist die Geschichte des Orient-Express, wer hat ihn durchgesetzt, welche Intention steckte dahinter?

Ein Mann kämpft für eine Vision

Am Vorabend des Deutsch-Französischen Krieges 1870 stehen die Zeichen in Europa auf Abgrenzung: Nationalismus und Protektionismus erstarken, viele europäische Länder streben eine Großmachtstellung an und schotten sich ab. In dieser Zeit setzt sich Nagelmackers in den Kopf, die europäischen Staaten zu verbinden. Fast 40 Jahre kämpft er für seine Idee, mehrmals schrammt er an Pleiten vorbei, die meisten Zeitgenossen halten seine Pläne weder ökonomisch noch politisch für umsetzbar. Trotz Vorurteilen, Fremdenhass und bürokratischer Hindernisse gelingt es dem Eisenbahn-Pionier, Paris mit Konstantinopel zu verbinden und mit seiner Firma, der Compagnie Internationale Wagon-Lits, ein Netzwerk von Nachtzügen aufzubauen. Plötzlich sitzen einander im Speisewagen die Großen aus Politik, Wirtschaft und Kunst gegenüber, Schicksale verschiedenster Nationalitäten treffen aufeinander, eine Epoche des Austausches beginnt. Der ›Orient-Express‹ löst bei Lesern und Filmzusehern eine spezielle Emotion aus. Die Reisenden erhalten ein Gefühl für Entfernung, betrachten, Städte, Dörfer, Menschen, entdecken Details. Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk bringt es auf den Punkt: »Man genießt die Schönheit der Welt durch ein Abteilfenster.«

mann-nagelmackersAbb.: Slg. Jürgen KleinDer Gründer der ›Compagnie Internationale des Wagons-Lits‹ und Betreiber des Orient-Express Georges Nagelmackers mit seinem US-Kurzeit-Partner Colonel William d’Alton Mann vor dem Wagen Nr. 15, 1873.
ReisebüroEin Reisebüros in Paris der ›Compagnie Internationale des Wagons-Lits‹.

Eine dramatische Liebesgeschichte

Georges Nagelmackers Leben ist eine atemberaubende Erfolgsbiografie, die erst auf Grund einer unerfüllten Liebesbeziehung an Fahrt gewinnt. Auch privat kämpft Nagelmackers jahrelang auf unkonventionelle Art um das Ja-Wort seiner großen Liebe. Sein Leben entwickelt sich zu einem dramatischen Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Scheitern und Triumph, erlittenem Spott und großer Verehrung. Vor allem aber ist es eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die zwischen Paris und Konstantinopel ihre Erfüllung findet.

Die Premierenfahrt: ein Abenteuer zwischen Orient und Okzident

Die Premierenreise des Orient-Express von 1883 ist so spannend, als hätte sie Agatha Christie geschrieben: Obwohl Nagelmackers die erste Fahrt akribisch vorbereitet, die besten Speisen servieren lässt, den Fahrplan, das Service und die Mitarbeiter selbst überwacht, kommt es alle paar Stunden zu unvorhergesehenen Ereignissen. Der Zug vor ihnen wird überfallen, eine Gruppe Musiker kapert den Speisewagen, dann werden die Reisenden genötigt, bei heftigen Regen und durch Schlamm der spontanen Einladung des rumänischen Königs auf sein neues Schloss zu folgen und schließlich muss Nagelmackers sogar einen Stier aus dem Gleisbett locken, der justament den Weg für den Zug nicht freimachen will.

SpeisewagenAbb.: Slg. Jürgen KleinDer Speisewagen kam in Mode und wurde – wie hier im wöchentlich erscheinenden Pariser Journal ›L’llustration‹ (1899) – aufwendig beworben.
speisewagenAbb.: Slg. Jürgen KleinDie Ausstattung eines Speisewaggons der ›Compagnie Internationale des Wagons-Lits‹ ab 1883.

Die Methode Nagelmackers

Nagelmackers Leben ist ein Plädoyer für die hartnäckige Verfolgung einer Vision, das raffinierte Spiel über die Bande und den Glauben an den Umweg: geografisch, politisch und menschlich. Mit unglaublicher Konsequenz beharrt der Ausnahme-Unternehmer über dreißig Jahre lang auf seinen Zielen, nur in Planung und Details verhält er sich hochgradig flexibel – das ist die ›Methode Nagelmackers‹. Bis heute stehen die Compagnie Internationale des Wagons-Lits und der Orient-Express für eine europäische Vision, in der das Fremde nicht Angst, sondern Faszination erweckt.

Quelle

buch-cover

Gerhard J. Rekel

Monsieur Orient-Express.
Wie es Georges Nagelmackers
gelang, Welten zu verbinden

288 Seiten, zahlreiche Illustrationen,
Hardcover mit Schutzumschlag,
ISBN 978-3-218-01305-5,
 Kremayr & Scheriau, Wien

Der Autor

Gerhard J. Rekels Großväter waren Lokführer. Schon als Kind liebte er den ›Duft der Eisenbahn‹. 1965 in Graz geboren absolvierte er die Filmakademie Wien (Drehbuch & Regie). Er verfasste die Geschichten für mehrere Tatort-Folgen und realisierte als Regisseur Wissenschaftsdokumentationen für ARTE, ZDF und andere Sender. Sein Terra X-Film  ›Orient-Express – ein Zug schreibt Geschichte‹ erreichte mehr als sechs Millionen Zuseher und wurde in Japan, Portugal, USA und weiteren Staaten gesendet.

Nagelmackers und RekelDas letzte Mitglied der Familie, Baudouin Nagelmackers, mit dem Autor Gerhard J. Rekel.

• Auf epilog.de am 22. November 2023 veröffentlicht

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