DaseinsvorsorgeEnergieversorgung

Licht und Kraft aus dem Victoria-Fall am Sambesi

Die Welt der Technik • 15.2.1907

Voraussichtliche Lesezeit rund 6 Minuten.

Ein halbes Jahrhundert erst ist dahingegangen, seit Livingstone auf seinen Forschungsreisen in Südafrika die größten, bis dahin unbekannten Wasserfälle des Sambesi entdeckte und ihnen den Namen ›Victoria-Fall‹ gab.

Ist schon 1905 des verstorbenen Cecil Rhodes Idee, eine Eisenbahnbrücke, das wichtigste Bindeglied für die Kap-Kairo-Bahn, unmittelbar unterhalb der Fälle zubauen, Wirklichkeit geworden, so ist heute schon die Maschinentechnik um einen bedeutenden Schritt weiter vorangekommen.

Die kürzlich in London gegründete Victoria Falls Electric Power Company Ltd. gibt ihren Plan der Öffentlichkeit kund, die ausgedehnten, bereits vorhandenen und noch in Aussicht stehenden industriellen Unternehmungen auf dem Rand und in Rhodesien mit elektrischer Kraft und mit Licht zu versorgen, was durch den Victoria-Fall im Territorium der British South African Company und durch Dampfreserven in der Nähe von Johannesburg geschehen soll. Das Projekt hat in Kapitalistenkreisen und in der technischen Welt das lebhafteste Interesse hervorgerufen, handelt es sich doch darum, für den großen Distrikt eine Art Monopolstellung zur Lieferung elektrischer Energie zu erlangen.

Die geplanten hydraulischen Anlagen sollen jedoch in keiner Weise die Schönheit der Landschaft beeinträchtigen, vielmehr so angelegt werden, dass sie von den von Touristen besonders bevorzugten Aussichtspunkten aus unsichtbar bleiben.

Die Victoria Falls Electric Power Company wird ein Vorzugsrecht auf die Erzeugung von 250 000 PS aus dem Victoria-Fall erwerben mit der ausschließlichen Berechtigung, elektrische Energie von den Fällen nach der Transvaalkolonie zu übertragen. Diese Rechte sind zunächst auf einen Zeitraum von 75 Jahren zugesichert.

Bedeutende Summen sind schon für Voruntersuchungen und Gutachten verausgabt worden und die Ingenieure Sir Charles Metclafe und Sir Douglas Fox, die sich eines bewährten, guten Rufes auf dem Kontinent, in England und Amerika erfreuen, sprechen die Ansicht aus, dass die natürliche Beschaffenheit der Victoria-Fälle sie zur Erzeugung hydraulischer Kraft vorzüglich geeignet erscheinen lässt; selbst in dürren Jahren soll auch bei niedrigstem Wasserstande reichlich Triebwasser für die geplanten hydraulischen Anlagen vorhanden sein, deren Ausführung der heutigen, weit vorgeschrittenen Technik keine unüberwindlichen Schwierigkeiten mehr entgegenstellt. Am Sambesi fallen teure Felssprengungen und ausgedehnte Schutzeinrichtungen gegen Eis, wie sie beim Niagarafall die Baukosten so sehr verteuert haben, weg. Das Wasser fließt verhältnismäßig ruhig im oberen Fluss und ist von Schwemmkörpern nahezu frei, was bei hydraulischen Einrichtungen von hoch anzuschlagendem Vorteil ist, weil dadurch teure Strombrecher, umfangreiche, doppelte Rechenanlagen, Eisfänge, Vorsammler usw. in Wegfall kommen.

Victoria-FallDer Victoria-Fall.

Das Triebwasser soll vom Sambesi oberhalb der Fälle durch einen Kanal abgelenkt werden. Der geplante Verlauf desselben ist aus der Skizze zu ersehen Mit Rücksicht auf eine spätere Vergrößerung der Anlage sollen die Einlässe am Flusse und der Kanal gleich von vornherein in so großen Querschnittsverhältnissen angelegt werden, dass sie auch das doppelte Wasserquantum ohne erhebliche Gefälleverluste abführen können. Vom Kanal zweigt eine Rohrleitung von rund 100 m Länge zum Turbinenhaus hinab, der Ablauf wird in das untere Flussbett eingeleitet.

Zunächst ist die Aufstellung von zehn Maschinenaggregaten zu je 5000 PS in Aussicht genommen, was vorerst für die Krafteinrichtung am Rande ausreicht.

Es handelt sich hierbei um ein Unternehmen, das schon insofern die ähnlichen Anlagen am Niagara weit übertrifft, als es in einem unwirtlichen Lande, fern von technischen Hilfsmitteln und ohne geschulte Arbeitskräfte ausgeführt werden muss, und dazu über einen Radius von 700 Meilen hinaus sein Stromnetz ausdehnen will. Somit ist zu erwarten, dass auch die Einzelheiten der baulichen Anlage in jeder Hinsicht sich auszeichnen werden.

Trotzdem die hydraulische Zentrale in einem tropischen Klima liegt und durch Eisgänge und harten Winter nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, haben die Ingenieure mit Rücksicht auf etwa vorkommende Beschädigung der Fernleitungen doch den Plan gefasst, dass eine große Reservedampfstation einen Bestandteil der vollständigen Installation für Kraftübertragung vom Victoria-Fall nach dem Rand bilden soll, um unter allen Umständen ununterbrochene Stromlieferung garantieren zu können.

Die Gesellschaft wird daher in erster Linie eine jedenfalls durch Dampfturbinen betriebene Station mit einer Leistungsfähigkeit von 24 000 PS in der Nähe von Johannesburg einrichten. Diese Dampfzentrale soll innerhalb zweier Jahre durch die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin fertiggestellt werden und die Stromabnehmer so lange mit elektrischer Kraft versehen, bis die Herstellung einer Übertragungslinie vom Victoria-Fall und die Errichtung der geplanten Werke vollendet ist. Außerdem erwarb die neue Gesellschaft eine bereits bestehende Dampfzentrale von 5000 PS in der Nähe der Fälle, die schon jetzt einige bedeutende Goldminen mit elektrischer Kraft und die Stadt Germiston mit Licht versorgt.

Eine ununterbrochene Stromlieferung ist für den Minenbetrieb die wichtigste Frage, und die meisten Minenbesitzer werden sich auch nur dann zur Abnahme elektrischer Kraft aus einer derart weit verzweigten Fernleitung entschließen, wenn sie durch ausreichende Reserven vor Stromunterbrechungen gesichert sind.

Diesem Umstand ist denn auch von den Konstrukteuren ganz besondere Aufmerksamkeit zugewendet worden, und es wird neben der Dampfreserve ein völlig neues System von hydraulischer Kraftakkumulation an der Lieferungsstelle zur Anwendung kommen. Es soll ein Staubecken angelegt werden, in das der jeweils überschüssige Kraftstrom, der andauernd läuft, aber nicht immer vollständig verwendet wird, durch Einschaltung von Pumpwerken das nötige Wasser allmählich auf eine beträchtliche Höhe heran hebt, das dann mit hohem Druck im Notfall ausgenützt werden kann. Die Ingenieure glauben, bei einem Versagen der Fernleitung mit dieser Wasserturbodynamoanlage den Minen in Transvaal zwei Tage lang Ersatzstrom liefern zu können. Es wird nur die Frage sein, ob im Bedarfsfall das Reservoir auch eine hinreichende Wassermenge enthält und ob die Dampfreserve bei einer Stromunterbrechung sofort Ersatzstrom liefern kann, da sie ja unter normalen Verhältnissen ausgeschaltet wäre.

Ob das geplante Verfahren hydraulischer Aufspeicherung, dessen Erfinder Sir Wilson Fox ist, und wofür in Rhodesien und Transvaal die Patentrechte erworben werden sollen, den gehegten Erwartungen entsprechen wird, muss die Zukunft lehren.

Bezüglich der Wegerechte für die Fernleitung ist das Whitewatersrandareal vermessen und die Einwilligung von den Besitzern der Grundstücke, über die die Leitung gehen muss, eingeholt worden; es bleibt nur eine Frage, ob den Unternehmern der Schutz ihrer ausgedehnten, durch unwirtliche Gegenden führenden Anlagen möglich sein wird.

Auf jeden Fall wird das Projekt mehr darauf hinauszielen, einer großen Gesellschaft die Stromlieferung für den Rand zu übertragen, als darauf, dass diese Kraft lediglich aus den Fällen gewonnen und auf solch weite Entfernungen übertragen wird.

In der Transvaalkolonie wurden im Jahr 1905 in den Minen insgesamt 281 000 PS in Anspruch genommen, davon allein ca. 238 000 PS am Whitewatersrand. Die Verwaltung der neuen Gesellschaft glaubt nun diese Betriebskraft, die sich stetig vermehrt, künftig mit Wasserkraft um 40 % billiger liefern zu können, als es seither der Fall war. Bis jetzt haben sich zur Kraftabnahme Minengesellschaften angemeldet, die je 6000, 7000 und 10 000 PS für sich allein beanspruchen. Billige und reichliche Kraftlieferung ist für Minenbetriebe von größtem Vorteil und ermöglicht die Einführung zahlreicher arbeitssparender Maschinen. Es ist dabei nicht außer acht zu lassen, dass dem Minenbetriebe nur eine begrenzte Lebensdauer vorbehalten ist. Die Victoria Falls Electric Power Company erhofft daher in der Hauptsache von einer neu emporwachsenden Industrie eine Rentabilität des Riesenunternehmens. Der Kraftbedarf wird sich wohl auch auf Nebenbahnen und die geplanten ausgedehnten Bewässerungsanlagen in den Tälern des Sambesi und seiner Nebenflüsse ausdehnen; überhaupt ist zu erwarten, dass durch die Ausnützung der Victoria-Fälle in Rhodesien eine außerordentliche Entwicklung wichtiger Industrien Platz greifen wird. Der Boden ist ertragfähig, für Tabak- und Baumwollkultur, Getreide und Gespinstfasern geeignet. Der vorhandene große Bedarf an elektrischer Kraft auf dem Whitewatersrand, die in ganz Südafrika bestehende Notwendigkeit, Handarbeit wo möglich durch Maschinen zu ersetzen, die neu sich bildenden Industrien Transvaals und Rhodesiens, die bedeutende Erleichterung des Transports durch die Kap-Kairo-Bahn, sie alle lassen die höchsten Erwartungen an die Zukunft dieser elektrischen Zentralen stellen.

Schon bei einem kurzen Überblick über dieses umfassende Programm muss der Fachmann und auch der Nichtfachmann den Eindruck gewinnen, dass, wenn die geplanten Ausführungen gelingen, in Südafrika ein Boden urbar gemacht wird, auf dem Handel und Industrie, die in diesem Erdteile, bislang mit schwierigen Verhältnissen kämpfend, hinter den andern weit zurückstehen mussten, nunmehr zu reicher Entfaltung kommen werden. Und so kann man wohl diesen Eroberungszug der Technik im Herzen des ›schwarzen‹ Erdteils den bahnbrechenden Fortschritten beim Durchstich des Panamakanals gleichberechtigt zur Seite stellen als einen Markstein in der Kulturgeschichte aller Völker und Zeiten.

• E. Kottmann

• Auf epilog.de am 13. September 2023 veröffentlicht

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